Siegen. . Als der Kunstverein 1986 den Abriss der Siegplatte forderte, handelte er sich damit Ärger ein. Heute gibt die Geschichte ihm Recht. Beteiligte erinnern sich.

  • Vor 30 Jahren fordert der Kunstverein den Abriss der Siegplatte
  • Dafür gibt es Ärger
  • Auch einige Kunstwerke ziehen den Volkszorn auf sich

Auf Beschimpfungen war Wolfgang Suttner eingestellt, wenn er im Oktober 1986 das Haus verließ. Die geballte Unbill bekam der damalige 1. Vorsitzende des Siegener Kunstvereins ab, weil er maßgeblich für das Projekt „durchgehend – Künstler verändern die Stadt“ verantwortlich war. Die im öffentlichen Raum installierten Werke kamen in weiten Teilen der Bevölkerung nicht so gut an. Aber eine Vision von damals ist heute Realität: Die Freilegung der Sieg. Darum erinnert der Kunstverein kurz vor dem Uferfest am Wochenende an das ziemlich genau 30 Jahre zurückliegende Projekt.

Röhrender Hirsch gegen Röhren in der Sieg

Die Installation „Röhren in der Sieg“ schlug vor 30 Jahren Wellen. Inge Mahn wies auf das Schattendasein hin, dass der Fluss unter der Siegplatte führte. Weder Werk noch Botschaft kamen bei allen Bürgern gut an.
Die Installation „Röhren in der Sieg“ schlug vor 30 Jahren Wellen. Inge Mahn wies auf das Schattendasein hin, dass der Fluss unter der Siegplatte führte. Weder Werk noch Botschaft kamen bei allen Bürgern gut an. © Kunstverein Siegen

Der Kunstmaßstab sei damals in Siegen ein anderer gewesen. „Er orientierte sich am Üblichen: am Schönen, am Gefallen“, sagt Altbrecht Thomas, aktuell Vorsitzender des Kunstvereins. Wer in Öl gemalte Zwölf-Ender als Königsklasse empfand, konnte mit den Beiträgen der 13 Künstler und Künstlergruppen von „durchgehend geöffnet“ wohl wirklich nicht viel anfangen: Jürgen O. Olbrich aus Kassel malte Zebrastreifen in die Fußgängerzone und beklebte sie mit hunderten kleiner Plastikautos. Siegfried Neuenhausen aus Hannover setzte eine Telefonzelle zwischen Henner und Frieder, die von einer Plastikfigur okkupiert war – was telefonbegierige Passanten nicht abhielt, sich trotzdem anzustellen. „Das am meisten angefeindete Werk“, so Suttner, waren aber fünf lange Alu-Röhren, die Beuys-Schülerin Inge Mahn aufrecht in die Sieg hängte, direkt neben der Siegplatte.

Voller Volkszorn gegen Vorreiter

Von Anfeindungen auf der Straße abgesehen gab es „viele bitterböse Briefe“ an die Stadt. „In einem Leserbrief argumentierte sogar jemand ganz klar in Richtung ,entartete Kunst’“, erinnert sich Albrecht Thomas. „Die Leute haben die Message nicht verstanden“, führt Wolfgang Suttner aus – und bleibt bei Inge Mahns Arbeit: Die Röhren, die bei Niedrigwasser wie die Schornsteine von Dampfschiffen in die Höhe ragten und sich bei Hochwasser von der Strömung erfasst schräg legten, wiesen auf die Sieg hin, die wegen der Siegplatte ins Schattendasein verbannt war. „Denkt bitte an den Fluss – macht den Fluss wieder frei“, sei die Botschaft gewesen, sagt Suttner, damals im Hauptberuf Kunsterzieher, heute Kreis-Kulturreferent. „Wir haben zum Abriss dieser Zubetonierung aufgerufen.“ Für das öffentliche Vorpreschen musste Suttner damals im Rathaus antreten und sich rüffeln lassen. Doch die Idee war in der Welt: „25 Jahre später hat ein neuer Bürgermeister das aufgegriffen und hat etwas unternommen.“ Der Kunstverein sei „nicht unstolz auf unseren Beitrag“.

Elfenbeinturm gegen öffentlichen Raum

Obwohl erst 30 Jahre her „kam Kunst im öffentlichen Raum damals erst raus und stand überall in der Diskussion“, sagt Suttner. „Durchgehend geöffnet“ sei das erste Vorhaben dieser Art in Siegen gewesen. „Du kannst im Elfenbeinturm – im Museum – alles machen. Da müssen die Leute schließlich nicht hingehen“, beschreibt es Suttner. Im öffentlichen Raum würden aber auch die mit Kunst konfrontiert, die sich sonst nicht damit auseinandersetzen würden.

Praktischer Nutzen gegen visionäre Kraft

Wolfgang Suttner, 1986 während einer Kunstaktion von „durchgehend geöffnet“ im Innenhof des Oberen Schlosses. Damals war
Wolfgang Suttner, 1986 während einer Kunstaktion von „durchgehend geöffnet“ im Innenhof des Oberen Schlosses. Damals war © Kunstverein Siegen

Wer mit Unverständnis auf ein Werk reagiert, weil er weder praktischen noch dekorativen Wert sieht, regt sich schnell auf. Zu Anfeindungen kam es, „weil viele Bürger fanden, dass das Geldverschwendung war“, sagt Suttner. Den Etat – rund 50 000 Mark – stellten Land und Stadt bereit. Die Kriterien, die das Publikum anlegte, waren teilweise – aus heutiger Sicht – fast niedlich: Handwerker kritisierten etwa die Bauweise von Mauern, die eine Künstlergruppe am Kölner Tor errichtet hatten, als nicht fachgerecht. Eine andere Betrachtungsweise wäre sicherlich, solche Mauern als Visualisierung von Abgrenzungen zu sehen: Fußgänger gegen Verkehr, Mensch gegen Technik, Unter- gegen Oberstadt. Und auch Provokation ist oft kein Selbstzweck, unterstreicht Suttner: „Du löst, wenn du etwas machst, das provoziert, auch eine Diskussion aus“ – etwa über die Siegplatte.

Vermittlung gegen Abwehrhaltung

Auch, wenn der Kunstverein im „durchgehend geöffnet“-Katalog von 1986 „die ganz Bornierten, die ,das-kann-ich-doch-auch-das-ist-doch-keine-Kunst-Schwachköpfe’“ aufs Korn nimmt: Bei Führungen hätte sich schon damals bei vielen Menschen Verständnis wecken lassen, sagt Albrecht Thomas. Kunstvermittlung sei auch eines der Motive für die Gründung des Vereins gewesen, ergänzt Suttner. Inzwischen habe sich viel getan, „sonst hätte es nie ein Museum für Gegenwartskunst gegegeben“.

Waren die Anfeindungen von 1986 es wert? „Wenn wir eine Zeitmaschine hätten“, sagt Suttner, „würden wir es wieder tun.“

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