Siegen. Ingmar Schiltz (SPD), Michael Groß (Grüne), Melanie Becker (Linke) und Henning Zoz (AfD) fordern in Siegen Amtsinhaber Steffen Mues heraus.
Es ist keineswegs so, dass in Siegen schon immer die CDU regiert hätte: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs standen sieben SPD-Mitglieder an der Spitze der Stadt – einer mehr als CDU-Amtsinhaber. Steffen Mues ist seit 13 Jahren Stadtoberhaupt und die SPD sieht sich traditionell in der Herausforderer-Rolle. Die wird allerdings erstmal von den zunehmend selbstbewussten Grünen in Frage gestellt: Michael Groß’ Ziel ist die Stichwahl – und dabei kann, zumindest theoretisch, alles passieren. Man erinnere sich an die Landratswahl 2014.
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Je mehr Kandidaten antreten, desto wahrscheinlicher ist es, dass es eine Stichwahl geben wird. Vier Personen aus Siegen und ein Freudenberger bewerben sich um das Bürgermeisteramt der Universitätsstadt, vier Männer und eine Frau. Wir stellen die Kandidatin und die Kandidaten vor – die Reihenfolge ist willkürlich.
Siegener Bürgermeister Steffen Mues: Eine Stadt ist nie fertig
Steffen Mues ist keiner, der auf halbem Wege aufhören will. Zahlreiche Projekte und Entwicklungen hat der Amtsinhaber seit 2007 angestoßen, bei vielen steht die Umsetzung an, „das möchte ich fortsetzen und zu Ende bringen“, sagt der Bürgermeister.
Für ihn und seine CDU gebe es in Siegen nicht das eine Schwerpunktthema: Schulen, Straßen, Kita-Plätze, Radwege, eine insgesamt attraktive Stadt – „die Bürger sollen sich insgesamt wohlfühlen“, sagt er, daran will er arbeiten. „Eine Stadt ist nie fertig.“ Digitalisierung der Verwaltung, mehr Wohn- und Gewerbeflächen, Stadtentwicklung mit der Uni – Themen für eine nächste Amtszeit gibt es genug.
Steffen Mues ist ein leutseliger Mensch, er kann gut mit den Leuten; gleichzeitig bringt er etwas „Präsidiales“ mit. Wenn der Bürgermeister das Wort ergreift, hat das Gewicht, nicht nur in politischen Sitzungen. Keine schlechten Eigenschaften für ein Stadtoberhaupt.
Und er ist Siegen-Patriot. In seiner Jugend war die Stadt wie gelähmt, erinnert sich Mues, viele zogen weg, sahen keine Perspektive – das hat sich gründlich geändert, nicht wenig davon ist auch sein Verdienst. Aber nicht nur: „Mindestens 80 Prozent der Entscheidungen werden mit großen Mehrheiten gefällt“, die versucht er zu erzielen – und, wo immer es geht, dabei stets ein offenes Ohr für die Belange der Bevölkerung zu haben. Das gelingt nicht immer: früher zu kommunizieren, früher alle einzubinden, den Konsens zu finden – daran will Mues arbeiten.
Der Wahlkampf 2020 ist ein anderer. Analoger, weil Veranstaltungen ausfallen – und auch digitaler, über die sozialen Netzwerke. Mues ist in der knappen Freizeit viel unterwegs und dankbar, dass seine Familie das mitträgt und ihn unterstützt. Ein Bürgermeisteramt ist ein zeitraubender Job, nicht nur im Wahlkampf. Seit Wochen ist Mues nachmittags unterwegs, klingelt an Haustüren, spricht mit den Menschen. Über die Spielplätze und Straßen direkt im Stadtteil, weniger über die großen Projekte. „Viele sagen: Zu meckern hab’ ich eigentlich nichts – ich wollte nur mal sagen ‘Hamse gut gemacht’“, erzählt er. Amtsmüde? Keine Spur, sagt Mues. „Der Job macht Riesenspaß. Es war die beste Entscheidung meines Lebens, Bürgermeister von Siegen zu werden.“
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SPD-Bürgermeisterkandidat Ingmar Schiltz sieht sich klar als Herausforderer
Ingmar Schiltz sieht sich klar in der Rolle des Herausforderers von Steffen Mues. „Die SPD hat in Siegen gute Arbeit gemacht“, sagt der Bürgermeisterkandidat; dahinter brauche man sich nicht zu verstecken. In der Kommunalpolitik gehe es um die Sache, auch parteiübergreifend, und die Sache liegt Ingmar Schiltz am Herzen.
