Achenbach. Der Heimatverein Achenbach wird Reallabor für die Siegener Uni. Das ist ausgesprochen nützlich – für alle Beteiligten,
Es war schon ein bunter Haufen, der sich im Restaurant Net(t)werk des Heimatvereins Achenbach versammelt hatte. Professoren und Studierende der Universität, Politiker, Mitglieder des Heimatvereins und Menschen aus dem Stadtteil waren zur Eröffnung des Reallabors im Begegnungsrestaurant am Heidenberg zusammengekommen.
Gespannt warteten sie darauf, dass die Verantwortlichen den offiziellen Startschuss für das gemeinsame Projekt von Uni und Heimatverein abgaben – und erklärten, was es damit eigentlich genau auf sich hat. Stattdessen fragte Initiator Philip Engelbutzeder seinerseits: „Was machen wir hier eigentlich?“Hier gibt es mehr Artikel und Bilder aus dem Siegerland
Das ist das Reallabor
„Was ist eigentlich ein Reallabor?“, das habe ihn Günther Langer auch schon mehrfach gefragt, legte Engelbutzeder nach“. Das könne er nicht klar sagen, es sei an Uni und Heimatverein, an der Zivilgesellschaft insgesamt, das herauszufinden. Eine gewisse Vorstellung hat der Doktorand der Verbraucherinformatik aber natürlich doch. Der Ansatz eines Reallabors ist die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft im Rahmen von konkreten Projekten. Dabei sollen Erkenntnisse für die Wissenschaft herausspringen aber auch eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschen vor Ort. Die gewonnenen Erkenntnisse können wiederum an anderen Stellen in der Region genutzt werden und fließen in den internationalen wissenschaftlichen Diskurs ein.
Das Reallabor stellt für die Universität außerdem eine Möglichkeit da, weitere Forschungsvorhaben nach Siegen zu holen und attraktiv für Studierende zu sein. Die Studierenden könnten ihr „Studium mit dem echten Leben verbinden“, erklärt Engelbutzeder. Vom Engagement der Studierenden profitiere wiederum die Zivilgesellschaft.
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Diese Rolle spielt Corona
Sichtbar geworden sei das Potential dieses Ansatzes im Zuge der Essensverteilung während der Coronakrise. Die Studierenden halfen in Achenbach dabei und unterstützten so ganz konkret die Menschen vor Ort. Eine Studentin schreibt ihre Masterarbeit über den „Fairteiler“ und erhofft sich weitere Erkenntnisse aus der Arbeit in Achenbach. Außerdem entstand aus der reinen Essensverteilung die weitergehende Idee eines Gartens, in dem die Menschen lernen, Essen selbst anzubauen und zu teilen.
Wichtig dabei sei immer das „Miteinander“, erklärte Engelbutzeder „Spannend wird herauszufinden, was wir gemeinsam unter einem Reallabor verstehen“.
Das hat die Uni damit zu tun
Die offizielle Eröffnung des Reallabors sei im Grunde eine Folge der Corona-Pandemie, stellte auch Günther Langer, Vorsitzender des Heimat- und Verschönerungsvereins Achenbach, fest. Durch die Krise sei man zusammengewachsen und habe festgestellt, dass man gemeinsam mehr bewegen könne.
„Wir sind kein klassischer Heimatverein“, sagte Langer. Neben der Heimatkunde beschäftige sich der Verein in Achenbach mit sozialen Projekten. Vor Corona jedoch habe er sich gar nicht vorstellen können, was eigentlich möglich ist. „Die Jugend hat es einfach gemacht“, lobte er das Engagement von Studierenden. In Kooperation mit Initiativen wie Solina und Foodsharing Siegen habe man teilweise 170 Menschen am Tag mit Essen versorgt – „einzigartig“.
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„Es macht mich ein bisschen stolz wenn ich sehe, was unsere Universität lostritt“, sagte Ulf Richter, Kanzler der Uni Siegen. Mit der universitären Arbeit verbänden viele Menschen das Bild des Elfenbeinturms. Die Uni sei weit weg von den Menschen und habe nicht viel mit dem realen Leben zu tun, skizzierte Richter die Klischees – und stellte klar: „Wissenschaft muss immer auch den Menschen dienen.“
Das soll erreicht werden
Konkret fuße das Reallabor in Achenbach auf drei Säulen, erklärte Philip Engelbutzeder:
Reparieren,
Verteilen,
gemeinsam Lernen.
Viel zu viele Produkte würden in der heutigen Gesellschaft einfach weggeworfen. Wenn Menschen beispielsweise ihren Dachboden aufräumten, müsse überflüssiges und kaputtes Zeug dann auch sofort weg. Dinge stattdessen zu reparieren, etwa in Repair-Cafés und die Lieferketten aufzubauen, um sie abholen und an Bedürftige verteilen zu können, sei eine wichtige Aufgabe der Zivilgesellschaft. Gesetze, die das Wegwerfen von Lebensmittel verbieten, werde es nicht oder zumindest nicht so bald geben, sagt Engelbutzeder. Deshalb müsse die Bevölkerung selbst Lösungsansätze liefern. „Durch die Coronakrise gibt es dafür jetzt Gehör“, sagt Engelbutzeder.
Soziale Gruppen und Softwaresysteme
Die Kooperation zwischen Uni und Heimatverein begann mit der Sozioinformatik.
In diesem Forschungsfeld werden die konkreten Praktiken, Bedürfnisse und Interessen der Menschen betrachtet. Ziel ist, eine (digitale) Umgebung zu gestalten, die ökonomische, ökologische und soziale Beziehungen gelingen lassen kann.
Forschungsansätze sind zum Beispiel „IT für die alternde Gesellschaft“ oder ,‚IT zur Dekarbonisierung von Produktion und Konsum“.
Die Ziele des Projekts lassen sich ebenfalls in drei Aspekte aufteilen:
Erstens müsse eine Region eine eigenständige und starke Wirtschaft haben, die sich aus vielen lokalen Säulen zusammensetzt.
Zweitens müsse ehrenamtliche Arbeit gestärkt werden.
Drittens soll langfristig ein Netzwerk von vielen Reallaboren aufgebaut werden, die gemeinsam noch besser an der Verbesserung der regionalen Lebensbedingungen arbeiten könnten.
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Das gibt es schon
Im Sozialkaufhaus können sich Menschen für wenig Geld neu einkleiden. Gleichzeitig finden Menschen hier Arbeit – und das Gefühl, gebraucht zu werden.
In der unteren Etage gibt es Sozialwohnungen, darunter entsteht ein Jugendraum.
Den Garten bezeichnete Günther Langer als das „Herzstück“ des Projekts. Darin entsteht ein begehbares Baumhaus. Außerdem werden dort Lebensmittel angepflanzt, bei Schulungen können Menschen lernen, wie das geht, und natürlich können die erzeugten Produkte auch mitgenommen werden. Dabei erfolge keine Prüfung auf Bedürftigkeit und auch das Maß der eingebrachten Arbeitsleistung könne jeder selbst bestimmen. Im Garten seien bereits interessante Prozesse zu beobachten gewesen, sagt Philip Engelbutzeder. „Teilen ist keine selbstverständliche Praxis in unserer Gesellschaft“. Günther Langer formuliert es etwas anders: „Wir wollen das so offen wir möglich gestalten“. Der Mittelpunkt des Stadtteils soll hier entstehen – das Reallabor soll zukünftig dabei helfen.
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