Siegen. Siegener Biologinnen erforschen, was die Reste von Zahnpasta und Sonnencreme anrichten.

Silbernanopartikel in Gewässern beeinflussen die natürliche Feindabwehr von Wasserflöhen. Das haben Biologinnen der Universität Siegen erstmals nachgewiesen. Ihre innovative Studie wurde in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Die Wasserflöhe

Daphnien – gemeinhin Wasserflöhe genannt – tummeln sich weltweit in Seen, Tümpeln und Flüssen und stehen in der Nahrungskette recht weit unten. Um sich vor ihren Fressfeinden zu schützen, wehren sich manche Arten, indem sie lange Stacheln, spitze Helme oder Nackenzähne ausbilden. Diese bewirken, dass Feinde die Krebstierchen nicht so leicht schlucken können.

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„Die Ausbildung der Stacheln, Helme oder Nackenzähne zur Feindabwehr wird durch so genannte Kairomone gesteuert. Das sind chemische Signalstoffe, die Raub-Fische ins Wasser abgeben. Daphnien können diese Informationen wahrnehmen – ist der Räuberdruck groß und die Kairomonen-Konzentration im Wasser entsprechend hoch, bilden sie mit jeder Häutung größere Abwehrstrukturen aus. Mit ihren langen Stacheln bleiben sie den Fressfeinden dann förmlich im Halse stecken“, erklärt Prof. Dr. Klaudia Witte.

Ideal zum Forschen

Wasserflöhe sind für solche Untersuchungen bestens geeignet: Die nur ein bis fünf Millimeter großen Tierchen verfügen über komplexe Fähigkeiten, ihr äußeres Erscheinungsbild an Umwelteinflüsse anzupassen.

Die Untersuchung

Die Biologinnen Prof. Dr. Klaudia Witte und Dr. Sarah Hartmann haben über einen längeren Zeitraum mögliche Einflüsse von Nanopartikel auf die Wasserflöhe beobachtet. Die Untersuchung war Teil des interdisziplinären Verbundprojektes FENOMENO. Dr. Sarah Hartmann, hat die Studie im Rahmen ihrer Dissertation am Institut für Biologie der Universität Siegen umgesetzt. Es handelt sich um die erste Studie, die eine Wechselwirkung zwischen natürlichen Substanzen und künstlich vom Menschen erzeugten Nanopartikeln zeigt.

Mindestens tausend Wasserflöhe hat hat Sarah Hartmann zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Anna Beasley dafür im Labor mikroskopisch untersucht. Jede einzelne Aufnahme eines Wasserflohs wurde manuell ausgewertet. „Damit waren wir über ein Jahr beschäftigt, aber der Aufwand hat sich gelohnt“, sagt Sarah Hartmann, die ihre Promotion inzwischen mit „Magna cum laude“ abgeschlossen hat. Die Ergebnisse der Studie wurden außerdem in der renommierten Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Das Ergebnis

Denn die Biologinnen der Universität Siegen haben durchaus eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Winzige Silbernanopartikel, die in Gewässer gelangen, haben einen negativen Einfluss auf die Feindabwehr der Daphnien.

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Nanomaterialien sind in vielen alltäglichen Gebrauchsgegenständen enthalten, von Zahnpasta und Sonnencreme über Verbandsmaterial bis hin zu Funktionsbekleidung. Über das Wasch- und Abwasser gelangen Nanopartikel, tausend Mal dünner als ein menschliches Haar, in die Umwelt. Während erwachsene Tiere die bekannten Abwehrstrukturen nach wie vor ausbilden, zeigen ihre Nachkommen diese Reaktion unter dem Einfluss von Silbernanopartikeln nicht mehr. Ihre Generation ist also schutzlos Fressfeinden ausgeliefert. „Das Ergebnis hat uns selbst überrascht und ist hochspannend, weil es zeigt, dass es durchaus einen Effekt hat, wenn künstliche Stoffe wie Silbernanopartikel in Gewässer gelangen“, erklärt Dr. Hartmann.

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Die Folgen

Auf die Wasserfloh-Population – und damit auf die komplexe Nahrungskette in Gewässern – hat das dramatische Auswirkungen. Warum die Anpassungsreaktion der Wasserfloh-Nachkommen nicht mehr funktioniert, wenn neben den Kairomonen auch Silbernanopartikel im Wasser sind, ist indes noch unklar. „Möglicherweise beeinflussen die Partikel bei den Nachkommen Genaktivitäten, die den Mechanismus steuern – es könnte sein, dass das Abwehr-Programm aus diesem Grund nicht so ablaufen kann, wie bei den Muttertieren. Aber genau wissen wir das derzeit noch nicht“, sagt Hartmann.

Sie sieht zahlreiche Ansätze für weitere Arbeiten – beispielsweise um herauszufinden, ob außer den Silbernanopartikeln auch andere Nanopartikel auf Wasserorganismen wirken. Unklar ist derzeit ebenfalls noch, ob sich an der Wirkung der Partikel etwas verändert, wenn diese zuvor eine Kläranlage durchlaufen haben.

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