Er ist nicht das, was man als Rampensau bezeichnen würde, das weiß Schiltz selber; eher der Manager, Strippenzieher aus dem Hintergrund. Schiltz arbeitet als Geschäftsführer seiner Fraktion im Rat, er kennt Politik und Verwaltung aus der Innensicht. Der Amtsinhaber verfüge naturgemäß über einen Bekanntheitsvorteil, „ich bin vielleicht auch nicht der größte Redner, aber ich habe ein Gespür für Menschen“, sagt er. Das treibt ihn an, das motiviert ihn: Mit guter Politik das Leben der Menschen verbessern. „Auch wenn’s pathetisch klingt“, sagt Schiltz, sonst ein eher nüchterner, pragmatischer Typ. „Es macht mir Spaß, wenn ich anderen helfen kann.“
Als Christ liegt Schiltz die Bewahrung der Welt genauso am Herzen wie Nächstenliebe – und beides fand er politisch in der SPD wieder, sagt er. Darauf bezieht sich auch sein Wahlkampfmotto: „Füreinander da sein“. Das stehe für vier Dinge: Den SPD-Grundwert der Solidarität, die SPD als Kümmerer („Das hat ein bisschen gelitten – da wollen wir wieder hin“), die Corona-Krise, in der Junge den Alten und Gesunde den Kranken halfen – und für ihn, Ingmar Schiltz, sein Politikverständnis, seinen Glauben.
Seine drei Hauptthemen – und die der SPD: Zuallererst Wohnungsbau. Not für Familien, Senioren, Studierende lindern, „Baulücken schließen reicht nicht aus“, sagt er, „man muss auch mal einen Baum fällen.“ Man müsse akzeptieren, dass Wohnraum fehle, dürfe den Klimaschutz nicht dagegen ausspielen. Und der wäre das zweite große Thema des Bürgermeisterkandidaten Schiltz: Verkehr raus aus der Innenstadt, nachhaltige Energieerzeugung und -einsparung, „aber nicht von heute auf morgen. Da sind dicke Bretter zu bohren.“
Siegen, Schiltz’ Geburts- und Heimatstadt, habe sich sehr positiv verändert, sagt er; diese Mischung aus Großstadt und ländlicher Umgebung mit kulturellen Angeboten und Vereinsaktivitäten – „eine unheimlich tolle Symbiose“, sagt Schiltz. Ein eingefleischter Siegener, der sich seit langen Jahren um die Belange seiner Stadt kümmerte – irgendwie war es da der logische nächste Schritt, als ihn seine Partei fragte, ob er als Bürgermeister kandidieren möchte.
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Und die Siegener sind auch nicht stur, wie es ihnen mitunter nachgesagt wird, findet Ingmar Schiltz: „Ich schätze Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Klarheit, Direktheit. Es wird nicht lange um den heißen Brei herumgeschwätzt.“ Als die SPD ihn fragte, ob er Bürgermeister werden wollte, hat er das natürlich erstmal mit seiner Familie besprochen. Und später auch mit Freunden. Einer seiner besten Freunde meinte geradeheraus: „Du bist doch keine Rampensau – willst du das wirklich machen?“ Ingmar Schiltz schmunzelt und hat eine Antwort: „Aber ich habe Ideen, von denen ich überzeugt bin, dass sie die Stadt nach vorn bringen und den Menschen nutzen würden. Dafür muss man keine Rampensau sein.“
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Michael Groß (Grüne) ringt gerne im Diskurs um die beste Lösung
Michael Groß kandidiert schon zum fünften Mal und diesmal will er es wissen. „Mein Ziel ist die Stichwahl“, sagt der Grüne Bürgermeisterkandidat, „ich will’s wirklich gerne machen.“
Die Grünen sind auch außerhalb des Wahlkampfs mit Infoständen präsent, zur Zeit eben noch mehr. Die Resonanz auf der Straße sei überwiegend positiv, sagt Michael Groß: „Viele finden gut, was wir machen.“ Auf Facebook das genaue Gegenteil. Die Grünen sind der Lieblingsfeind der äußeren rechten Ecke; egal was sie posten: „Grün“ ist für gewisse Kreise ein rotes Tuch. „Argumentieren ist da schwer, das ist oft unterste Schublade“, sagt Groß achselzuckend. Ein realistisches Bild der Stimmung in der Bevölkerung sei das nicht, im Gegenteil. „Die sind weit entfernt von allen Mehrheiten.“
Die Stimmung in der Bevölkerung sei vernünftig, findet Groß, „auch bei denen, die nicht unserer Meinung sind“. Er mag den Diskurs, das Ringen um den richtigen Weg, den Schlagabtausch, die Argumente, für eine möglichst gute Lösung. „Ich weiß nicht immer, was das Richtige ist. Ich möchte es rausfinden, zusammen mit anderen.“ Ihm mache das wirklich Spaß, die Auseinandersetzung, dass durch sein Handeln etwas für die Allgemeinheit besser wird.
