Netphen. Ratssitzungen streamen und damit mehr Publikum erreichen? Die Stadt Netphen will das prüfen – aber es gibt Vorbehalte.

Die Stadt Netphen prüft, ob die Sitzungen von Rat und Ausschüssen per Livestream ins Internet übertragen werden können. Dabei geht es zum einen um die rechtlichen Bedingungen, zum anderen um die technischen Voraussetzungen und die entstehenden Kosten. Das hat der Rat jetzt auf Antrag der FDP-Fraktion beschlossen.

Louis Roth (FDP) regte außerdem an, die Sitzungsvideos jeweils für zwei Wochen auf Youtube bereitzustellen. „So viel sollte uns Demokratie wert sein.“ Klaus-Peter Wilhelm (UWG) zeigte sich skeptisch, er zitierte aus einer Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes. Der kommunale Spitzenverband wies darauf hin, dass für die Übertragung das Einverständnis der betroffenen Personen erforderlich sei – wenn also jemand das Wort ergreift, der sich nicht weltweit wiedergegeben sehen will, müssen Kamera und Tonaufzeichnung jeweils abgeschaltet werden.

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Macht zu viel Aufmerksamkeit stumm?

Der Städte- und Gemeindebund gibt außerdem zu bedenken, dass Kommunalpolitiker ehrenamtlich tätig „und rhetorisch nicht genauso geschult“ seien „wie Berufspolitiker“. Bei einer Liveübertragung „könnten Hemmungen entstehen“, letztlich drohe Engagement in der Kommunalpolitik „unattraktiv“ zu werden. „Wir sehen das genauso“, sagte der UWG-Fraktionschef. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Internet-Nutzer Ausschnitte aus den Übertragungen herstellen und den Sinn von Aussagen „verfälschen“.

Keine digitale Beratung

Im Kreisausschuss haben die Grünen nach Möglichkeiten gefragt, Kreistags- und Ausschusssitzungen komplett digital abzuhalten, also nicht nur für Zuschauer. Das, so die Antwort der Kreisverwaltung, sei nach der Kommunalverfassung nicht möglich. Über Beschlussvorlagen könne nur in Präsenz abgestimmt werden, aber auch die vorangehende Beratung sei nicht digital möglich. „Digitale Formate führen zu einem Ausschluss eines Teils der Öffentlichkeit. „Das ist aus Sicht des Städte- und Gemeindebundes nicht hinnehmbar.“

Beim ersten Lockdown waren eine Reihe von Städten und Gemeinden auch in Siegen-Wittgenstein dazu übergegangen, Entscheidungen per Dringlichkeitsbeschluss von den Bürgermeistern fassen zu lassen – auf Kreisebene tagten dazu vorher die Fraktionsvorsitzenden per Videokonferenz. Später wurden die Entscheidungen durch die Räte genehmigt. Von der Möglichkeit, die Entscheidungsgewalt vom Rat auf den Hauptausschuss zu übertragen, hat zum Beispiel die Stadt Hilchenbach Gebrauch gemacht.

„Die Gefahr sehen wir auch“, räumte Manfred Heinz (SPD) ein, zumal sich in den so genannten „sozialen“ Netzwerken wie Facebook eine „Parallelöffentlichkeit“ entwickelt habe. Andererseits sei „Öffentlichkeit ein Grundprinzip der Demokratie“. Auch im Netpherland entgleisten Facebook-Diskussionen zu kommunalpolitischen Themen. „Wahrscheinlich brauchen wir dann einen Schlichtungsausschuss für solche Ergüsse.“ Konkret nannte der SPD-Fraktionschef einen noch nicht vereidigten sachkundigen Bürger der UWG-Fraktion, der sich in einem Facebook-Kommentar für die Todesstrafe ausgesprochen habe. Letzteres, so Silvia Glomski (Grüne), „ist für mich unerträglich“.

Benedikt Büdenbender (CDU) nannte die Streaming-Idee „wirklich sinnvoll, nicht nur in Corona-Zeiten“. Die Übertragung der Sitzungen im Netz sei eine Möglichkeit, „Politik zu den Menschen zu bringen“. Die Bedenken dagegen seien nicht nachvollziehbar: Bereits mit seiner Kandidatur habe jedes Ratsmitglied „klar gezeigt“ , dass es ein öffentliches Amt anstrebe. Silvia Glomski (Grüne) sprach sich dafür aus, den Zugang zu kommunaler Politik zu erleichtern: „Wir sollten die Schwelle senken. Viele sind interessiert, an Politik teilzunehmen.“

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Bürgerhaushalt als schlechtes Beispiel

Das wiederum bestritt Klaus-Peter Wilhelm (UWG): „Welcher Netpher Bürger hat an so was überhaupt Interesse?“ Wilhelm nannte als Beispiel den „Bürgerhaushalt“: Über wenige Jahre hatte die Stadt online eine Möglichkeit eingerichtet, mit der Bürgerinnen und Bürger zu vorher festgelegten Fragen Stellung nehmen konnten, zum Beispiel zur Einführung einer Winterdienstgebühr oder zum Aufstellen von Altkleidercontainern. Finanzielle Auswirkungen hatte das jeweils nicht, der Rat war auch an die Bürgervoten nicht gebunden.

Lothar Kämpfer (SPD) zeigte sich „verwundert“: „Wir sind doch heute schon viel weiter.“ Auch ohne Livestreaming kursierten verfälschende Wiedergaben von Ratsdiskussionen im Netz. „Wir sind doch sowieso in der Öffentlichkeit“, gab Louis Roth (FDP) zu bedenken, „jeder kann hier unsere rhetorischen Fähigkeiten oder das Gegenteil bestaunen.“ Dass das aber längst nicht jeder tut, dürfte an den unattraktiven Zugangsbedingungen liegen – das wurde in den letzten Wochen auch bei Diskussionen über dasselbe Thema in anderen Städten und Gemeinden deutlich: Am Nachmittag konkurrieren die Gremien mit den Arbeitszeiten Berufstätiger, nach Feierabend mit Freizeitangeboten.

Alternative: Öffentliche Fraktionssitzungen

Geprüft werden soll das Streaming von Ratssitzungen trotzdem. Alternative, so Klaus-Peter Wilhelm (UWG), könne aber auch die Öffnung der Fraktionssitzungen sein, wie sie die UWG praktiziere. Dort könnten Bürger nicht nur zuschauen, sondern auch mitreden. „Das ist echte Bürgerbeteiligung“, fand Wilhelm, „und nicht, irgendeine Sendung auf Youtube anzuschauen.“

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