Siegen. Unterwegs mit der Polizei Siegen-Wittgenstein: Die Beamten achten darauf, dass sich die Menschen in der Corona-Krise an das Kontaktverbot halten.

Die Polizei – dein Freund und Helfer. Früher, als er anfing, da war das mal so, sagt Andreas Röcher. Und heute, in Zeiten von Corona: Da ist das wieder so. In letzter Zeit waren viele Kontakte, die er als Polizist mit den Menschen hatte, nicht unbedingt schön, sagt Röcher.

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Jetzt, in der Corona-Krise, hat er das Gefühl: Die Menschen kommen zur Polizei und möchten Rat, können mit den Beamten sprechen. Sein Kollege Daniel Böhm, mit dem Andreas Röcher an diesem Tag auf Streife in der Siegener Innenstadt ist, nickt. Das Vertrauen in den Staat ist stärker geworden.

Polizei Siegen-Wittgenstein kontrolliert wegen Corona stark frequentierte Orte

Irgendwie auch bedrückend finden die beiden Beamten die Situation. Ein normaler Nachmittag in der eigentlich immer belebten Siegener City und kaum jemand unterwegs. Mindestens sehr ungewohnt ist das. Ein paar Menschen genießen die Sonnenstrahlen auf den Bänken an der Siegbrücke, Familien flanieren durch die Fußgängerzone, füttern Tauben, dösen. Böhm und Röcher schlendern die Bahnhofstraße entlang, lassen den Blick schweifen. Alles ruhig. Am Wellersberg bis rauf zur Panzerwiese waren sie schon, alles ruhig, alle nach Vorschrift. Wenn jemand da ist, dann nur zu zweit. Gewissermaßen. Die Polizei behält die Orte, an denen sich Menschen üblicherweise versammeln, in diesen Tagen, bei diesem Wetter im Blick, zusammen mit den Ordnungsämtern.

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„Das ist ja total verständlich, alle haben ja den Wunsch, rauszugehen, sich zusammenzusetzen und zu reden“, sagt Andreas Röcher. Sie wissen doch selber, wie das ist. Auch Polizisten sind Bürger, mit Freunden und Familien, von denen sie zur Zeit Abstand halten müssen. Andreas Röcher hatte sich auf Kultur Pur gefreut – fraglich, ob es stattfinden wird. Böhm hatte Karten für Alice Cooper in Frankfurt, mit Orchester, das ganz große Rockbesteck. Abgesagt. Tja, sagt Böhm und schüttelt den kahlen Schädel. „Und was mit Wacken wird...“

Jetzt ist nicht die Zeit, zu feiern und zu tanzen. Jetzt ist die Zeit, gesund zu bleiben. Das erklären Böhm und Röcher den Bürgern, ruhig und geduldig. Eigentlich sind sie Verkehrssicherheitsberater, bringen Schul- und Kindergartenkindern bei, wie man sich im Straßenverkehr richtig verhält. Aber zur Zeit...

Als die Siegener Polizisten kommen, verstreut sich die Gruppe junger Männer

Auf dem Weiß-Flick’schen Grundstück, früher so etwas wie der Siegener „Drogenumschlagplatz“, stehen sechs Männer zusammen, die sich schnell verstreuen, als sie die Polizisten von Weitem sehen. Zwei von ihnen fangen die Beamten ab. Ernste Ansprache: „Wir machen das nicht, um Sie zu ärgern!“, sagt Andreas Röcher mit Nachdruck. Und dass er das Gefühl habe, dass sie sich wieder versammeln würden, wenn die Polizei gleich weg ist. „Wenn wir Sie dabei erwischen, wird es richtig teuer“, sagt er. „Wir alle müssen andere Menschen schützen!“

Auf dem Weiß-Flick’schen Grundstück stoßen die Polizisten auf Männer, die sich schwer tut mit dem Kontaktverbot.
Auf dem Weiß-Flick’schen Grundstück stoßen die Polizisten auf Männer, die sich schwer tut mit dem Kontaktverbot. © Hendrik Schulz

