Siegen. „Ich wurde geschlagen, weil ich ich bin“, sagt Roland W.: Der Student wird in der Nähe seiner Wohnung von Jugendlichen zusammengeschlagen.

Roland W. Kopf dröhnt immer noch. Seine blutverkrustete Unterlippe ist angeschwollen. Auf seinem Handy der Aufkleber „ Siegen gegen Rassismus“. Roland W. ist schwul und wurde deswegen am Freitagabend, 4. September, Opfer eines brutalen Überfalls.

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„Gegen halb neun war ich auf dem weg nach Hause. Zwischen Hölderin- und Paul-Bonatz-Campus wurde ich dann von einer Gruppe Jugendlicher angesprochen“, erzählt der 22-jährige Student. Er setzt sich seit Jahren für die LSBTIQ*-Community ein. Das ist die Abkürzung für: lesbisch, schwul, bisexual, transgender, intersexuell und queer: also alle Menschen, die nicht heterosexuell sind. Er ist Sprecher für die Organisation „Schlau Siegen “, die an Schulen Aufklärungsarbeit im Bereich der sexuellen und gesellschaftlichen Vielfalt leistet. Außerdem ist er an der Uni Siegen ein bekanntes Gesicht, er arbeitet für den AStA und organisiert unter anderem Veranstaltungen gegen Homophobie.

Heftiger Schlag ins Gesicht – einer der Täter droht Roland W.

„Die Täter müssen mich erkannt haben. Sie riefen plötzlich: „Verpiss Dich doch, du Schwuchtel!“, erzählt Roland W. Er sei deshalb auf die Gruppe zugegangen, „ich wollte wissen was deren Problem ist.“ Sechs oder sieben Jugendliche, genau weiß er es nicht mehr, im Alter etwa zwischen 15 und 18 Jahren, kamen auf ihn zu. Er fühlte sich bedroht, weil sie ihm zu nah kamen, er schubste die ersten drei von sich weg.

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„Ich bekam einen heftigen Schlag direkt ins Gesicht und lag am Boden. Ich hörte noch Stimmen: ‘Schau, dir mal die Schwuchtel an. Der ist direkt umgefallen!’ Ich wusste nicht, was ich machen sollte. In diesem Moment hatte ich Todesangst“, erinnert sich Roland. Eine ältere Passantin bekam den Angriff mit und rief die Polizei. Die Jugendlichen liefen davon, einer blieb stehen. „Er hörte nicht auf mir zu drohen. Er sagte immer wieder, dass ich eh lügen würde und der Polizei keine Lügen erzählen sollte, weil ich sonst mehr Probleme kriegen würde.“ Als weitere Zeugen aus ihren Häusern kamen und schließlich auch die Polizeiwagen, lief auch er davon.

Mögliche Täter sind polizeibekannt – weitere Anwohner in Siegen rufen Beamte

Roland W. machte seine Aussage, die Polizei nahm seine Anzeige auf, dann musste er ins Krankenhaus. Gegen 22 Uhr fuhr er mit dem Bus wieder nach Hause, hatte Angst, dass die Jugendlichen noch in der Nähe waren. „Ich habe eine Frau angesprochen, die mit mir ausgestiegen ist, ob sie mich bis zu meiner Haustür begleiten kann.“

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Der Polizei sind die möglichen Täter bekannt. Die Beamten seien am selben Abend noch zwei weitere Male auf den Haardter Berg gerufen worden, von Nachbarn, die eine Ruhestörung angezeigt hatten. Hinter dem Haus trafen die Polizisten Jugendliche an, deren Personalien festgestellt wurden – sie stehen unter Verdacht, einige Stunden zuvor Roland W. angegriffen zu haben. „Wir vermuten, dass es dieselben waren“, sagt Polizeisprecher Michael Zell.

