Siegen. Kunstvereine sind nun „Immaterielles Kulturerbe“. Am Antrag, über den die Unesco-Kommission entschied, hat Wolfgang Suttner aus Siegen Anteil.

Sie sind typisch deutsch. Anerkanntermaßen. Die Deutsche Unesco-Kommission hat deshalb die „Idee und Praxis der Kunstvereine“ ins bundesweite Verzeichnis „Immaterielles Kulturerbe“ aufgenommen. Na gut: Natürlich nicht nur deshalb. Und nicht aus eigenem Ansporn, sondern auf einen Antrag, an dem der frühere Siegen-Wittgensteiner Kulturreferent Wolfgang Suttner wesentlichen Anteil hat.

Auch interessant

„Ich freue mich sehr. Das ist ein bisschen auch die Krönung meiner Arbeit für die Kunstvereine“, kommentiert er die Entscheidung. Wolfgang Suttner ist seit mehr als 30 Jahren Vorstandsmitglied des Dachverbands – der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADVK) in Berlin – und ist deren Vertreter im Deutschen Kulturrat/Deutschen Kunstrat. Und er war Mitbegründer und bis 1990 – bis er die Stelle des Kreiskulturreferenten antrat – Vorsitzender des Kunstvereins Siegen.

Kunstverein Siegen: Die Anfänge waren von Kontroversen begleitet

„Ich bin für jede Ausstellung an die Wand genagelt worden“, sagt er über die Reaktionen der Öffentlichkeit in den ersten Jahren. Rostende Objekte in der Galerie oder die Installationen im Zuge des Projekts „durchgehend geöffnet – Künstler verändern die Stadt“ im Herbst 1986 trafen (noch) nicht das Kunstverständnis von weiten Teilen der Siegener Bevölkerung. Unter anderem hängte damals die Beuys-Schülerin Inge Mahn riesige Alu-Röhren in die Sieg, um darauf aufmerksam zu machen, dass es unter der Betonplatte einen Fluss gibt. „Wir haben aber erreicht, dass moderne Kunst anerkannt wird, dass die Bürger hinter dem Kunstverein stehen“, beschreibt Wolfgang Suttner die langfristigen Effekte der Vereinsarbeit. Und auch die sind entscheidend dafür, dass die Unesco die Vereine nun als immaterielles Kulturerbe einstuft.

Auch interessant

Die rund 300 deutschen Kunstvereine nämlich „fördern … eine offene Teilhabe und bringen Kunst in breite Gesellschaftsschichten“, heißt es auf der Homepage der Kommission; sie „verbinden zivilgesellschaftliches Engagement mit ehrenamtlicher Kunstvermittlung“, nehmen „an Diskursen zeitgenössischer Kunst teil, treiben diese an und verkörpern dabei ein Demokratieverständnis, das für den Erhalt eines lebendigen und vielfältigen Kulturerbes wichtig ist“. Das sei nur möglich, „wenn Bürger sich engagieren und Arbeitszeit einbringen“, ergänzt Wolfgang Suttner.

Kunstvereine: Eine typisch deutsche Sache

Mittlerweile hätte „jeder kleine Ort einen Kunstverein, auch auf dem platten Land“; und was in vielen anderen Kontexten eine flapsige Bemerkung sein könnte, charakterisiert in diesem Fall eine spezifische Qualität. Bei nur vier Ausstellungen pro Verein und Jahr, rechnet Wolfgang Suttner vor, bedeute das insgesamt 1200 Ausstellungen, die allein über diese Schiene auf die Beine gestellt werden – und das quasi flächendeckend. Oft fungierten die Kunstvereine dabei „als Durchlauferhitzer vom Atelier in die Galerien und Museen. Oder, wie die Unesco-Kommission es ausdrückt: „Sie richten oft die ersten Ausstellungen junger Kunstschaffender aus und unterstützten sie bei der Produktion neuer Kunstwerke, indem sie ihnen Wissen und Können vermitteln.“

Haus Seel auf der Unesco-Homepage

Die Aufnahme ins Verzeichnis „Immaterielles Kulturerbe“ hat die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine vor etwa anderthalb Jahren beantragt, wie Wolfgang Suttner berichtet. Die Bewerbung muss aussagekräftiges Material – inklusive Bildern – enthalten. Die Kommission entscheidet dann über Aufnahme oder Nicht-Aufnahme.

Bebildert ist der Beitrag auf der Homepage der Unesco-Kommission mit einem Bild aus dem Kunstverein Siegen, entstanden 2019 beim Aufbau einer Ausstellung von Frank Michael Zeidler.

Siegen und Umgebung sind im Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes bereits vertreten: Mit dem Haubergswesen.

Bei all dem sind die Kunstvereine tatsächlich „eine typisch deutsche Idee gewesen“, erklärt Wolfgang Suttner. Sie sind es auch weitgehend geblieben. Zwar gebe es Kunstvereine in Österreich und in Norwegen, letzteres aber habe ein deutscher Auswanderer angestoßen. Verändert haben sich allerdings seit den Anfängen die grundlegende Ausrichtung und das Selbstverständnis. Ursprünglich waren Kunstvereine dem Bürgertum vorbehalten, „um Kunst in die Stadt zu holen, sie den Leuten nahezubringen und ihnen auch die Chance zu geben, Kunst zu kaufen“, sagt Wolfgang Suttner. Heute sind die Kunstvereine längst für alle Interessierten offen.