Siegerland. Landesregierung lockert Corona-Regeln: In die City-Galerie Siegen dürfen viele Menschen, sonst nach wie vor nur zwei, kritisiert Landrat Müller.

Verwirrung und Unmut sind groß in Siegen-Wittgenstein über die ab Montag geltenden gelockerten Corona-Schutzregeln im Handel. Geschäfte bis 800 Quadratmeter Fläche dürfen öffnen, größere nicht. Auch Einkaufszentren und Möbelhäuser dürfen wieder öffnen, egal wie groß. Kritik gibt es vor allem an der Uneinheitlichkeit der Entscheidung aus Düsseldorf, die nicht mit der Bund-Länder-Übereinkunft übereinstimmt und dass diese Entscheidung voreilig den nach wie vor gebotenen Gesundheitsschutz untergrabe.

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Politik und Verwaltung: 800-Quadratmeter-Regel für Siegen nicht nachvollziehbar

Landrat Andreas Müller kritisiert das Vorpreschen der NRW-Landesregierung bei der Lockerung der Corona-Schutzregeln entschieden. Nicht nachvollziehbar, findet das Müller: „Auf der Straße gelten weiter die strengen Kontaktverbote, die die Ordnungsämter auch durchsetzen sollen – mit anderen Worten: Vor einer Shopping Mall dürfen nicht mehr als zwei Personen gemeinsam unterwegs sein, in einer Shopping Mall treffen dann aber hunderte von Fremden aufeinander und drängen sich in den Gängen.“

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Laut Landesregierung gelten in Einkaufszentren die gleichen Regeln wie auf der Straße: Keine Gruppenbildung, Mindestabstand 1,5 Meter, Essen nur mitnehmen. Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Eintritts und zur Vermeidung von Warteschlangen sollen die Einrichtungen treffen. Wie das funktionieren soll, lässt Düsseldorf offen, die Betroffenen arbeiten aktuell an der Umsetzung vor Ort.

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Sollte die Landesregierung der Meinung sein, dass Mall-Betreiber die Einhaltung von Abstandsregeln problemlos garantieren können, hätte sie auch Geschäften über 800 m² Verkaufsfläche erlauben müssen, wieder zu öffnen. „Was in einer Shopping Mall grundsätzlich anders sein soll, als in einem größeren Geschäft, erschließt sich niemandem“, so Müller.

Befürchtung: Oberzentrum Siegen zieht viele Menschen als Ausflugsziel an

In einer Zeit, in der Abstand halten nach wie vor das oberste Gebot sei, schaffe die Landesregierung neue Hotspots, die viele Menschen auf engem Raum zusammenbringe: „Kinos, Restaurants, Fitnessstudios und Sport- und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen. Damit werden Shopping Malls zu attraktiven Ausflugszielen“, befürchtet der Landrat. Zudem ziehe das Oberzentrum Siegen viele Menschen in die Innenstadt. Müller hätte sich gewünscht, bis zum 4. Mai auf die Öffnung zu verzichten – so wie es Kanzlerin Angela Merkel angekündigt hatte. „Wer jetzt vorschnell einen anderen Weg geht, lässt sich ganz offensichtlich nicht mehr in erster Linie vom Gedanken des Gesundheitsschutzes leiten.“

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Er fürchte zudem einen Mangel an Akzeptanz: „Wer Shopping Malls öffnet und gleichzeitig Gottesdienste weiter verbietet, untergräbt massiv die Akzeptanz für alle Corona-Schutzmaßnahmen.“ In Kirchen und Gemeindesälen sei es sicher einfacher, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten als in einem Einkaufszentrum. „Das hohe Gut der freien Religionsausübung wird weiter eingeschränkt, während sie kommerziellen Interessen nachgibt.“ Das sei verfassungsrechtlich äußerst bedenklich und halte wohl keiner gerichtlichen Überprüfung stand.

