Siegen. „Amarantus“ heißt die Ausstellung von Mariana Castillo Deball im Siegener Museum für Gegenwartskunst.
Archäologie und Historie kommen einem im ersten Moment nicht unbedingt als Themen der Gegenwartskunst in den Sinn. Es liegt in der Natur der Sache; das Eine beschäftigt sich mit der Vergangenheit, das Andere spielt – nun, eben in der Gegenwart. Bei Mariana Castillo Deball funktioniert die Kombination dennoch. Die Künstlerin, 1975 in Mexiko-Stadt geboren, stellt im Siegener Museum für Gegenwartskunst aus: „Amarantus“.
Wissen
„Es ist die erste Überblicksausstellung von Mariana Castillo Deball in Deutschland“, sagt Museumsleiter und Kurator Thomas Thiel. In 14 Räumen gibt es Arbeiten aus 15 Jahren zu sehen, weit überwiegend Installationen, die teilweise ganze Räume füllen. Die Mexikanerin bewegt sich in den Bereichen Forschung, Ethnologie und Geschichtsaufbereitung und überträgt die Ergebnisse und Eindrücke in ihre Werke, visualisiert in der Kunst Themen wie Kolonialismus, aber auch Evolution.
Oft geht es dabei um die Frage, wie Ausstellungsstücke, vor allem aus Südamerika, in Museen jenseits ihres Ursprungslandes gelangt sind. Der Titel der Ausstellung greift bereits Aspekte auf: Amarantsamen sind in Mexiko ein wichtiges Nahrungsmittel, dass auch in religiösen Ritualen verwendet und deshalb von den spanischen Kolonialherren lange verboten wurde. Andererseits bezeichnet „Amaranthus“ im griechischen eine Blume, die nie verwelkt; so wie Objekte in Museen auf Dauer erhalten bleiben, wenn auch oft weit weg von ihrem Ursprung.
Hoffen auf die Zeit nach dem Lockdown
Die Ausstellung „Amarantus“ von Mariana Castillo Deball im Museum für Gegenwartskunst läuft nach momentaner Planung bis zum 30. Mai.Derzeit ist das Museum natürlich geschlossen. Während des Lockdowns gibt es deshalb Foto- und Videomaterial auf der Homepage unter der Adressemgksiegen.deAußerdem sind Online-Formate geplant. Wie MGK-Chef Thomas Thiel aber über die Ausstellung sagt: „Sie müssen sich das live noch schöner vorstellen.“
Werke
Es geht bei „Amarantus“ nicht um Wertung. Mariana Castillo Deball präsentiert, überlässt Schlüsse aber dem Betrachter, etwa bei „Nuremberg Map of Tenochtitlan“. Der Boden eines Raumes wurde dafür mit dunklen Holzplatten ausgelegt, in die eine Vergrößerung der ersten Karte der aztekischen Hauptstadt eingraviert ist wie bei einer riesigen Druckplatte.
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Das Original ließ Hernán Cortés zeichnen und sandte es 1521 dem spanischen König Karl V. per Brief, „eines der ersten Bilder, die in Europa ankamen“, und einen Eindruck der neuen Welt vermitteln, wie Mariana Castillo Deball erklärt. Dieses Bild sollte ursprünglich natürlich Argumente für ein Vorantreiben von Eroberung und Kolonialismus liefern. Die Künstlerin platziert darauf zwei Ständer mit folkloristisch-südamerikanischen Kostümen, wie sie die Kolonialherren – unter Ausschluss der einheimischen Bevölkerung – beim Karneval trugen. Außerdem darf das riesige Bodenwerk betreten werden, das alte Tenochtitlan wird damit in gewisser Weise begehbar. „Nuremberg“ – Nürnberg, kommt im Werkstitel vor, weil dort 1524 von der Originalkarte eine Druckvorlage erstellt wurde. Dass sich das Eintreffen der Karte in Europa 2021 zum 500. Mal jährt, wird in Südamerika übrigens nicht gefeiert, wie Mariana Castillo Deball anmerkt.
Für die Arbeit „Once I thought the world was somewhere else“ („Einst dachte ich, die Welt sei woanders“) reiste die Mexikanerin nach Südaustralien, um Fotos von Ediacra-Fossilien zu machen. Die Abdrücke der mehrzelligen Lebewesen, über 500 Millionen Jahre alt, „gehören zu den ältesten Lebensformen der Welt“, sagt Mariana Castillo Deball; sie konnten aber bisher von der Wissenschaft nicht eingeordnet werden und wiesen keine nennenswerten Verbindungen zu noch lebenden Arten auf.
Die Fotos dieser winzigen Relikte hat die Künstlerin in enormer Vergrößerung auf Stoffbahnen drucken lassen, die in Bögen so von der Decke hängen, dass sich der Besucher wie durch labyrinthische Gänge bewegen kann. Da die Stoffe mal mehr, mal weniger transparent sind, ergeben sich ständig neue Überlagerungen – eine Referenz an zeitliche (und im Ausgrabungszusammenhang: physische) Schichten der Evolution.
Weitere Pläne
Auch die Siegener Geschichte greift „Amarantus“ auf. Für die ersten Wochen ist die Radierung „Amazonenschlacht“ von Lucas Vorstermann I. aus dem Siegerlandmuseum ausgeliehen, als frühes Beispiel für massenhafte Reproduktion von Kunstwerken – Vorstermann arbeitete in der Werkstatt von Peter Paul Rubens, und Reproduktion spielt im Schaffen von Mariana Castillo Deball eine große Rolle.
Im Anschluss widmet die Künstlerin der „Silbernen Taufschale zu Siegen“ eine eigene Arbeit. Fürst Johann Moritz schenkte diese der Nikolaikirche. Er selbst ließ das um 1586 in Peru hergestellte Objekt aber nicht anfertigen, sondern kam erst in seinen Besitz, nachdem es im Zuge von diplomatischen Beziehungen – und Sklavenhandel – in Afrika und Brasilien gelandet war.
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