Müsen. Der Müsener Dr. Frank Luschei hat für seine Dissertation erforscht, wie man herausfindet, was eine Stadt für die Menschen attraktiv macht.
Wenn seine Freundinnen und Freude bei den Hilchenbacher Grünen „den Frank machen“, dann meinen sie: Jetzt sollen Zahlen sprechen. Frank Luschei, frisch gewählter Stadtverordneter aus Müsen, will nicht aus seiner Haut: Zu schlechtes Internet, zu volle Schulklassen? Seine Nachfragen folgen dann auf dem Fuß: wie viel Glasfaser in welcher Straße, wie viele Kinder in welchen Klassen?
Das Konzept
Der Sozialwissenschaftler verlässt sich nicht aufs Ungefähre: In einer ganzen Reihe von Städten und Gemeinden hat er die Instrumente ausprobiert, mit denen sich die Attraktivität einer Kommune messen lässt. „Bei uns ist es doch schön! Oder?“ hat er seine Dissertation überschrieben. Mit seinem Konzept, Einschätzungen von Bürgerinnen und Bürgern einzubeziehen, um zu erklären, warum sie aus der einen Stadt weg- und in die andere Stadt hinziehen, wurde er jetzt in Siegen zum Doktor der Sozialwissenschaften promoviert.
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Ein gut ausgebautes Telekommunikationsnetz ist den Einwohnern wichtig – es ist aber nicht vorhanden. Da könnte man etwas tun. Als kinderfreundlich nehmen Befragte die Menschen in ihrer Stadt nicht gerade wahr – das macht aber auch nichts, weil es den betroffenen Eltern viel wichtiger ist, dass die Infrastruktur in der Stadt für die Bedürfnisse von Kindern passt. Und wenn eine gute Autobahnanbindung fehlt, dann kann eine Stadt damit gut leben, wenn ihren Bewohnern dieses Angebot allenfalls mittelmäßig wichtig ist. Was im übrigen auch für das nicht vorhandene Nachtleben gilt.
Dr. Frank Luschei arbeitet mit demUnterschied von Wunsch und Wirklichkeit – je größer der ist, desto größer wird der „Interventionsfaktor“, der Städte und Gemeinden zum Handel bringen könnte. „Jetzt ist es an den Kommunen, diese Erkenntnisse auch praktisch umzusetzen“, schreibt der Sozialwissenschaftler in seiner Dissertation, „am Ende des Tages ist das Wohnen und Leben in einer attraktiveren Kommune für alle Bürger ein Gewinn“.
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„Landflucht ist ein Mythos“
Dabei kommt es aufs Detail an: „Es ist keineswegs so, dass alle aus den kleinen in die großen Städte ziehen“, sagt Frank Luschei, „die so genannte Landflucht ist ein Mythos.“ Telekommunikations-Ausbau und Gesundheitswesen sind nach seinen Erhebungen wichtige Größen, wichtiger noch als ein kulturelles Angebot, mit dessen Fehlen sich die Menschen anscheinend eher arrangieren: „Bei den begrenzten Ressourcen der meisten kleinen Kommunen sollte man sich vor Ort also überlegen, ob man nicht zielgerichteter an wichtigeren Merkmalen ansetzt.“
Frank Luschei hat allerdings auch festgestellt, dass Menschen die Prioritäten je nach Lebensphase anders setzen. „Man kann nicht allen Wünschen und Erwartungen gleichzeitig gerecht werden“, sagt Frank Luschei. Entscheidungen könnten im Rahmen von Bürgerbeteiligung fallen.
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Die Ampel
Eine der Grundlagen, um die Attraktivität von Städten und Gemeinden zu beurteilen, ist die Demografie-Ampel, die Dr. Frank Luschei jährlich neu erstellt. Mit zwei Grün-Tönen platziert sich eine Stadt im NRW-Vergleich in den beiden oberen, mit zwei Rot-Tönen in den beiden unteren Fünfteln, mit Gelb genau in der Mitte.
Das sind die Kriterien
Für die Demografieampel werden diese Daten je Stadt herangezogen und mit allen Kommunen in NRW verglichen: Geburten (mit Geburtenziffer und Anteil der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren an der Gesamtbevölkerung) , Sterbefälle, Zuzüge, Wegzüge.
