Siegen. Vertical Farming könnte der Weg sein, auf Dauer die Menschheit zu ernähren. Das junge Siegener Start-up „Innofarming Team“ möchte das optimieren.

Eine Antwort auf die Frage, wie die Menschheit in Zukunft ernährt wird, steht in der Friedrichstraße . Das Start-up „ Innofarming Team “ arbeitet im Gründerbüro der Uni Siegen an optimierter Technik und Gestaltung von „ Vertical Farming “, dem Anbau in der Vertikalen. Da die Kapazitäten zur Erzeugung von pflanzlicher Nahrung begrenzt sind, der Bedarf daran aber massiv steigt, braucht es schon mittelfristig neue Konzepte. Das dreiköpfige junge Gründerteam denkt tatsächlich in ganz großen Dimensionen. Und es ist sehr überzeugend.

Auch interessant

Zehn Milliarden Menschen werden laut Prognosen im Jahr 2050 auf der Welt leben, sagt Timo Visestamkul . Der 25-Jährige, zuständig für Marketing und Finanzen, macht gerade seinen Master im Fach „ Entrepreneurship and SME Management“ an der Uni Siegen . „Ressourcen wie Wasser und fruchtbarer Boden sind aber nicht unendlich.“ Die Lösung könnten große Fabrikhallen sein, in denen Nahrungsmittel nicht nur horizontal in der zweidimensionalen Flächen, sondern auf mehreren Ebenen dreidimensional über- und untereinander gezüchtet werden. Das geht aber natürlich nicht mit klassischen Feldern und Äckern, sondern erfordert neue Konzepte und Strukturen. Genau an solchen arbeitet „Innofarming Team“: an speziellen Schränken, die jeder Pflanze perfekte Bedingungen bieten.

Siegen: „Innofarming Team“ will Vertical Farming perfektionieren

Neu ist das Prinzip nicht. In den USA und Japan sei Vertical Farming bereits weiter verbreitet, sagt Timo Visestamkul. Er selbst wurde durch eine kurze Sequenz in einer Dokumentation über Szenarien für die Zukunft darauf aufmerksam und setzte sich daraufhin mit dem Thema auseinander. In Deutschland sei es noch relativ frisch. Ihm ist nur ein Unternehmen bekannt, dass ebenfalls Vertical-Farming-Schränke herstellt – diese allerdings für Supermärkte und Restaurants , aus denen heraus Kunden oder Gäste zum Beispiel frische Kräuter bekommen können. Das Innofarming-Team hat andere Maßstäbe vor Augen.

Auch interessant

Das Trio greift vor allem auf bestehende Grundlagen und Technologien zurück, will diese ideal miteinander verbinden und optimieren. „Wir Nachfolger können die vorhandenen Entwicklungen nutzen und verbessern“, sagt Timo Visestamkul. Das klingt im ersten Moment vielleicht ein wenig nach Zusammen-Klauen fremder Ideen – genau das ist es aber nicht, weil in der Kombination und Perfektionierung mit viel Aufwand etwas Neues entsteht, das die bisherigen Ansätze auf eine neue Stufe hebt.

Versuche in Siegen: Ideale Bedingungen für Pflanzenwachstum schaffen

Grund-Komponenten sind ideale Licht- und Temperaturverhältnisse, eine optimierte Nährstofflösung – und Nebel. Die Wurzeln der Setzlinge stecken in den so genannten Modulen, also den Anbaubehältnissen, nämlich nicht in Erde, sondern hängen in der Luft. Die Nährstofflösung am Boden wird via „ Ultrasonic Mist Maker “, einer winzigen Ultraschalldampfmaschine , wie sie sonst in Terrarien oder Zimmerbrunnen zum Einsatz kommt, verdampft. „Feiner geht nicht“, sagt Timo Visestamkul. Die Pflanzen nehmen die Nährstoffe über den Nebel auf.

100 Prozent Natur

Die Errichtung Vertikaler Farmen ist zwar ein langfristiges Ziel von „Innofarming Team“, aber nicht das einzige Erlösmodell. Zunächst soll es vor allem darum gehen, Supermärkte und Lebensmittelmärkte mit Produkten zu beliefern – im ersten Schritt mit Kräutern und einer sehr schmackhaften asiatischen Salatmischung.

Die Unterstellung, ihre Produkte hätten mit Natur wenig zu tun, weist Charleen Ayelou entschieden ab. Die Umgebung, in der die Pflanzen gedeihen, sei zwar innovativ und unterscheide sich in diverser Hinsicht sehr von traditionellem Anbau. Die Pflanzen seien aber 100 Prozentig natürlich – und das erst recht, weil keinerlei Pestizide erforderlich seien und Verunreinigungen in viel stärkerem Maß ausgeschlossen werden könnten als beispielsweise bei Wachstum unter freiem Himmel.