Auch der Siegener Ordnungsdezernent Arne Fries übt Kritik am NRW-Sonderweg: „Das Verhältnis zwischen der 800 Quadratmeter-Regelung für den Handel und den Vorgaben für Gastronomie- und Sporteinrichtungen empfinde ich als nicht ausgewogen und nicht durchgängig klar zu verstehen.“

Kirchenkreis Siegen: Gesundheitsschutz geht vor Gottesdiensten

Während die katholische Kirche bereits gefordert hatte, die Regelungen auch für Gottesdienste wieder zu lockern, bleibt die evangelische Kirche vorsichtig. „Der Gesundheitsschutz hat für uns oberste Priorität“, sagt Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Kirchenkreises Siegen. Natürlich sei das kirchliche Leben erheblich beeinträchtigt, der Verzicht auf Gottesdienste schmerze. Aber zunächst müsse der Infektionsschutz gewährleistet sein.

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Wenn das der Fall sei, könne man über Abstandsregelungen, wie sie auch Supermärkte eingeführt hätten, nachdenken – vor dem Kontaktverbot hatte beispielsweise eine Gemeinde jede zweite Bank in der Kirche gesperrt und mit Gesangbüchern die Plätze und Abstände der Gläubigen markiert. „Die Corona-Welle ist noch nicht vorbei – und wir haben unter den Gottesdienstbesuchern viele Menschen, die zu Risikogruppen gehören“, betont der Superintendent – für die habe man eine Fürsorgepflicht.

IHK Siegen: Größere Händler werden benachteiligt – es gäbe bessere Regeln

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen kritisiert, dass die 800-Quadratmeter-Regel zu kurz greife und den tatsächlichen Gegebenheiten in vielen Geschäften nicht entspreche. Viele Händler könnten problemlos einen Bereich unter 800 m2 abtrennen und dann öffnen – was dann für die Behörden schwer zu kontrollieren sei, vermutet IHK-Einzelhandelsexperte Marco Butz. Die NRW-IHKs werden versuchen, mit der Landesregierung einen entsprechenden Kompromiss zu erzielen.

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Denn in Lebensmittelmärkten, viele davon größer als 800 Quadratmeter, greife die neue Verordnung ja auch nicht – und auch dort gibt es Lösungen zu Hygiene- und Abstandsregelungen. Wenn die Supermärkte regulieren, dass sich nur eine bestimmte Anzahl Personen gleichzeitig im Geschäft aufhalten darf, lasse sich das auch auf andere, etwa Elektronikhändler, übertragen.

In der Verordnung werde die Richtgröße von eine Person pro 10 m2 Verkaufsfläche genannt, sagt Marco Butz – über Einbahnstraßensysteme und Einlassbeschränkungen könne man dafür sorgen, dass mehr Händler wieder öffnen können. Und das sei auch für die Behörden besser handhabbar.

Hoffen in Siegen-Wittgenstein auf besonnene Bevölkerung – und Investitionsbereitschaft

„Die kleineren Händler sind überglücklich, dass sie wieder öffnen dürfen“, berichtet Butz. Gerade im Modebereich säßen die Geschäftsleute auf heißen Kohlen, weil das Frühjahr einer der umsatzstärksten Zeiträume des Jahres sei und die aktuellen, noch nicht verkauften Kollektionen, fast schon wieder veraltet seien.

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Ein großes Fragezeichen steht für die IHK noch hinter der Investitionsbereitschaft der Menschen. Aufgrund der Corona-Krise sei es zumindest fraglich, ob man sich aktuell ein Auto oder eine neue Sofagarnitur kaufe, oder sein Geld doch eher zusammenhalte. „Wenn der Absatzmarkt nicht da ist, kann auch nicht produziert werden.“ Er hoffe gleichwohl, dass die Menschen ab Montag nicht gleich wieder in die Geschäfte stürmen: Denn das könnte zu einer erheblichen Ausbreitung des Coronavirus beitragen – und womöglich müssten die Läden dann wieder schließen. Ein langsames Wiederaufflammen des Konsums könne aber dazu beitragen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

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