Ebenfalls in die Bewertung fließen ein: die Anteile der unter Zehnjährigen, der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der über 80-Jährigen.
Grün
Für keine der elf Kommunen in Siegen-Wittgenstein steht die Demografie-Ampel auf Grün.
Gelb
Siegen: Das Oberzentrum schafft den Platz in der Mitte mit einer kaum veränderten Einwohnerzahl. Die Stadt schafft das mit Bestwerten bei den Geburten und Zuzügen und vergleichsweise wenigen Todesfällen. Tiefrot ist dagegen die hohe Zahl der Fortzüge. In Siegen leben durchschnittlich viele Kinder, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist hoch. Ein sehr hoher Anteil von Frauen ist zwischen 15 und 49 Jahren alt – sie gelten als „gebärfähig“. Dennoch reiht sich Siegen bei der Geburtenziffer unter den roten Schlusslichtern ein.
Wilnsdorf: Das einzige Defizit liegt bei ausbleibenden Zuzügen und damit am Ende einem negativen Wanderungssaldo, kritisch in die Bewertung fließt der geringe Frauenanteil unter den 15- bis 49-Jährigen ein. Sonst: alles im grünen oder höchstens gelben Bereich.
Orange
Kreuztal: In Kreuztal ist viel Bewegung: Ein tiefes Grün bei den Zuzügen, aber ein noch tieferes Rot bei den Fortzügen führt zu einem Wanderungssaldo in Orange, also im zweitunteren Fünftel der Bewertungsskala. Blassgrün dagegen der natürliche Saldo mit einem leichten Überschuss der Sterbefälle. Tiefgrün und damit in der Spitzengruppe ist Kreuztal beim Bevölkerungsanteil der unter Zehnjährigen von über zehn Prozent – eine junge Stadt. Ebenso ziemlich gut (blassgrün): der Anteil von fast 37 Prozent sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.
Freudenberg: Freudenbergs Handicap ist der nur gelbe Wanderungssaldo. Zu wenige Leute ziehen zu, zu wenige Babys werden geboren, der Anteil der Kinder ist zu gering, der Anteil der Frauen, die Kinder bekommen könnten, nur im Mittelfeld. Dagegen ist die Zahl der Sterbefälle und Fortzüge unterdurchschnittlich, also im hellgrünen Bereich.
Burbach: Zu viele Sterbefälle, zu wenige Zuzüge, mittelmäßig viele Fortzüge. Am Ende ist der Geburten-Sterbefall-Saldo zumindest noch durchschnittlich, die Geburtenziffer gut – noch, denn der Anteil der gebärfähigen Frauen ist zu klein. Den tiefgrünen Spitzenwert erreicht Burbach beim Anteil von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Einwohnern: immerhin 56,4 Prozent.
Netphen: Die einzigen blassen Grüntöne finden sich beim – vergleichsweise geringen – Anteil der über 80-Jährigen und der Geburtenrate. Überdurchschnittlich sind die Sterbefälle, nur durchschnittlich der Saldo von Zu- und Fortzügen, der Anteil der Kinder unter 10 und der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Rot
Neunkirchen: In die tiefrote Zone gerät Neunkirchen wegen der vielen Fortzüge, zu wenigen Geburten und zu wenigen Kindern. Grün zeigt die Ampel uneingeschränkt nur für den Anteil von 50,3 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigter.
Hilchenbach: Bis auf die Geburten- und Zuzugszahlen im durchschnittlichen Bereich sind alle Signale mehr oder weniger rot: zu wenig arbeitende Bevölkerung, zu viele Alte, zu wenig Kinder, zu viele Todesfälle, zu viele Fortzüge, zu wenig potenzielle Mütter.
Erndtebrück: Die kleinste Gemeinde punktet mit fast 52 Prozent sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und überdurchschnittlich wenigen Fortzügen. Ansonsten ist fast alles rot.
Bad Laasphe kann seinen Zu- und Fortzugssaldo dank besonders weniger Fortzüge im Mittelfeld halten. Alles andere ist rot oder orange.
Bad Berleburg: Für Bad Berleburg macht die Demografieampel keine Aussage, Angaben über Zu- und Fortzüge fehlen. Der Geburten-Sterbefall-Saldo und der Kinder-Anteil sind tiefrot, der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hellgrün.
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