Für jede Pflanzenart lassen sich individuell perfekte Bedingungen einstellen : Temperatur, Nährstoffe, Flüssigkeit.

Die Vorteile sind enorm, betont das Team. „Es verbraucht 99 Prozent weniger Wasser als traditioneller Anbau“, erklärt Charleen Ayelou , 29, als Ingenieurin zuständig für Technik und Sensorik. Außerdem lasse sich bei dieser Form des Anbaus komplett auf Pestizide verzichten. Zudem ist sie wetterunabhängig. Die großen Vertikal-Farmen , die dem Team vorschweben, ließen sich darüber hinaus unmittelbar in der Nähe von Stadtzentren bauen, ergänzt Timo Visetamkul: „Damit könnte man 365 Tage im Jahr regional anbauen.“ Lange Transportwege, Gift für das Weltklima , ließen sich vermeiden.

Siegener Start-up möchte traditionelle Landwirtschaft ergänzen

Dass es in Anbetracht der diversen Vorzüge nicht längst flächendeckend vertikale Farmen gibt, hat verschiedene Gründe, wie die Innofarmer erklären. Lange habe es am „Faktor Licht“ gehangen, sagt Timo Visestamkul. „ Sonnenlicht ist schwer zu kopieren“, für Pflanzen aber nun einmal wesentlich. Bisherige Lampen hätten viel Wärme erzeugt und sehr viel – teure – Energie verbraucht. „In den letzten drei Jahren wurden LEDs aber immer besser und billiger“, so der 25-Jährige. Das mache es auch ökologisch besser – erst recht, wenn irgendwann Solarpanels den Strom liefern werden.

Auch interessant

Ein anderes Hemmnis: Natürlich wäre die Errichtung der Fabrikhallen einerseits sehr teuer und andererseits ein deutlicher Wandel ausgehend von bisherigem Nahrungsmittelanbau. „Wir wollen die traditionelle Landwirtschaft aber nicht ersetzten. Wir wollen sie ergänzen.“ Noch biete es sich nämlich nicht bei allen Pflanzen an, unterstreicht der Gründer. In den USA gelinge Vertical Farming zwar beispielsweise schon mit Erdbeeren und Tomaten; bei Weizen aber seien die Gewinnmargen noch zu gering, um es erfolgreich anbieten zu können.

Die Ziele von „Innofarming Team“ sind hoch gesteckt

Bisher gedeihen im Prototyp-Schrank in der Friedrichstraße asiatische Salate und Kräuter. Basilikum etwa wächst dort um ein Vielfaches besser als unter traditionellen Bedingungen, hat das Team im direkten Vergleich herausgefunden. Nach etwa 30 Tagen kann geerntet werden. Christos Iordanidis , der dritte im Bunde, studiert in Münster Biotechnik im Master und ist zuständig für die Entwicklung der Nährlösung, Wachstum und Aspekte wie die Vermeidung von Algenbefall. Und Technikerin Charleen Ayelou baut derzeit das Sensorsystem für die Module aus, um Temperatur und Luftfeuchtigkeit überwachen zu können.

Sensorsysteme übermitteln Daten über die Umweltbedingungen im Prototyp-Schrank an eine App. Damit ist jederzeitige Kontrolle möglich.
Sensorsysteme übermitteln Daten über die Umweltbedingungen im Prototyp-Schrank an eine App. Damit ist jederzeitige Kontrolle möglich. © WP | Florian Adam

Das Ziel ist aber viel weiter gesteckt. „Wir wollen wirklich alles kontrollieren können“, sagt die 29-Jährige. „Und später künstliche Intelligenz integrieren.“ Die Vision sind vertikale Farmen, in denen automatisiert jede Pflanze die für die jeweilige Art perfekten Bedingungen erhält, und in denen diese lückenlos kontrolliert und gewährleistet werden. Tatsächlich soll es sogar perfekter als in der Natur sein, da sich die Unberechenbarkeit des Wetters komplett ausklammern lässt.

„Alles, was wir jetzt entwickeln, sind Bausteine“, sagte Charleen Ayelou. Der Weg ist lang, vor dem Team liegt viel Arbeit. „Aber es ist toll, denn man macht etwas für sich – und für die Welt“. Sie habe unbedingt ins Team gewollt, als damals ein anderes Gründungsmitglied ausstieg. „Ich war richtig verliebt. Ich hatte vorher noch nie von Vertical Farming gehört, aber ich sah nach und nach immer mehr Potenzial. Ich fühle mich wirklich nützlich.“

Mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Siegerland gibt es hier.

Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook .