Siegen. Vor 40 Jahren hat der Weidenauer Jürgen Schade sein erstes Foto an die Siegener Lokalredaktion geliefert – und ist dabei geblieben.
Die Bushaltestelle. Eine wartende Frau. Ein Klo. Zufällig sei er dran vorbeigekommen, erzählt Jürgen Schade. Er hatte die Kamera dabei, rief bei der Westfalenpost an. „Ich habe den Film runtergebracht, am nächsten Tag war das Foto in der Zeitung, und ein paar Wochen später hatte ich fünf Mark auf dem Konto.“ Gut 40 Jahre ist das jetzt her, als „jade“ (inzwischen „J.Sch.“) seine freie Mitarbeit bei dieser Zeitung begann.
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Er fotografiert gern, liefert Schnappschüsse, kommt bei Vereinen vorbei, wenn die ein Fest feiern, hält Erinnerungen an Feste und Begebenheiten auf den Dörfern fest, beweist Ausdauer bei Schützenfesten. Dem Schützenverein Seelbachtal in Dreis-Tiefenbach ist Jürgen Schade bei so einer Gelegenheit beigetreten, zwei Mal wurde er sogar Vereinsmeister. Nebenbei. Vor allem aber ist Jürgen Schade als freiberuflicher Blaulicht-Reporter unterwegs: Wenn Verkehrsunfälle passieren, wenn es brennt, wenn Stürme oder Hochwasser die Gegend heimsuchen, wenn Verbrechen begangen werden. Das macht ihn und seine Kollegen nicht überall beliebt. Aber wissen will dann doch jeder, was los war. So genau wie möglich. Und in Zeiten der Online-Medien so schnell wie möglich. Am liebsten noch, bevor der Qualm sich verzogen hat, bevor die Scharfschützen der Spezialeinsatzkräfte abgerückt sind.
Blaulicht
Jürgen Schade kommt von der anderen Seite: Der ausgebildete Rettungssanitäter, schon mit 13 beim Jugendrotkreuz, war 17 Jahre lang mit dem Roten Kreuz unterwegs, hat Nachtschichten auf der Freudenberger Rettungswache geschoben, in den 1970er Jahren manchmal zusammen mit Ottmar Haardt, dem späteren Freudenberger Stadtdirektor.
Das prägt: Im Zweifel lässt er auch heute die Kamera liegen und packt mit an. Im März 2011, als es in einem Mehrfamilienhaus auf dem Dreis-Tiefenbacher Heckersberg brannte, brachte er zwei Kinder in Sicherheit, die gerade mit der Drehleiter heruntergeholt worden waren. „Die Fähigkeit, sich angesichts der Not betroffener Mitmenschen nicht nur auf den eigenen Beruf als Reporter zu beschränken, sondern aktive Anteilnahme und Mitwirkung bei der Linderung der Not zu zeigen, ist sehr lobenswert“, dankte Landrat Paul Breuer damals in einem Schreiben.
Zeitenwende
Damals: Hatten die Redaktionen nicht den Piepser, der sie über den Alarm informierte. Gab es noch keine Handys, mit denen man Fotos machen und verbreiten konnte. Der Reporter wurde angerufen oder hörte die Sirene, fuhr los, entwickelte die Filme zu Hause und brachte die Abzüge in die Redaktion, wo sie mit Kurier oder Bildfunkgerät zur Druckerei gebracht wurden.
Später: Kam die Digitalisierung. Jürgen Schade erinnert sich an den ersten Einsatz mit der neuen Kamera auf einem Sportplatz eher ungern. „Von 23 Bildern war nur eins scharf. Die hatten damals noch eine unheimliche Verzögerung.“ Heute: ein Archiv mit drei Alukoffern voller Filmnegative und acht Terabyte Festplatte voll mit Fotodateien. Macht zusammen vier Jahrzehnte Reporter-Einsatz. „Ich bin da so reingeschliddert“, erzählt Jürgen Schade, der in diesem Jahr 69 wird.
Beruf
Von Beruf ist er eigentlich Maler und Lackierer. Ende der 1980er Jahre musste er damit aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Das brachte mehr Zeit fürs Fotografieren – und noch einen anderen Job: 14 Jahre lang gehörte er im Netphener Freizeitbad zum Team der Rettungsschwimmer. Und das so gern, dass er die Ausbildung zum Saunameister noch oben drauf sattelte.
Erinnerungen
Es hilft nichts: Bei allem Mitfühlen – eine gewisse Distanz braucht der Blaulicht-Job, den schon deshalb nicht jeder gern macht. Verletzte und Tote zu sehen, „damit habe ich nie Probleme gehabt“, sagt Jürgen Schade. Abgebrühtheit kommt dazu, wenn der Einsatz von SEKs zu dokumentieren ist. Denn da wird dann auch schon mal geschossen. Stolz auf manches Foto bleibt: zum Beispiel, als ein bewaffneter Täter sich mit dem Küster in der Nikolaikirche verschanzt hatte und Jürgen Schade sich trotzdem einen Fensterplatz diesseits der Absperrung sichern konnte: „Die Hinterstraße hatten sie vergessen.“
Manchmal verlässt aber auch ihn die Abgebrühtheit: Jürgen Schade war 1996 dabei, als die vermisste fünfjährige Elmedina bei Wahlbach im Wald tot aufgefunden wurde, Opfer eines Sexualverbrechens. „Das hat mir einen Schlag in die Magengrube versetzt.“ Und dann Kyrill, der Jahrhundertsturm, als in der Applauskurve auf der B 62 unterhalb der Kronprinzeneiche vor und hinter ihm die Bäume umstürzen: „Das war das erste Mal, dass ich richtig Angst hatte.“
Pausen
Immer auf Abruf? „Tagsüber bleibt oft das Essen stehen, wenn der Piepser geht.“ Und nachts? Raus aus dem Bett, zur Brandstelle, die Fotos machen und losschicken, wieder hinlegen. Alles Gewöhnungssache. „Das kriege ich hin.“ Nur einmal hat ihn eine Bypass-Operation für vier Wochen aus dem Verkehr gezogen. Urlaub? Jedes Jahr, berichtet Jürgen Schade, einmal auch an der Ostsee. „Die Berge sind mir lieber.“ Für zehn Tage. Das muss reichen. Man will schließlich nichts verpassen.
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