Siegen-Wittgenstein. Auch die Bürgermeister machen den Kita-Trägern das Leben schwer: Sie wollen Zuschüsse kürzen.

Die 30.000 Masken vom Land kamen am Samstag, die Datei mit den Adressen der Kitas wurde am Montag nachgereicht, als der Betrieb in den Einrichtungen eigentlich schon wieder losgehen sollte.

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Im Jugendhilfeausschuss zeigte sich Jugendamtsleiterin Pia Cimolino relativ sprachlos – Einzelexemplare, die unverpackt aus dem Pappkarton von dem Autoausrüster aus Bielefeld kamen, hatte sie den Ausschussmitgliedern mitgebracht: als „Filtermedien“ bezeichnete Fliessstücke, für Nasenclips zu verwendende Metallstreifen und 1,20 Meter lange Gummibänder. Dazu je Bausatz eine bebilderte, zwei DIN-A-4-Seiten starke Bastelanleitung: „Scheiden Sie aus dem Gummiband mit drei Schnitten vier Stränge gleicher Länge...“

Die Bürgermeister-Idee: Freiwillige Zuschüsse kürzen

„Ein Unding“, kommentierte Pia Cimolino die Gabe der Landesregierung, „die Erzieherinnen haben wahrlich Besseres zu tun.“ Die AWO habe die für sie bestimmten Sendungen gar nicht erst abgeholt, berichtete deren stellvertretender Geschäftsführer Jens Hunecke, „weil die de facto nicht zu nutzen sind“. Die meisten Kita-Träger hätten sich im Vorfeld auf eigene Kosten mit Schutzmasken eingedeckt, „sonst hätten sie am Montag nicht geöffnet“.

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Das Land zahlt mehr für die Kitas, senkt die von den Trägern zu leistenden Anteile, beteiligt aber die Kommunen an den Mehrausgaben. Die wiederum holen sich einen Teil davon zurück, indem sie die freiwillige Übernahme der Trägeranteile reduzieren. Zuerst hatte das die Stadt Siegen mit ihrem eigenen Jugendamt versucht, die Träger werten sich – weitgehend – erfolgreich: Der prozentuale Betriebskostenanteil sei zwar reduziert, argumentierten sie, die absoluten Kosten aber seien gestiegen, sodass das Finanzierungsloch unterm Strich gleich groß bleibt.

Vom Kreis Siegen-Wittgenstein fließt kein zusätzliches Geld

Die Bürgermeisterkonferenz hat jetzt die Siegener Auseinandersetzung auf die Kreisebene gehoben – mit der Aufforderung, die Rahmenvereinbarung mit den evangelischen Kirchenkreisen zu kündigen. Damit stoßen die Stadtoberhäupter auf Granit: Einstimmig wies der Ausschuss das Ansinnen zurück. „Wir fühlen uns benutzt“, sagte Kornelia Busch-Pfaffe (CDU), „das ist nicht unsere Aufgabe.“ Denn tatsächlich fließt vom Kreis kein zusätzliches Geld.

Kita-Fakten

Die neue Caritas-Kita St. Cäcilia in Irmgarteichen und die ALF-Kita Wicki in Dahlbruch, die gerade in einem Container-Provisorium gestartet ist, sind die neuen Familienzentren 28 und 29 im Jugendamtsbezirk Siegen-Wittgenstein (Kreisgebiet ohne Stadt Siegen). Die Elterninitiative, die Träger der Kita Purzelbaum in Netphen ist, hat auf eine weitere Zertifizierung als Familienzentrum verzichtet.

Die Zahl der plusKitas, die benachteiligte Kinder besonders fördern können, wird von acht auf 17 erhöht. In jeder Kommune soll es mindestens eine Einrichtung dieser Art geben.

Im neuen Kita-Jahr werden 7039 Kinder in Kitas und Tagespflegestellen betreut. Das sind 197 mehr als 2019/20.

Die freiwilligen Zuschüsse überweisen die Städte und Gemeinden direkt an die Kita-Träger. „Wir betreten sehr wackligen Boden“, warnte Elfrun Bernshausen (SPD). Tatsächlich gibt es allerdings eine Verbindung zwischen Kommunen und Kreis: Wenn der Kreis mehr Geld für den Kita-Betreib aufbringen muss (und die Träger weniger), holt er sich das über die Kreisumlage von den Kommunen zurück. Wie auch die 447.000 Euro, die in diesen Monaten an Elternbeiträgen zu Lasten des Kreises ausfallen.

Kita-Träger im Siegerland warnen

Die Träger dürfen eine etwaige Kürzung durch die Kommunen nicht mit den vom Land überwiesenen Mitteln ausgleichen, stellte Jens Hunecke (AWO) klar. „Sie müssten Spenden einwerben oder Waffeln backen“, folgerte Horst Löwenberg (DPWV). Eigentlich, so Oliver Berg vom Kirchenkreis Wittgenstein, dürfe es überhaupt keine Trägeranteile geben. Der Betrieb von Kitas sei kommunale Aufgabe. Deren Rückzug von der Übernahme der Trägeranteile könne „nicht ohne Folgen bleiben“. „Wo sollen die Träger das Geld hernehmen?“, fragte Horst Löwenberg. Bernd Zimmermann (BDKJ): „Das können wir dann auslöffeln.“

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Sollte heißen: Wenn kirchliche und andere freie Träger sich zurückziehen, müssten Kreis oder Städte und Gemeinden in die Bresche springen. Dafür zahlt das Land dann aber nur 79 Prozent (statt 88 bei den Kirchen, 91 Prozent bei anderen freien Trägern und 96 Prozent bei Elterninitiativen).

Die Systemrelevanten: Aufwertung für Tagespflege

Wie wenig Lust das Jugendamt und sein Ausschuss haben, Trägern von Kinderbetreuung das Leben schwer zu machen, zeigt sich auch an einem weiteren Thema: Einstimmig sprach sich der Ausschuss dafür aus, auch privaten Großtagespflegestellen und privaten Tagespflegepersonen ebenfalls Zuschüsse zu ihren Mietkosten zu gewähren – bisher gab es das Geld nur für freie Träger mit angestelltem Personal. „Je besser die finanzielle Ausstattung ist, desto attraktiver ist es, sich in dem Bereich selbstständig zu machen“, sagte Jugendamtsleiterin Pia Cimolino.

Gerade jetzt, im eingeschränkten Regelbetrieb nach dem Corona-Lockdown, zeige sich die Notwendigkeit von Tagespflege in Randzeiten, sagte Sozialdezernentin Helge Klinkert. „Wir reden doch seit Wochen über systemrelevante Berufe.“ Abgesehen davon sei Tagespflege eine Alternative, wenn eine neu geplante Kita nicht rechtzeitig fertig werde. „Übergangseinrichtungen sind richtig teuer.“

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