Siegen. Die Beratungsstelle an der Siegener Kinderklinik zieht Bilanz: Die Zahl der betreutenFamilien stieg um fast ein Drittel.
Die Ärztliche Beratungsstelle gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern und Jugendlichen an der Siegener DRK-Kinderklinik hat ihren Jahresbericht 2019 vorgestellt. Darin vermeldet Supervisorin und Kinder- und Jugendlichentherapeutin Antje Maaß-Quast, die Fachkraft der Einrichtung, mit 192 Fällen erneut gestiegene Fallzahlen für die Region.
„Die Gesamtzahl der betreuten Familien hat gegenüber dem letzten Jahr zugenommen, seit Anfang 2018 stieg die Fallzahl um mehr als 32 Prozent an“, erläutert Antje Maaß-Quast. Darüber hinaus haben 32 professionelle Helfer von Jugendämtern, Familienhilfeeinrichtungen, Schulen und Familientagesstätten kollegiale Beratung in Anspruch genommen.
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Wer ist betroffen?
Im Jahr 2019 bezogen sich 109 Beratungsanfragen auf Mädchen und junge Frauen, 83 Anmeldungen auf Jungen (2018: 104/70). Der Anteil der Beratung von Mädchen und Frauen an den gesamten Beratungsfällen beträgt damit 57 Prozent (2018: 60 Prozent). Der Anteil der Beratung von Jungen beträgt 43 Prozent (2018: 40 Prozent).
Größere Unterschiede der Meldezahlen nach Geschlechtern zeigen sich in diesem Jahr im Bereich der unter 3-jährigen Kinder, hier liegt die Fallzahl der Jungen deutlich über der Zahl der gemeldeten Mädchen. Wie auch in den Berichtsjahren zuvor dominieren ab dem Kindergartenalter die Anmeldungen der Mädchen.
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Wer meldet?
Bei Anmeldung wird zwischen Selbst- und Fremdmeldern unterschieden. Der Anteil von Selbstmeldern ist im Vergleich zum Vorjahr (37 Prozent) rückläufig und liegt bei 28 Prozent. Der Anteil der Fremdmelder hat mit 72 Prozent zugenommen (63 Prozent in 2018). Selbstmelder nehmen teilweise auf Anraten des Jugendamtes oder der Polizei Kontakt auf. Bei den Selbstmeldern überwiegen nach wie vor Mütter, bei den Fremdmeldern haben die Meldungen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter zugenommen.
Bei Krisen Hilfe in Anspruch nehmen
In der Zeit von Corona und der damit verbundenen Schließung von Kitas und Schulen haben viele Kinder und Jugendliche keinen oder kaum Kontakt mit Betreuungs- und Lehrkräften.
Daher bitten die Kinderschutzfachkräfte der Kinderklinik darum, in Krisensituationen im häuslichen Umfeld telefonisch oder persönlich Kontakt aufzunehmen und professionelle Hilfe jederzeit in Anspruch zu nehmen.
Worum geht es?
Misshandlungssyndrome wie sexueller Missbrauch, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung) machten mit 99 Prozent (2018: 94 Prozent) den weitaus größten Teil der Anmeldungen aus.
Bei 21 Prozent der Anmeldungen (2018: 34 Prozent) wurden häusliche Gewalt oder emotionale Misshandlung als einer der Anmeldegründe genannt.
Vernachlässigung wurde insgesamt in 10 Prozent der Fälle genannt (2018: 8 Prozent).
Beratungsbedarf für sexuell übergriffige Kinder und Jugendliche war in 15 Fällen der Anmeldegrund (2018: 7).
Bei den Mädchen stand wie im Vorjahr mit Abstand (62 Prozent) der Verdacht auf sexuelle Misshandlung an erster Stelle.
Bei den Jungen ging es in diesem Jahr bei den Anmeldungen vorwiegend um den Bereich der körperlichen Misshandlung (60 Prozent), gefolgt von dem Verdacht auf emotionale Misshandlung (34 Prozent). Der Verdacht auf sexuellen Missbrauch wurde in 29 Prozent der Anmeldungen bei den Jungen genannt (2018: 27 Prozent). Zugenommen haben die Meldungen bei den Jungen im Bereich der Abklärung sexueller Übergriffe/Misshandler (14 Fälle in 2019 zu 2 in 2018). Der überwiegende Teil der vorgestellten Jungen zu dieser Thematik lebte in einer Patchworkfamilie oder in Wohngruppen.
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Welcher Hintergrund?
„In den letzten Jahren sind Themen wie Kinder als Zeugen von Gewalt, familiäre Belastungen durch Drogen, Alkohol oder psychische Erkrankung eines Elternteils und zuletzt zunehmend eskalierte Trennungskonflikte in Scheidungsfällen hinzugekommen“, stellt Antje Maaß-Quast fest. Deutlich werde, dass Misshandlungssyndrome nicht isoliert betrachtet werden können. Viele begleitende Schwierigkeiten seien entweder unmittelbare Folge der Misshandlung oder Ausdruck genereller Belastung sowie mangelnder Ressourcen in den vorgestellten Familien. „Eine fundierte Beratung oder therapeutische Begleitung muss zwingend auch auf diese anderen Symptome eingehen“, heißt er in dem Bericht. „Hilfe statt Strafe ist unser primäres Ziel.“
Wo leben die Ratsuchenden?
Die Familien mit Beratungsbedarf kamen überwiegend aus der Stadt Siegen 40 Prozent (wie auch im Vorjahr) und dem Kreis Siegen-Wittgenstein 33 Prozent (2018: 39 Prozent). Der Anteil der Fallmeldungen aus dem Kreis Olpe ist im Jahr 2019 auf 18 Prozent angestiegen (von 13 Prozent in 2018). Weitere Meldungen kamen aus anderen Landesteilen sowie aus Rheinland-Pfalz und Hessen.
Wer zahlt?
Finanziert wird die Stelle zum Großteil von Mitteln der Stadt Siegen, des Kreises Siegen-Wittgenstein sowie vom Land NRW,außerdem durch Spenden. Die DRK-Kinderklinik Siegen stellt zudem die Räumlichkeiten zur Verfügung. im Dezember die zukünftige Finanzierung einer zusätzlichen halben Stelle durch den Kreis Siegen-Wittgenstein beschlossen.
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