Siegen. Zwei Wissenschaftler der Uni Siegen erklären das Interesse an Verschwörungstheorien in der Corona-Krise - und wie man mit Anhängern spricht.
Warum haben Verschwörungstheorien in der Corona-Pandemie Hochkonjunktur? Das haben Psychologe Prof. Andreas Kastenmüller und Literaturwissenschaftler Dr. Niels Penke von der Universität Siegen am Beispiel des prominenten Kochs Attila Hildmann untersucht und Antworten gefunden, wie es in einer Mitteilung der Universität heißt.
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Das Ende der Demokratie hatte der Koch und Buchautor für den 15. Mai angekündigt. Eine neue Weltordnung sollte beginnen. Hildmanns Feindbild: Microsoft-Gründer Bill Gates, der mit seiner Stiftung eine Gesundheitsdiktatur errichten wolle. Passiert ist: Nichts.
In der Corona-Pandemie haben Menschen ein Bedürfnis nach Erklärungen
Doch Hildmann erreicht mit seinen Thesen über die sozialen Medien hunderttausende Menschen. Und er ist nicht der einzige, der solche Botschaften teilt. „Krisensituationen provozieren Verschwörungstheorien. Überall, wo wir es mit Unwissenheit zu tun haben, haben solche Erklärungen einfaches Spiel“, erklärt Niels Penke. Der Literaturwissenschaftler ist Koordinator der Forschungsstelle „Populäre Kulturen“ und beschäftigt sich mit den Ursprüngen und der Weiterverbreitung von Verschwörungstheorien. Er spricht von Verschwörungsmythen, „denn einem Faktencheck halten die Theorien nicht stand“.
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In der Corona-Pandemie hätten die Menschen ein Bedürfnis, Dinge zu erklären und vorherzusagen, erklärt Andreas Kastenmüller. „Das gibt ihnen zumindest die Illusion von Kontrolle“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Uni Siegen. Verschwörungstheorien könnten dabei ein positives Gefühl geben.
Verschwörungstheorien lassen sich leicht verarbeiten
Dass ein Virus durch eine Verkettung von Zufällen auf den Menschen überspringe und drastische Auswirkungen habe, akzeptierten Verschwörungstheoretiker nicht. „Sie erkennen Muster und schustern daraus Theorien zusammen. Je weniger Informationen ich habe – und im Falle des Coronavirus sind es sehr wenige – desto leichter ist es, eine eigene, zusammenhängende Geschichte zu entwickeln“, so Psychologe Andreas Kastenmüller. Für Verschwörungstheorien seien vor allem Menschen anfällig, die überwiegend intuitiv denken würden – und weniger analytisch. „Verschwörungstheorien sind beliebt, weil sie einfach zu verarbeiten sind“, sagt der Psychologe.
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Im Vergleich zu anderen Verschwörungstheorien wie dem Attentat auf John F. Kennedy oder dem Anschlag vom 11. September, um die sich auch viele Verschwörungstheorien ranken, sei die Beziehung zum Problem in der Corona-Pandemie anders, so Niels Penke. „Über soziale Medien verbreiten sich die Inhalte von Verschwörungstheoretikern wie das Virus selbst quasi exponentiell.“ Prominente wie Attila Hildmann oder der ehemalige RBB-Journalist Ken Jebsen erreichen eine Vielzahl an Menschen. Irgendwann werde das Thema von den klassischen Medien aufgegriffen. „Dann entsteht der Eindruck: Oh Gott, Verschwörungstheorien sind ja überall. Aber das ist ein Missverhältnis zwischen medialer Repräsentanz und der tatsächlichen Größe“, sagt Niels Penke.
Feindbilder der Verschwörungstheorien sind die Regierung, Medien und der Kapitalismus
Dennoch warnt er davor, das Thema auf die leichte Schulter zu nehmen. „Die historischen Folgen von erfolgreich implementierten Verschwörungstheorien kann sich jeder ansehen: etwa Ritualmordlegenden als historische Begründung eines Antisemitismus, der bislang nicht wieder aus der Welt verschwunden ist.“ Dahinter stecke immer ein „Wir gegen die“. Feindbilder können Regierungen, Medien oder der Kapitalismus sein, aber auch Gruppen wie Kranke.
Was aber soll ich tun, wenn im WhatsApp-Chat die Nachbarin zum Protest aufruft oder der Onkel in Bill Gates die Wurzel allen Übels sieht? Keine leichte Situation. „Anhänger und Anhängerinnen von Verschwörungstheorien sind schwer von anderen Meinungen zu überzeugen“, sagt Andrea Kastenmüller, „sie suchen selektiv nach Informationen, die zu ihrer Meinung passen.“ Einfach ignorieren ist nicht die beste Variante. „Wenn ich nichts sage, wird das als stillschweigendes Einverständnis angesehen. Man sollte auf jeden Fall sagen, dass man anderer Meinung ist“, so der Psychologe.
Dafür brauche es aber Zivilcourage und im Idealfall gute Argumente. Doch auch wenn einem letztere gerade fehlen, solle zumindest die eigene Haltung deutlich gemacht werden. Andreas Kastenmüller rät: „Auch wenn ich meinen Onkel nicht überzeugen kann: Vielleicht liest im Chat ja jemand mit oder hört am Tisch jemand zu, der seine Ansichten überdenkt.“
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