Siegen. Der 39-Jährige, der eine geistig behinderte 23-Jährige in Siegen vergewaltigt haben soll, will sich mit ihr in Fremdsprachen verständigt haben.

Im letzten Moment fällt es der Vorsitzenden auf. Weil die Aussagen des Angeklagten und der Geschädigten im Verfahren um eine mutmaßliche Vergewaltigung im Sommer 2020 in Siegen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht wurden, dürfen die Plädoyers nicht vor Zuhörern gehalten werden. Da hat der Staatsanwalt allerdings bereits begonnen und Teile der Einlassung des Angeklagten wiederholt. Die eher harmlos sind, aber dennoch wichtige Informationen enthalten.

Dem 39-jährigen Rumänen wird vorgeworfen, sein vorgebliches Opfer (23) am 12. September 2020 in der Siegener Innenstadt mitgenommen und gegen ihren Willen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt zu haben. Die wesentliche Frage dabei ist, ob der Mann erkennen konnte, dass die junge Frau geistig behindert ist, nach verschiedenen Gutachten irgendwo auf dem Stand einer Drei- oder Zehnjährigen. Grobe Annahmen seien das, erklärt am Morgen ein Arzt der DRK-Kinderklinik, der die junge Frau schon sehr lange kennt.

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Der Angeklagte hat vorgebracht, mit ihr auf einer Bank gesessen und sie nach einem Kuss gefragt zu haben, ob sie nicht spazieren gehen wollten. Danach seien sie Hand in Hand zu jenem Gebäude gelaufen, in dem er damals übernachtete. Dort habe er ihr etwas zu Essen und eine Zigarette gegeben und ihr zwei Pornos auf dem Mobiltelefon gezeigt. Ohne Reaktion. Sie habe sich aber selbstständig aus- und später wieder angezogen. Beim Sex soll es keinen Widerstand gegeben haben.

Verständigt hätten sie sich auf rumänisch, italienisch und englisch. „Ich kann sie verstehen, nach langer Erfahrung“, hat der Arzt zuvor bestätigt, dass seine Patientin kommunizieren kann. Wenn auch nur auf einem bestimmten Niveau. Auch die Kammer hat sich bei der Aussage mit der jungen Frau unterhalten können, allerdings klare Defizite festgestellt. Die 23-Jährige ist zur Schule gegangen, kann aber weder lesen noch schreiben. Was die Vorstellung einer Unterhaltung gar in Fremdsprachen mehr als problematisch wirken lässt.

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Die Mutter hat außerdem ausgesagt, ihrer Tochter regelmäßig beim an- und ausziehen helfen zu müssen. Allein könne diese das nicht. Kompliziert wird es bei der Frage, ob das mutmaßliche Opfer sich gewehrt hat, sich überhaupt wehren konnte. „Auch behinderte Menschen haben einen freien Willen“, ist der Mediziner überzeugt und hat auch erlebt, wie seine Patientin ihre Mutter korrigiert habe, wenn diese Dinge aus ihrer Sicht nicht ganz richtig wiedergegeben hätte. Er wisse auch von familiären Situationen, in denen die junge Frau ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollte. Sie selbst hatte dem Gericht in einfachen Worten erklärt, den Vorgang mit dem ihr fremden Mann eklig gefunden zu haben. Der Versuch, ihn wegzuschubsen, sei ihr aber nicht geglückt, weil sie zu wenig Kraft hatte.

Die Öffentlichkeit wird für den Rest des Tages ausgeschlossen. Allerdings hat sich der Angeklagte öffentlich zu seinem Vorleben geäußert. „Gutes und schlechtes“ will er erlebt haben, lässt er durch die Dolmetscherin sagen. Der Mann ist danach in sehr armen Verhältnissen in Rumänien aufgewachsen. Keiner in seiner Familie habe gearbeitet, „höchstens als Tagelöhner“. Sein Bruder sei vier Jahre zur Schule gegangen, er selbst nur ein Jahr, habe recht früh mit der Arbeit in der Landwirtschaft begonnen. Die Eltern hätten kein Geld für Schulkleidung gehabt.

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Später sei er zum Betteln in Italien gewesen, wo er inzwischen allerdings fünf Jahre nicht einreisen dürfe. Die Vorsitzende liest aus einem rumänischen Strafregister mit diversen Einträgen vor, die alle aus Italien stammen. Da geht es um Diebstähle und mehrere Standardstrafen von einem Jahr, elf Monaten und 26 Tagen. Plus diverse Geldstrafen. Nichts davon will der Angeklagte abgesessen oder bezahlt haben, weiß nur noch, ein- oder zweimal vor Gericht gewesen zu sein, und dass er ausreisen musste.

Er sei verheiratet gewesen, habe zwei Jungs im Alter von 18 und 16, dazu eine 14-jährige Tochter. Von seiner Frau habe er sich vor 13 Jahren getrennt, „weil sie was mit meinem Bruder hatte“. Lange Zeit habe die sich um die Kinder gekümmert, die drei dann aber bei ihm abgeladen. Die Kinder lebten jetzt allein in einer kleinen Wohnung in Rumänien. Zwei seien daheim, der mittlere beim Kirschenpflücken. Auch nach Deutschland ist der Angeklagte nach seiner Aussage zum Betteln gekommen, habe allerdings ein bisschen auf Arbeit gehofft. Das die Kinder allein sind, sei in Ordnung. Er habe kein Geld gehabt und ihnen nicht auch noch zur Last fallen wollen.