Siegen-Wittgenstein. Die ehemaligen Babyboomer sind nun alt: Schon jetzt müssen Angehörige Pflegeplätze außerhalb des Kreises Siegen-Wittgenstein suchen.

2844 Pflegeplätze in Pflegeheimen werden 2023 für alte Menschen in Siegen-Wittgenstein gebraucht – unter der Annahme, dass 14 Prozent der über 80-Jährigen diese Betreuung brauchen. Wenn bis dahin keine neuen Heime gebaut würden, gäbe es 649 Plätze zu wenig. Sollten die bisherigen Planungen umgesetzt werden, würden immer noch 341 Plätze fehlen. Diese Rechnung macht ein Entwurf für einen neuen Pflegebedarfsplan auf.

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Das sind aktuelle Pläne

In Buschhütten wird eine neue vollstationäre Altenpflegeeinrichtung mit 55 Plätzen im Deichwald-Quartier entstehen. Für Siegen ist der Plan für ein Pflegeheim mit 110 Plätzen bestätigt worden. Die ausgestellte Bedarfsbestätigung sei noch bis Mai 2021 gültig, heißt es in dem Plan. Der Interessent habe aber bisher nicht wieder das Gespräch gesucht oder Unterlagen eingereicht. Im Juli 2020 lief die Frist zur Abgabe von Interessenbekundungen für die Städte Siegen, Kreuztal und Freudenberg aus. Dabei ging es jeweils um 80 vollstationäre und 10 (Freudenberg und Kreuztal) beziehungsweise 20 (Siegen) Kurzzeitpflegeplätze. Nur für Freudenberg gab es eine Bewerbung. Der Kreis geht nicht davon aus, dass es bei einer erneuten Ausschreibung für Kreuztal und Siegen neue Bewerbungen gibt.

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Das ist die Lage

„Zusätzlich belastet die Gesamtsituation, dass sich die Gewinnung von Pflegepersonal und damit die Inbetriebnahme neuer stationärer Pflegeeinrichtungen von Jahr zu Jahr schwieriger gestaltet“, heißt es in dem Planentwurf, der nicht verabschiedet werden soll. Der Kreis zieht damit die Konsequenz daraus, dass Bedarfsbestätigungen den Interessenten zwar den Weg zu Versorgungsverträgen und Investitionszuschüssen öffnen, sie aber nicht zum Bau verpflichten. Ohne Bedarfsplan würde der Weg für interessierte Betreiber frei, eigene Planungen zu realisieren.

Die Zeit läuft dem Bedarf ohnehin davon: „Realistisch“ seien Zeiträume zwischen Planung und Eröffnung von mehr als fünf Jahren. „Bereits jetzt wohnen rund 110 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der Hilfe zur Pflege in stationären Einrichtungen außerhalb des Kreises in Pflegeeinrichtungen.“ Eine Auslastung von jetzt 95 Prozent entspreche fast einer Vollbelegung. Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Heimen hätten Pflegebedürftige somit nicht mehr.

So entwickelt sich Demografie

Derzeit sinkt die Zahl der über 80-Jährigen: 2017 waren es 16.889, 2023 werden es 20.288 sein, 2030 nur noch 19.390, 2040 aber 24.457. Das liegt daran, dass die Generation der Babyboomer alt wird.

2017 war Hilchenbach die Stadt mit dem höchsten Seniorenanteil: 23,25 Prozent der Einwohner waren älter als 65, 6,71 Prozent älter als 80 Jahre. Am anderen Ende der Skala stand Siegen mit 20,88 Prozent Senioren, 6,05 Prozent über 80. Jung waren dagegen Burbach und Kreuztal mit 14,5 Prozent Jugendlichen und Kindern bis 15 Jahren – so hoch war der Anteil dieser Altersgruppe nirgendwo sonst im Kreisgebiet.

In der Prognose für 2023 ändert sich an der Spitze und am Ende der Skala nichts: Hilchenbach bleibt die Kommune mit dem höchsten Seniorenanteil (dann 25,15 Prozent), Siegen mit dem niedrigsten (20,89 Prozent).

