Siegen. Der Wiener Komponist Ernst Bachrich starb im Konzentrationslager Majdanek. Der Siegener Alexander Breitenbach spielt nun seine Musik
Sie hat ihn gepackt, die Musik des Anfangs, die erste Begegnung mit einem ihm fremden Werk, die Musik, die er erst spielen musste, um sie hören zu können, die er für sich und dann für andere auch erschließen wollte, um sie zu verstehen. Damit hat Alexander Breitenbach einen Schatz gehoben. Der Pianist, 1997 geboren und in Siegen aufgewachsen, ist im Zuge seines Studiums an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln auf den österreichischen Komponisten Ernst Bachrich gestoßen.
Vielversprechende Künstlerkarriere endet im Konzentrationslager
„Schau dir das mal an“, habe seine Professorin, Dr. Florence Millet, gesagt. Sie ist eine ausgewiesene Expertin für verfemte oder ins Exil getriebene Komponisten; sie leitet – in Kooperation mit der fördernden Essener Stiftung Lichterfeld – an der Musikhochschule das Projekt „EchoSpore“. Bachrich konnte in diesem Zusammenhang (wieder-)entdeckt werden. Das auch auf der Basis einer intensiven Recherche des US-amerikanischen Musikhistorikers Dr. Matthew Vest (University of California, Los Angeles), der Bachrichs Lebens- und Schaffensspuren folgte.
Die Geschichte des Pianisten, Dirigenten, Komponisten beginnt am 30. Mai 1892 in Wien; sie endet am 11. Juli 1942 im Konzentrationslager Lublin-Majdanek, vorläufig jedenfalls. Ernst Bachrich wächst künstlerisch im Umfeld der Zweiten Wiener Schule heran, ist Schüler von Arnold Schönberg – wie vor ihm Alban Berg oder Anton von Webern, wie nach ihm Hanns Eisler oder Rudolf Serkin, Duo-Partner und später auch Schwiegersohn des aus Siegen stammenden Geigers Adolf Busch (1891-1952). Bachrich ist gut vernetzt, er weitet seine Kreise nach München, nach Paris und weckt Interesse auch an der Metropolitan Opera in New York, wo sich ein geplantes Engagement aber zerschlägt. Acht Jahre arbeitet er als Dirigent an der Volksoper Wien, wechselt 1928 ans Stadttheater Düsseldorf, von dort im Jahr darauf ans Vereinigte Stadttheater Duisburg-Bochum.
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Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, erhält Bachrich, weil er Jude ist, in Deutschland keine Engagements mehr. Er geht zurück nach Wien, wird dort 1938 (nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich) mit einem Berufsverbot belegt. Fast trotzig arbeitet der Musiker weiter, komponiert und veröffentlicht auch und sorgt damit weiter für die Verbreitung und Wahrnehmung seines Werks. Damit ermöglicht er im Grunde, so Dr. Matthew Vest, selbst sein Wiederauffinden. Nach dem Transport zunächst ins Ghetto Izbica wird Ernst Bachrich in Majdanek, mit rund 80.000 Menschen insgesamt, ums Leben gebracht.
Siegener Pianist schafft ergreifende Interpretation
Eine Konstante in Bachrichs Welt ist das Komponieren. Angefangen von der Sonate für Klavier op. 1 (1917) über sein Hauptwerk, die Sonate für Violine und Klavier op. 2 (1925) bis zu den „frühen Versen“ (1935), in denen die er „Musik des Anfangs“ beschwört. Bachrich schrieb dieses Stück für Klavier und Sprechstimme auf der Basis eines Gedichts von Emil Arnold-Holm, eines österreichischen Dichters, dessen, vermutlich jüdische, Identität nie ganz geklärt werden konnte und von dem auch der Text zum ebenso kurzen wie berührenden „Psalm“ op. 10, I stammt.
Bachrichs Werke für Klavier solo und für Klavier und Geige bzw. Gesang haben Alexander Breitenbach, Lola Rubio (Violine) und Anna Christin Sayn (Sopran) beim Berliner Label „eda records“ eingespielt. Ihr Album ist ein Werk, das anfasst, das ergreift. Sicher auch wegen des Wissens um ein derart brutal beendetes Künstler-Leben, vor allem aber dank des enorm präsent gestaltenden Spiels des Pianisten und seiner Mitstreiterinnen. Sie lassen Anklänge an Bachrichs Vorbilder (wie Skrjabin, wie Debussy, wie Schönberg) durchaus hören und arbeiten zugleich dessen eigene intensive Tonsprache – atonal, aber immer mit Bezügen zum Vorangegangenen – heraus. „Es ist einfach gute Musik“, sagt Alexander Breitenbach über das, was er gefunden, studiert und interpretiert hat. Dass diese Musik auf dieser CD eine solch unmittelbare Wirkung entfaltet, mag, so der Pianist im Interview, auch am Ort der Produktion liegen: Aufgenommen wurden Bachrichs Werke in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem, die 1933 bis 1945 ein Zuhause der Bekennenden Kirche mit Pfarrer Martin Niemöller war. Es scheint, als spräche auch der Raum in diesem Zusammenspiel mit.
Aktives Museum erinnert in Siegen an vergessene Musik
In Siegen stellt Alexander Breitenbach die Musik von Ernst Bachrich zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) vor. Das Aktive Museum Südwestfalen erinnert gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland und der städtischen Kulturabteilung an „Die Hölle von Majdanek“ – mit einem Video (abrufbar dann über den YouTube-Kanal von Kultur Siegen), das neben Wortbeiträgen von Bürgermeister Steffen Mues und Vorstandsmitglied Traute Fries auch aus dem Vergessen geholte Klavierwerke des Wiener Schönberg-Schülers einbindet. Eine virtuelle Führung durch die Gedenkstätte Majdanek übernimmt Mona Müller. Die aus Netphen-Salchendorf stammende Studentin hat 2017/18 einen Freiwilligendienst der Aktion Sühnezeichen Friedensdienst in dem einstigen Vernichtungslager geleistet und organisiert heute Gedenkstättenfahrten mit Jugendlichen auch nach Majdanek.
Am Sonntag, 7. März, ist Alexander Breitenbach am Beginn der „Woche der Brüderlichkeit“ zu einem Gesprächskonzert rund um Ernst Bachrich in Siegen eingeladen. Augenblicklich klärt sich, in welcher Form – auch digital – diese Veranstaltung durchgeführt werden kann. Ein für Februar geplantes Live-Konzert mit dem Deutschlandfunk Kultur ist auf den Herbst verschoben worden.
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Die CD „Ernst Bachrich – Ein Portrait“ ist bei allen gängigen Verkaufs- und Streaming-Plattformen erhältlich. Mehr unter www.alexander-breitenbach.de.
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