Weidenau. Nicht nur die Betreiber stehen mit dem Rücken zur Wand: Es geht um die Gesundheit der Mitglieder, sagt Andre Schulz, DNS-Fitnessstudio in Siegen.

Andre Schulz geht es nicht nur um sein Studio, sondern um die ganze Branche. Die Situation ist für alle gleich, sagt der Clubmanager des „Day Night Sports“ (DNS) in Weidenau: Die Fitnessstudios stehen nach fast sieben Monaten im Lockdown mit dem Rücken zur Wand. Und nicht nur die, sagt er: Die wirtschaftliche Situation der Betreiber ist das eine – aber es geht um die Gesundheit der Mitglieder. „Wir sind systemrelevant“, sagt Schulz – weil Sport, Bewegung und Gesundheit systemrelevant seien.

Eine Perspektive gibt es derzeit eher nicht, trotz anstehender Lockerungen. Unverständlich, nicht nur für Andre Schulz und sein Team. Seit Februar 2020 ist DNS rund ein Drittel der Mitglieder weggebrochen, andere Betreiber melden ähnliche Zahlen. Um das zu kompensieren, rechnet Andre Schulz vor, müsste er – Öffnungsmöglichkeit vorausgesetzt – jeden Monat Dutzende Neumitglieder gewinnen. Was seit Jahren in Weidenau aufgebaut wurde in Sachen Kundenbestand auszugleichen – „das schaffen wir auch übernächstes Jahr nicht“, so Schulz’ düstere Prognose.

Mitglieder des Day Night Sports Siegen: Körperlich und seelisch geht es vielen schlecht

Jeden Monat gehe eine fünfstellige Summe weg, ohne Umsatz im Gegenzug. Und Mitglieder kündigten ja immer, auch wenn nicht Corona das Training verhindert. Viele hätten sich inzwischen Trainingsutensilien für Zuhause angeschafft – einige davon werden Fitnessstudios wohl dauerhaft den Rücken kehren, fürchtet die Branche. Die meisten Fitnessstudios buchen die Mitgliederbeiträge zwar ab – die Zeit der Nichtbenutzung wird aber an die Kündigung angehängt oder in Form von Gratismonaten oder Gutscheinen angehängt. Angesetzt hat Schulz das in den Bilanzen bereits bis 2024.

Konzept für ein Corona-konformes Training

Das DNS-Studio hat zwei leistungsstarke Lüftungsanlagen, um Aerosole abzusaugen, die Luft wird stündlich mehrmals umgewälzt, so Andre Schulz. Die Trainingszeit wird begrenzt, dazwischen wird desinfiziert und gelüftet. Besucher buchen Termine, checken mit negativem aktuellen Corona-Test digital ein und aus. Das Studio ist in Zonen mit einer Mindest-Quadratmeterzahl pro Person eingeteilt, die Beschäftigten überwachen die Einhaltung.

Bis zu 40 Leute gleichzeitig könnten so trainieren, sagt Schulz. „In Hessen hat das einwandfrei funktioniert.“ Nur in NRW – DNS unterhält Filialen in vier Bundesländern – sei das nicht erlaubt.

„Es geht um Leben und Tod“, sagt Andre Schulz. „Wir sind für die Gesundheit der Menschen da und werden von der Politik vollkommen außer Acht gelassen.“ Fitnessstudios seien nicht per se Muckibuden – im DNS würden Menschen etwa nach Hüft-Operationen trainieren oder Diabetespatienten; solche mit zig Vorerkrankungen oder Gesundheitsrisiken – um gesund zu bleiben. „Diesen Menschen geht es körperlich und seelisch sehr schlecht“, berichtet Schulz aus den Gesprächen mit seinen Mitgliedern. Gewichtszunahme, Unausgeglichenheit, Absinken der körperlichen Leistungsfähigkeit – „das sind die Corona-Kranken von morgen; weil wir zu haben“, glaubt er. Online-Kurse helfen da nur bedingt.

Jens Kamieth (CDU): Politik muss Infektionsmöglichkeiten minimieren – und abwägen

„Warum macht die Politik etwas dicht, was den Menschen dabei hilft, gesund zu bleiben?“ Denn Rezepte für Reha-Sport endeten irgendwann – danach kämen die Menschen zu ihnen, um nach Krankheiten gezielt mit professioneller Hilfe zu regenerieren, gesund zu bleiben.

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Landtagsabgeordneter Jens Kamieth und Siegens Bürgermeister Steffen Mues wollen die Notlage nicht nur der heimischen Fitnessstudios und vor allem die ihrer Mitglieder nach Düsseldorf transportieren. So viele Branchen hätten sich viele Gedanken gemacht, viel Geld investiert in Ausstattung und Konzepte, sagt Jens Kamieth – „jeder Betrieb für sich ist sicher.“ Aber man habe in der Pandemie die leidvolle Erfahrung gemacht, dass in Summe aller Maßnahmen zeitweise eben immer noch zu viele Kontakte stattfanden. Wenn die Zahlen runtergehen schnell zu öffnen habe sich bereits einmal als fataler Fehler erwiesen, erinnert CDU-Politiker an den Februar, als die Lage ähnlich war. So lange im Gesundheitswesen die Kapazitäten begrenzt seien, müsse die Politik in der Pandemie die Infektionsmöglichkeiten minimieren.

Siegens Bürgermeister Steffen Mues: Andere Kategorie für Fitnessstudios

Er könne den Ärger der Fitnessbranche gut verstehen, sagt Kamieth, „aber wir haben mehrmals erlebt, dass es ohne einschneidende Maßnahmen nicht funktioniert.“ Da habe die Politik die schweren Entscheidungen zu treffen, wen diese Maßnahmen treffen werden. Ohne jede Wertung sei das Feierabendbier in der Kneipe für die seelische Gesundheit vieler Menschen auch sehr wichtig. „Teils haben wir zu langsam geschlossen, teils zu schnell geöffnet, es gab starken Lobbyeinfluss, einen Wettbewerb des politischen Personals – jetzt, in der dritten Welle haben wir etwas gelernt: Wir wollen Sicherheit, die Zahlen dürfen nicht wieder hochgehen.“ Dies zu entscheiden, sei für die Parlamente nicht einfach, „wir bemühen uns, gute Entscheidungen zu treffen.“

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„In der Corona-Pandemie muss vieles pauschal geregelt werden, es kann keine individuellen Regeln geben“, sagt Steffen Mues. NRW habe verantwortungsvoll und flexibel reagiert, aber in Sachen Fitnessstudios und Gesundheitsprävention durch Sport und Bewegung sei wohl etwas falsch gelaufen; es gehöre, was Schließungen angehe, in einer andere Kategorie. „Trainieren mit diesem Konzept“, sagt Mues aus seiner persönlichen Sicht, „ist definitiv kein Infektionsrisiko.“ Aber auch nun gelte: Nicht alles auf einmal öffnen. „Sonst erleben wir womöglich wieder ein böses Erwachen.“