Solidarität aus der Siegener Stadtgesellschaft und der Politik

„Es war für mich ganz klar ein Hassverbrechen! Jetzt habe ich Angst meine Wohnung zu verlassen. Die Wunde an meiner Lippe wird verheilen, aber mit dieser Angst muss ich mein Leben lang weiterleben“, sagt er. Er sei schon ein paar Mal in der Siegener Innenstadt angepöbelt oder angespuckt worden, aber das habe er alles schnell wieder verdrängen können. „Ich wurde geschlagen, weil ich ich bin. Aber ich lasse mich jetzt nicht unterkriegen! Genau das wollen solche Menschen“, sagt der Student entschlossen. Er will nicht umziehen und sich sein Zuhause nehmen lassen. W. ist nicht alleine und genau dieser Gedanke hilft ihm jetzt: „Ich habe von so vielen Leuten aus dem Bekanntenkreis und auch aus der Politik Genesungswünsche erhalten. Das tut gut. Die Menschen schenken mir Solidarität.“

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Etwa Sylvia Gabelmann, Bundestagsabgeordnete der Linken: „Das ist vollkommen inakzeptabel und muss endlich ein Ende haben! Meine Solidarität gilt Roland W., dem ich eine schnellstmögliche Genesung wünsche. Dieser Angriff zeigt einmal mehr, wie tief Intoleranz und Hass gegen LSBTIQ*-Menschen bei manchen Personen noch immer sitzen. Klar muss sein, dass die Siegener Stadtgesellschaft derlei Angriffe und Gewalttaten entschieden zurückweist und zusammensteht.“ Die Linken sprechen sich für den Ausbau der Beratungsangebote für LSBTQ*- Menschen aus.

Linke: Straftaten gegen Communit als LSBTIQ*-feindlich dokumentieren

Sascha H. Wagner, Landesgeschäftsführer der NRW-Linken erwartet, dass Straftaten, die sich gegen die Community richten, explizit als LSBTIQ*-feindlich dokumentiert werden. Bundesweit geschehe das bislang einzig in Berlin. Um Betroffene zu unterstützen, brauche es zudem LSBTIQ*-Beauftragte in Polizeibehörden und bei den Staatsanwaltschaften, da sich Betroffene teils noch immer schwer täten, sich an die Behörden zu wenden.

W. wünscht sich ebenfalls, dass mehr gegen Homophobie getan wird. Das könne man jeden Tag tun: „Wenn eine Beleidigung irgendwo fällt, sollte nicht weggehört, sondern das Gespräch gesucht werden.“

Bei ihrem ersten Einsatz sei den Polizeibeamten noch nicht bekannt gewesen, dass es sich um eine Tat mit homophobem Hintergrund handelt. Nachdem das aber nun feststeht, „behandeln wir die Sache priorisiert“, so Michael Zell: Erste Vernehmungen wurden am Montag geführt, der Opferschutzbeauftragte der Polizei hat sich mit Roland W. in Verbindung gesetzt.

Schwulenfeindlicher Hintergrund: Polizei Siegen erwägt Schutzmaßnahmen

Für die Ermittlungen der Polizei ist der Angriff auf Roland W. ein Fall von „gefährlicher Körperverletzung“. Der schwulenfeindliche Hintergrund wird allerdings nicht erst vor Gericht eine Rolle spielen. Bei Straftaten dieser Art „überlegen wir immer auch, ob wir im Bereich der Gefahrenabwehr Schutzmaßnahmen einleiten“, erklärt Polizeisprecher Michael Zell. Das können verstärkte Streifenfahrten sein, aber auch Betretungsverbote und Platzverweise.

Wie oft Gewalttätigkeiten von homofeindlichen Motive der Täter geleitet sind, kann Michael Zell nicht darstellen. Entscheidend sei, ob sich die Opfer dazu äußern. Und das, sagt er, „passiert eher weniger“.

Für Roland W. war dieser Überfall ein Eingriff in sein tägliches Leben, aber er will sich nicht verstecken: „Dieser Vorfall bestärkt mich nur noch mehr in meiner Arbeit. Es ist wichtig auf Homophobie aufmerksam zu machen.“

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