Siegen. Acht Stunden arbeiten ohne zu trinken? Für Paketzusteller Muhannad Ajaje aus Siegen im Ramadan normal - und doch ist wegen Corona vieles anders.

Von morgens 4 Uhr bis abends 21 Uhr auf Essen und Trinken verzichten und dabei acht Stunden arbeiten? Was Außenstehende zunächst verwundern mag, ist für Muhannad Ajaje im Ramadan ein normaler Tag. Seit Beginn des Fastenmonats am 23. April fastet der 25 Jahre alte Muslim von der Morgendämmerung an bis Sonnenuntergang täglich für rund 17 Stunden.

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Dass er seinen Job als Paketzusteller bei der Deutschen Post DHL in Siegen in dieser Zeit nicht ruhen lässt, ist für ihn jedoch selbstverständlich. „Am Anfang ist es schwer für mich“, sagt Muhannad Ajaje, „an den ersten zwei bis drei Tagen fühle ich mich sehr müde, aber dann wird es lockerer.“ Seit mehr als zehn Jahren faste er, gearbeitet habe er schon mehrmals während des Ramadan. „Ich bin es gewohnt.“

Fastengebot im Ramadan gilt für Muslime ab der Pubertät

Dem Gebot des Fasten seien Muslime ab dem Eintritt in die Pubertät verpflichtet, heißt es auf der Website des größten deutschen Islamverband Ditib. Es ist die dritte von fünf Säulen im Islam, zu denen auch das Glaubensbekenntnis zu Gott, das Gebet, die „Armensteuer“ und die Wallfahrt nach Mekka zählen. Neben dem Verzicht auf Nahrungs- und Genussmittel sollen Muslime im Ramadan auch enthaltsam sein. Ausnahmen vom Fastengebot sind zulässig, wenn die Gesundheit gefährdet ist, wie etwa bei älteren Menschen oder wenn Gläubige auf Medikamente angewiesen sind.

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Muhannad Ajaje fühlt sich fit und bereit zum Fasten. Sein Tag beginnt im Ramadan früher als gewohnt. Statt um 8 Uhr frühstücke er bereits vier Stunden eher. Um 9.45 Uhr beginnt dann seine Schicht. Besondere körperliche Anstrengung durch das Fasten spüre er beim Verladen und Zustellen der Pakete nicht. „Ich finde die Arbeit nicht so schwer“, sagt er.

Deutlich mehr Paketsendungen bei der Deutschen Post DHL in der Corona-Pandemie

Acht Stunden fährt er dann regulär in seinem gelb-roten Lieferwagen durch Siegen. In der Regel hätten die Pakete ein Gewicht unter zehn Kilogramm. Nur selten müsse er sehr schwere Postsendungen mitnehmen.
Seit einem Jahr arbeitet der aus Syrien geflohene Ajaje für die Deutsche Post DHL in Siegen. Während des Ramadan unterstützen Kollegen ihn und zwei andere fastende Mitarbeiter bei der Arbeit.

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Das ist auch geboten, denn in der Corona-Pandemie verzeichne die DHL bereits seit Ende März einen deutlichen Anstieg der Paketmengen im eigenen Netzwerk, teilte Sprecherin Jessica Balleer auf Anfrage dieser Zeitung mit. Bundesweit seien in den vergangenen Wochen teilweise rund neun Millionen Sendungen täglich bearbeitet worden. „Dies ist ein Aufkommen wie in der Vorweihnachtszeit“, so Balleer. Das sei in der Form jedoch nicht absehbar gewesen und es blieb wenig Zeit, übliche Vorbereitungen zu treffen. Die Paketzusteller in Siegen müssten derzeit etwa 40 Prozent mehr Sendungen zustellen, berichtet Balleer.

Viele Süßigkeiten: Ramadan endet am 23. Mai mit dem "Zuckerfest"

Die Corona-Pandemie beeinflusst aber auch das Fastenbrechen, Iftar genannt, als Abschluss eines Tages nach Sonnenuntergang. Normalerweise ein Gemeinschaftserlebnis im großen Kreis der Familie und Freunde, ist in diesem Jahr alles anders: denn auch für die fastenden Muslime in Deutschland gelten im Ramadan die Kontaktbeschränkungen.

Das Fasten bricht Muhannad Ajaje gegen 21 Uhr mit seinem Bruder in der gemeinsamen Wohnung. Auf den Teller kommen dann traditionell Datteln und Milch, doch der 25-Jährige kocht selbst gerne verschiedene Gerichte wie Humus oder Falafel. „Im vergangenen Jahr haben wir uns immer mit Bekannten getroffen“, sagt er, das vermisse er nun. Nach dem Essen telefoniere er täglich mit der Familie – seine Mutter und kleine Schwester lebten in Syrien, sein Vater auf Zypern. „Es ist schwer zurzeit.“

Früher hätten sie immer zusammen Süßigkeiten gebacken – zum „Zuckerfest“. Das bildet den Abschluss des Ramadan nach dem 23. Mai in einer Woche. Also was nimmt Muhannad Ajaje nun aus dieser Zeit mit? Fastende sollten lernen, mehr Mitgefühl mit armen Menschen zu haben. „Wir leben im Jahr 2020 und es gibt immer noch Menschen, die hungern müssen und kein sauberes Wasser haben. Daran sollte man immer denken.“