Dafür steht er früh auf, sein Job als Geschäftsführer ermöglicht Groß zeitliche Flexibilität, „ich achte drauf, auch was Anderes zu machen als Politik“, sagt er. „Politik wird nicht besser, wenn man sie 24 Stunden am Tag macht.“
Michael Groß ist katholisch aufgewachsen, sein Engagement für den Umweltschutz entstand aus der christlichen Bewahrung der Schöpfung. „Die Politik glaubt immer, das Volk wolle keine Veränderungen“, sagt Groß und glaubt, dass gute Ideen den Menschen auch gut vermittelt werden müssen – es braucht halt Überzeugungsarbeit. „Die Dinge verändern sich, die Politik wird ja gerade auf dem Fahrrad überholt“, sagt er und meint damit die vielen Menschen, die das (E-)Fahrrad nutzen und immer mehr werden. Auch ohne hervorragend ausgebautes Radwegenetz, ein grünes Hauptthema für die kommende Wahlperiode. „Unsere Themen sind in der Gesellschaft ganz anders verankert als noch vor einigen Jahren.“ Darauf will er als Bürgermeister pochen: Nicht nur beschließen, sondern auch umsetzen – ein großes Manko derzeit, findet Groß. „Der Chef der Verwaltung ist verantwortlich dafür, dass das auch umgesetzt wird.“ Schon jetzt ist er einer der lautesten Kritiker der Jamaika-Koalition, der die Grünen selbst angehören: Die Klima-Grundsatzbeschlüsse liegen ihm am Herzen, er stellt sich quer, auch wenn es unbequem wird.
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Und auch Michael Groß gegenüber halten die unverblümten Siegener mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg: „Wenn, dann haben sie Probleme mit meinem Outfit“, sagt der Schnauzbartträger – aber so sehe er nun mal seit 30 Jahren aus, kein Grund sich zu verbiegen. Optisch biete er manchen Angriffsfläche, das werde ihm am Wahlkampfstand auch gesagt, er könne da aber drüber schmunzeln. „Wie ich aussehe kann ich nicht groß verändern. Ich kann versuchen, die Menschen zu überzeugen. Politik wird durch ein Jackett nicht zwangsläufig besser.“ Und außerdem sind die Haare ja auch schon ein Stück kürzer.
Mehr auf https://www.gruene-siegen.de/kommunalwahl-2020/unser-spitzenduo/
Melanie Becker will eine starke Linke, an der die anderen nicht vorbeikommen
Melanie Becker ist da ganz pragmatisch: Ohne eigene Bürgermeisterkandidatur ist es schwieriger, mit linken Inhalten im Wahlkampf durchzudringen. „Wenn man nicht kandidiert, wird man auch nicht zu Podiumsdiskussionen eingeladen“. Und außerdem – ein linkes Kernanliegen – bewirbt sich sonst auch keine Frau als Bürgermeisterin für Siegen.
Das Ziel ist zunächst, dass die Ratsfraktion möglichst stark wird, dass die anderen nicht so leicht vorbeikommen an den Linken. Während der vergangenen Wahlperiode gab es Wechsler, aktuell sind sie zu dritt, das kann gerne mehr werden. Die Ergebnisse bei vergangenen Wahlen seien immer erfreulich stabil gewesen, sagt Becker – es gebe offensichtlich eine Stammwählerschaft der Linken in Siegen.
Sie und ihre Kollegen sind viel auf der Straße, an Ständen, „mit Abstand und Handschuhen“. Auf der Oberstadtbrücke, in Geisweid, Weidenau, werben sie für ihre Politik, „im Moment Vollzeit“, sagt Becker, die für ihre Stadtratsfraktion und Bundestagsabgeordnete Sylvia Gabelmann arbeitet. Wenn irgendwas ist, muss im Zweifel die Kandidatin ran, „das ist schon ein anderer Druck, wenn man selbst an vorderster Front steht“, sagt sie.
