Siegen. Am ersten Tag als Auszubildender tritt Kevin Berg gegen Klaus Gräbener und den Siegener Stadtrat Arne Fries an: Kassieren für den guten Zweck.

„Die armen Kunden“, sagt Klaus Gräbener und lacht unter seiner Corona-Maske. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen soll gleich an der Kasse in der Lidl-Filiale Hagener Straße Platz nehmen. Und es lastet ein gewisser Erfolgsdruck auf seinen Schultern – bei gleichzeitiger völliger Unerfahrenheit: Alles, was Gräbener innerhalb von zehn Minuten über den Kassenscanner zieht, kommt dem guten Zweck zu Gute. Seine „Kontrahenten“, der Siegener Stadtrat Arne Fries und der frischgebackene Lidl-Azubi Kevin Berg, haben kaum mehr Erfahrung.

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Fries ist kurzfristig für den Siegener Kämmerer Wolfgang Cavelius eingesprungen – der hätte Erfahrung mit Kassen gehabt. „Dafür hab’ ich Wettkampferfahrung“, sagt der ambitionierte Freizeitsportler. Und Kevin Berg hat immerhin zuletzt an einer Tankstelle im Ruhrgebiet gejobbt und hat damit schonmal einen Vorsprung. Direkt am ersten Tag ins kalte Wasser geworfen zu werden – „hätte ich auch nicht mit gerechnet“, sagt der 33-Jährige grinsend.

Kassierte Summe geht als Spende an Alternative Lebensräume Siegen

Aber es geht ja nicht in erster Linie um den Wettbewerb, sondern die gute Sache. Die Beträge, den die drei in ihren jeweils zehn Minuten kassieren, spendet die Lidl-Regionalgesellschaft Siegen an die gemeinnützige „Alternative Lebensräume“. Entstanden ist die Idee, weil Lidl eigentlich zum Ausbildungsstart eine große Feier für die Nachwuchskräfte veranstaltet – die musste coronabedingt ausfallen, sagt Christopher Schaal, in der Regionalgesellschaft zuständig für Aus- und Weiterbildung. Und so kamen sie auf die Idee mit dem Kassierwettbewerb. „So ein Schreiben hatte ich vorher auch noch nicht bekommen“, sagt Klaus Gräbener.

IKarin Kromberg, Klaus Gräbener, Sonja Becker, Arne Fries und Kevin Berg: 500 Euro für die gute Sache.
IKarin Kromberg, Klaus Gräbener, Sonja Becker, Arne Fries und Kevin Berg: 500 Euro für die gute Sache. © Hendrik Schulz

Er macht den Anfang. „Wir sorgen schon dafür, dass der Kundenstrom nicht versiegt“, sagt Personalleiterin Karin Kromberg. Im Zweifel stehen erfahrene Kollegen bereit – oder sie machen auch mal eine Kasse zu, je nach dem, wie sich die drei schlagen. Neben Gräbener steht Filialleiter Gianni Favaretto und erklärt die einzelnen Schritte, Berg und Fries gucken ihm über die Schulter. Bei ihr werde etwas langsamer abkassiert, erklärt Verkaufsleiterin Katharina Osthues der ersten Kundin, aber ist ja für den guten Zweck.

Siegener IHK-Chef: Respekt für Kassenpersonal

„Einfach drüberziehen“, rät Gianni Favaretto dem IHK-Chef, der ein Paket Wasserflaschen im Einkaufswagen übersehen hat und den Strichcode an einer Joghurt-Verpackung sucht. „Dann wollen wir den mal testen!“, ruft der nächste Kunde fröhlich, als er hört, wer da heute an der Kasse sitzt. „Vielen Dank für ihre Geduld“, sagt Gräbener beim Abkassieren, während Filialleiter Favaretto Stück für Stück, Schritt für Schritt die Abläufe erklärt. „Apfeltaschen, Menge 3, Nummer 919, Taste PLU, zwei mal ‘bar’ und ‘OK’, dann geht die Kasse auf.“

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„Man bekommt Respekt für diese Aufgabe“, sagt Gräbener, als seine zehn Minuten um sind, „ein Gefühl dafür, an was man alles denken muss.“ Der Kunde sieht immer nur die routinierten Bewegungen, das blitzschnelle auswendig eintippen der Obst-Nummern, jeder Handgriff sitzt, das Fließband kommt kaum zum Erliegen. Wie routiniert das alles ist, sieht man erstmal, wenn ein absoluter Frischling an der Kasse ist. Früher mussten die Beschäftigten das Wechselgeld auch noch im Kopf ausrechnen.

Azubi ist wieder zurück in der Siegener Heimat

Arne Fries lässt bei seinem ersten Kunden den Eierkarton zu lange auf dem Scanner liegen, der wird zweimal gebongt und muss einmal wieder storniert werden. Auch bei ihm haben die Kunden viel Zeit, um ihre Einkäufe säuberlich einzupacken. Die Joghurt-mit-der-Ecke-Packungen gehen dem Stadtrat aber flott von der Hand, „die sind schwer zu scannen“, sagt Filialleiter Favaretto.

Ohne die Unterstützung vom Filialleiter wäre Klaus Gräbener vermutlich aufgeschmissen.
Ohne die Unterstützung vom Filialleiter wäre Klaus Gräbener vermutlich aufgeschmissen. © Hendrik Schulz

Kevin Berg kommt seine frische Kassier-Erfahrung zugute; es ist schon etwas anderes als an der Tankstellenkasse meint er – aber er schlägt sich gut. „Trotzdem habe ich die ganze Zeit gedacht: ‘Tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid, ich habe das noch nie gemacht’“, sagt er grinsend. Er ist froh über die Chance, dass er diese Ausbildung in seinem Alter in der Heimat antreten kann, sagt er. Zuletzt lebte Berg in Bochum. In der ersten Woche, nach dem Schnellkurs kassieren, lernt er den Markt und die Kollegen kennen, wird geschult, arbeitet sich ein.

Große Nachfrage nach Ausbildungsstellen bei Lidl-Regionalgesellschaft Siegen

Bis zuletzt habe man enormen Zulauf an Ausbildungsinteressenten erfahren, sagt Karin Kromberg, bis kurz vor Start des Lehrjahrs habe man noch eingestellt.

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500 Euro, aufgerundet, überreicht Karin Kromberg schließlich als Scheck an die Alternative Lebensräume. Kevin Berg hat die Unternehmensehre souverän verteidigt und 126,77 Euro in seinen zehn Minuten abkassiert. Auf Platz zwei kommt Stadtrat Arne Fries mit 114,72 Euro – „ich hatte viele Zigaretten und Schuhe“, sagt er. Bei Klaus Gräbener sind es 52,16 Euro – seine Mitbewerber konnten immerhin schon ausgiebig beim Zuschauen lernen.

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