Siegen. Apollo-Theater Siegen als abstandssicherer Raum: Sich versammeln, ohne zu gefährden – für Sitzungen oder Trauerfeiern in der Corona-Krise.

„Der Mensch lebt nicht vom Supermarkt allein“, steht am eisernen Bühnenvorhang. „Man sieht sich noch nicht wieder im Apollo“, sagt Intendant Magnus Reitschuster. Der persönliche Kontakt fehlt den Menschen, das Publikum den Künstlern. Abstand heißt das oberste Gebot in der Corona-Krise und das Siegener Apollo-Theater hat sich eine Lösung ausgedacht, wie man sich versammeln und dieser Abstand trotzdem eingehalten werden kann. Raum für Begegnung schaffen, ohne sich und andere zu gefährden, ein „verantwortungsvoller Mini-Start“. Wenn er denn erlaubt ist.

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Das Konzept des Siegener Apollo-Theaters für die Corona-Krise

Der Saal: Aus rund 300 Quadratmetern schwarzem Stoff hat das Team um Schneiderin Ursula Bottenberg Hussen für den Zuschauerraum genäht. Jede zweite Sitzreihe ist vollständig überspannt, in den verbliebenen liegen zwischen zwei freien roten Sitzplätzen drei gesperrte Stühle. Statt bislang mehr als 500 Menschen bietet der Saal nun noch gut 70 Personen Platz.

Auf der großen Bühne finden 54 Musiker mit Sicherheitsabstand Platz.
Auf der großen Bühne finden 54 Musiker mit Sicherheitsabstand Platz. © Hendrik Schulz

Die Bühne: Der „eiserne Vorhang“ trennt die eigentliche Bühne von einer neuen, Szenenfläche ab, die die Techniker um Robert Schäfer konstruiert haben, erweiterbar um einen halben Meter nach vorne. Vier Akteure finden hier Platz. Aus Brandschutzgründen werden für die große Bühne Techniker und Feuerwehrleute benötigt – bleibt der Vorhang zu, wird dieses Personal nicht benötigt. Auf der großen Bühne stehen 54 Stühle und Notenpulte im notwendigen Mindestabstand – ein Großteil der Philharmonie Südwestfalen fände hier Platz.

Der Ablauf: Wenn wieder Veranstaltungen stattfinden dürfen, gehen die Besucher, die zuerst den Saal betreten, in die Mitte, um Aufstehen der bereits Sitzenden zu vermeiden, erklärt Apollo-Pressesprecherin Nadine Höchst. Wenn während einer Veranstaltung jemand raus muss, steht die Reihe auf, wartet mit Abstand auf der Treppe und rückt wieder in die Reihe. Wer rausgegangen ist, sitzt danach außen. Der behandschuhte Abenddienst öffnet die Saaltüren, damit niemand die Türklinken anfassen muss.

Die Möglichkeiten des Konzepts für Versammlungen trotz Corona

Nachdem das Apollo nach der Absage sämtlicher Großveranstaltungen am 12. März sofort den Betrieb einstellte, überlegten Theaterleitung und Belegschaft, wie es weitergehen könnte. Aus den Plänen für eine abstandssichere Mitarbeiterversammlung wurde das nun fertige Konzept, das Intendant Magnus Reitschuster auch an Stadt Siegen, Kreis, Deutschen Bühnenverein und NRW-Kulturministerium geschickt, gleichsam als Blaupause für eine schrittweise Wiederaufnahme des kulturellen und öffentlichen Lebens. „Es braucht kleine Lichter am Ende eines Tunnelabschnitts“, sagt Reitschuster, man wolle als Theater einen Beitrag in der Notsituation leisten und eine „intellektuelle Ermutigung in den leeren Raum der Stadt“ stellen – auf Apollo-Art eben.

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Denn die Entscheidung, was wann wo wieder öffnen dürfe, obliege Gesetzgeber und Behörden und das sei auch genau richtig so. „Wir wollen nicht vorpreschen“, betont der Intendant. Während die Schulen erst das Signal erhielten und dann Möglichkeiten schaffen, wolle man lediglich einen Raum schaffen, um bereit zu sein. Reitschuster erwartet im Laufe des Jahres schrittweise Anpassungen und Lockerungen, „die nächste Spielzeit kommt bestimmt.“ Das Apollo-Konzept könne anderen Spielstätten dann als Handreichung dienen.

Dankeskonzerte im Apollo-Theater Siegen für Pflegekräfte in der Corona-Krise

Denkbar seien etwa irgendwann „berührungslose Theaterstücke“ oder Lesungen. Der abstandssichere Apollo-Saal soll aber nicht der Kultur vorbehalten sein – die auch kein Luxusartikel für gute Zeiten sei – sondern der Gesellschaft angeboten werden. Reitschuster denkt dabei an Versammlungen von Institutionen, Trauungen, politische Sitzungen.

Wie die Menschen den Saal betreten und verlassen, hat das Apollo-Theater natürlich auch ausgetüftelt.
Wie die Menschen den Saal betreten und verlassen, hat das Apollo-Theater natürlich auch ausgetüftelt. © Hendrik Schulz

Und an die Menschen, die „an vorderster Corona-Front“ stünden: Pflegekräfte zum Beispiel. 54 Musiker der Philharmonie Südwestfalen könnten zum Beispiel Dankeskonzerte mit je 70 Zuschauern aus dieser Gruppe im Publikum spielen. Kein großes, sondern viele kleine „das Orchester kann ja derzeit nicht auftreten.“ Pläne gibt es im Apollo genug, „wir könnten nach entsprechenden Beschlüssen innerhalb einer Woche loslegen“, sagt der Intendant.

Erst einmal gehe es darum, zu tun, was getan werden könne, über Kosten könne man sich auch später noch Gedanken machen.

Die Zukunft: Streaming ist nicht der Weg des Siegener Apollo

Es sei der Krise geschuldet, dass bestimmte Dinge zur Zeit in den Hintergrund rücken. Und jede Spielzeit der Zukunft, so Reitschusters Überzeugung, werde sich mit dem Jahr 2020, mit dem Corona-Jahr beschäftigen. „Wir werden die Stoffe neu lesen, neu lernen, neu zeigen müssen. Was macht die Krise mit uns als Menschen und als Gesellschaft?“ Kultur könne nicht dauerhaft auf den virtuellen Raum beschränkt werden, gerade das Theater lebe vom Moment, nicht vom Streaming, sondern vom lebendigen Austausch. Ein erster Anfang sei hier gemacht.

Sichtbare Hoffnung

Seit dem 8. April hängen riesige Banner an der Apollo-Fassade (wir berichteten), mit zwei Zitaten. „Die Hoffnung ist ins Gelingen verliebt“ (Ernst Bloch) und „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Friedrich Hölderlin).

Die Resonanz darauf – auch im Internet und den sozialen Medien – sei sehr groß und sehr positiv gewesen, sagt Pressesprecherin Nadine Höchst; die Banner werden ab kommender Woche im ganzen Stadtgebiet plakatiert, auf Großflächen, an Lichtmasten und auf Litfasssäulen.

Dass viele Kulturbetriebe ins Internet ausgewichen seien, sei wichtig gewesen, „aber eben nicht der Apollo-Weg“, findet Magnus Reitschuster; nach dem Motto „Ich streame, also bin ich“. Jedes Medium habe seine Stärken, „wir können anderes besser.“

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