Geringe „Heimquote“

Im Schnitt lebte 2019 ein Bewohner 2,3 Jahre im Heim.

46 von 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern in Siegen-Wittgenstein sind pflegebedürftig, NRW-weit sind es 43.

Die „Heimquote“, also der Anteil der Heimbewohner an allen Pflegebedürftigen, beträgt im Kreisgebiet 16,9 Prozent. Im NRW-Schnitt sind das mit 22 Prozent deutlich mehr.

Kreisweit steigt der Altersdurchschnitt von 37,7 Jahren im Jahr 1987 auf 45,5 Jahre im Jahr 2040. Freudenberg wird 2040 mit 48,7 Jahren die „älteste“ Kommune im Kreisgebiet sein, Siegen mit 43 Jahren die jüngste. Die Prognose für 2023 bewegt sich zwischen 42,2 Jahren für Siegen und 42,9 Jahren für Burbach auf der einen Seite und 45,8 Jahren für Hilchenbach und 45,4 Jahren für Freudenberg auf der anderen Seite.

Das sind die Konsequenzen

Die Planung geht davon aus, dass 41,5 Prozent der über 80-Jährigen Pflege brauchen – mit steigender Tendenz und örtlichen Unterschieden: So betrug 2017 der Pflegebedarf in dieser Altersgruppe insgesamt nur 34,7 Prozent, in Wilnsdorf dagegen 52 Prozent.

Konkret plant der Kreis für das Jahr 2023 mit 13.857 und für 2030 mit 14.037 Pflegebedürftigen, 2017 waren es 12.429.

2023 werden in Wilnsdorf 45, in Hilchenbach 32, in Netphen 22, in Siegen 19 und in Neunkirchen 12 Heimplätze fehlen, wenn bis dahin alle bisherigen Planungen umgesetzt sind. In diesem Fall hätten Bad Berleburg, Burbach, Freudenberg, Kreuztal und Bad Laasphe noch Reserven. Insgesamt gibt es derzeit im Kreisgebiet 33 Pflegeheime.

Unterschiede gibt es auch beim Alter des Umzugs in ein Pflegeheim: In Hilchenbach lag das 2019 schon bei 78 Jahren, in Netphen dagegen bei 86 Jahren. In Netphen ist das Alter des Einzugs seit 2014 um vier, in Kreuztal um drei Jahre gestiegen, in Hilchenbach dagegen um drei, in Wilnsdorf um zwei Jahre gesunken.

Im Kreisdurchschnitt sind die Pflegeheime zu 95 Prozent belegt, in Bad Laasphe zu 100, in Kreuztal zu 85 Prozent. Im Schnitt waren kreisweit immer 17 Plätze frei, zum Stichtag am 31. Dezember 2019 waren es 107, wobei in Netphen nur zwei Plätze, in Neunkirchen ein, in Bad Laasphe und Erndtebrück überhaupt kein Platz frei war.

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Das sind die Alternativen

Kurzzeitpflege: In den Pflegeheimen gibt es 258 Plätze, die für Gäste zur Verfügung stehen, für die sonst zu Hause gesorgt wird. Die Zahl soll auf 346 steigen. Auch Krankenhäuer haben neuerdings die Möglichkeit, Kurzzeitpflege anzubieten.

Tagespflege: 326 Plätze gibt es derzeit für Menschen, die zu Hause wohnen und tagsüber in einer der 20 Einrichtungen betreut werden.

Ambulante Dienste: Im Kreisgebiet sind neun Mahlzeitenlieferdienste, sechs Hausnotruf-Anbieter und 34 Betreuungs-, Haushaltshilfe-, Fahrt- und Begleitdienste aktiv.

28,8 Prozent der Pflegebedürftigen nehmen ambulante oder teilstationäre Angebote in Anspruch, wohnen aber zu Hause. 55,1 Prozent beziehen Pflegegeld. Daraus ergibt sich ein Anteil von 83,2 Prozent, die Pflege außerhalb eines Heims bewerkstelligen. Mit dieser „Selbsthilfequote“ liegt Siegen-Wittgenstein über dem NRW-Schnitt von 78 Prozent.

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