Der Slogan „Wann, wenn nicht jetzt“ steht für so vieles, was aus linker Sicht vernachlässigt wurde: Vor allem bezahlbarer Wohnraum, findet Melanie Becker, das kennt sie selber noch, das Studium an der Universität Siegen ist noch nicht lange her – und das betreffe längst nicht nur Studierende. Wozu es führe, wenn der Staat die Dinge aus der Hand gibt und der Markt übernimmt – hier lässt es sich beobachten, findet sie. Und findet es nicht gut. Die Situation im ÖPNV auch nicht: „Die Leute reisen aus dem Umland für einen Termin beim Jobcenter zwei Stunden mit dem Bus an.“ Antirassismus ist Melanie Becker ein Herzensanliegen, „das wird viel zu schnell wieder vergessen“, sagt sie. Und lobt den Amtsinhaber für dessen klare Position gegen Rassismus.
Politisch sozialisiert wurde Melanie Becker als Jugendliche über den Tierschutz. Zuhause sitzen und meckern ist der falsche Weg, entschied sie, fand irgendwann zur Linken, weil die Parteiprogrammatik ihr auf Anhieb zusagte. Bald nach dem Parteieintritt saß Becker auch schon in der Fraktion.
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Der Siegener Rat ist nicht der Bundestag, „wir arbeiten lösungsorientiert“, es geht um konkrete Belange der Bevölkerung. „Fundamentalopposition muss nicht sein, uns ist immer am Kompromiss gelegen: Damit die Bürgerinnen und Bürger zufrieden sind“, sagt sie.
Henning Zoz (AfD) will mehr für die „eigenen Leute“ tun
Henning Zoz sieht die Demokratie in Deutschland am Abgrund und fürchtet um die Zukunft der Kinder. Er stellt die Familie in den Fokus: „Wir sind nicht in der Lage, uns selbst zu reproduzieren“, sagt der AfD-Kandidat, die „deutsche Familie“ sei unbedingt zu erhalten und zu stärken, werde aber gerade massiv geschwächt. Kitas und Seniorenheime seien der falsche Weg, „wir wollen die Familie zurück“.
Zoz polarisiert. Er wettert gegen „Gender-Gaga“, „Klima-Wahn“, Multikulti sei gescheitert. „Es gibt Dinge, die vernünftig laufen“, sagt er, um das deutsche Gesundheits-, Rechts- und Sicherheitssystem „beneidet uns die ganze Welt. Wir bauen’s nur gerade ab.“ In Kindergärten und Schulen würden deutschstämmige Kinder in die Minderheit gedrängt, während Kirchen leer blieben und gleichzeitig Moscheen wie Pilze aus dem Boden sprössen. Insbesondere mit Multikulti werde falsch umgegangen, „fremde Kulturen“ dürften nicht die Dominanz erlangen, gerade mit dem Islam „holen wir uns eine Religion ins Land, die zu unserem demokratischen Grundverständnis nicht passt“. Die Schuld trage die Gesellschaft, die das ermögliche.
Entsprechend fallen die Reaktionen aus. Lust an der Provokation habe ihm schon immer gelegen, sagt er – bei einer Podiumsdiskussion unter Corona-Schutzbedingungen tauchte er mit der Maske von Star-Wars-Bösewicht Darth Vader auf, zeigte den Landtagsabgeordneten Jens Kamieth an, weil der eine „Todwünschung“ seiner Person bei Facebook „geliked“ hat. Manche finden das wehleidig für einen Satz, mit dem sich Kegelbrüder begrüßen könnten (sinngemäß „Dich soll der Blitz beim Sch… treffen“, Red.). Das habe ihn aber erschüttert.
Für Siegen will Zoz teure Prestigeprojekte absagen und das Bürgermeisteramt „für die gute Sache einsetzen“, wie er sagt: Er will auf das Gehalt verzichten und als erste Amtshandlung am Siegener Bahnhof Pfandsammler finden, „die froh über mein Gehalt sind“. Politik sei dominiert von ideologischen Themen wie dem Klimawandel, er wolle ein Zeichen setzen, dass sich wieder um die „eigenen Leute“ gekümmert werde. Das gelte auch für andere Politikbereiche, die nicht von Vernunft, sondern Ideologie geleitet seien.
Pauschalisierungen seien immer schlecht, findet Zoz, der sich und die AfD von den anderen Parteien unfair behandelt und diffamiert sieht, die er aber, auf seiner Homepage etwa, in scharfen Worten angreift. „Wir sind alle verantwortlich für ein vernünftiges Miteinander, wir sind eine zugelassene Partei, ich bewege mich auf der Plattform des demokratischen Diskurses.“ An manchen Stellen seien aber Grenzen überschritten: Auch die Siegenerin Gudrun Tschoeltsch will er noch anzeigen, weil sie in einer Zeitungsanzeige dazu aufrief, ihn nicht zu wählen und an „dunkle Zeiten der deutschen Vergangenheit“ erinnerte: „Das ist unwürdig.“
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