Die beiden ziehen ab, sichtlich froh, nochmal davongekommen zu sein. Ein Kumpel von ihnen habe angeblich Zahnschmerzen, sagen sie noch, er sitzt auf dem Rasen und krümmt sich vor Schmerzen. Zumindest tut er so. Der Mann ist kein Unbekannter für die Polizisten. Andreas Röcher lässt sich die Ausweispapiere geben, telefoniert mit der Zentrale wegen eines Zahnarzt-Notdienstes. Da soll er hin. Ein Telefon habe er nicht, sagt der Mann, sein Kumpel, der dazukommt, angeblich auch nicht. Er wolle nicht weg, wenn er aufstehe, hämmere sein Kopf so, jammert der junge Mann. Böhm und Röcher bleiben hart. Den hier kennen sie schon. Zweifelhaft, dass der Zahnschmerzen hat. Der Mann trollt sich schließlich. Sein Kumpel hakt ihn unter.

Am ZOB Siegen sitzen nur zwei Mädchen etwas zu nah an einer alten Frau

Am Siegener ZOB sitzen zwei Mädchen in einem Wartehäuschen, recht nah daneben eine ältere Frau. „Gehören Sie zusammen?“, fragt Andreas Röcher. Ach ja. Sie rücken voneinander ab, „schönen Tag“ wünschen die Polizisten, „schönen Tag“ wünschen die Frauen. Meist sind es die Jungen, die sich nicht an Kontaktverbot und Abstandsregeln halten – oder die Alten, zu deren Schutz diese Regeln vor allem gelten. Das haben beide Beamte privat zumindest beobachtet und das schildern derzeit viele. „Die Situation ist einfach schwer fassbar“, meint Andreas Röcher. „Auch die Alten haben so etwas ja noch nie erlebt.“

Beamte verfügen über Schutzausrüstung

Die Polizei verfügt über Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel, damit sich die Beamten im Einsatz vor einer möglichen Infektion schützen können. Für den Fall der Fälle gibt es auch Schutzanzüge. „Die können wir natürlich nicht ständig tragen“, erklärt Andreas Röcher: Entscheidend sei es, mögliche heikle Situationen, in denen Anzüge erforderlich sind, vorauszuahnen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung haben Daniel Böhm und Andreas Röcher ein geschultes Auge und ein ebenso geschultes Bauchgefühl für solche Situationen, sagen sie.

Ein Mann in den 20ern tritt auf die Beamten zu. „Ich habe mal eine Frage“, sagt er und erzählt aufgeregt, dass die Sicherheitsleute der City-Galerie ihn rüde des Gebäudes verwiesen hätten. Dabei habe er doch nur seine Handykarte aktivieren wollen und schon seien sie frech geworden. „Das wäre natürlich nicht in Ordnung, aber grundsätzlich müssen sie nach dem Einkaufen schon raus“, erklärt Andreas Röcher. „Wir fragen mal nach.“ Das reicht dem jungen Mann. „Danke. Schönen Tag!“, sagt er. Die Polizei, dein Freund und Helfer.

WLAN in der Siegener City-Galerie abgreifen geht bei Corona nicht

Auch die City-Galerie, in der man selbst an einem stinknormalen Werktagsnachmittag kaum einen Fuß an die Erde bekommt, ist bedrückend leer. Den Männern von der Security begegnen die Polizisten noch im Erdgeschoss. „Da hat sich einer beschwert“, setzt Andreas Röcher an, die Sicherheitsleute winken ab. Sie können sich schon denken, wer sich da beschwert hat. „Der stand seit 15 Minuten vorm Geschäft, um das WLAN abzugreifen“, sagt der eine grinsend. „Zwei Seiten einer Medaille“, meint Andreas Röcher beim Weitergehen. „Einer so, der andere so. Die Wahrheit liegt meist irgendwo dazwischen.“

In der City-Galerie ist es gespenstisch leer. Die Polizei sucht regelmäßig Orte auf, an denen sich Menschen für gewöhnlich versammeln.
In der City-Galerie ist es gespenstisch leer. Die Polizei sucht regelmäßig Orte auf, an denen sich Menschen für gewöhnlich versammeln. © Hendrik Schulz

Im City-Galerie-Untergeschoss ist es noch leerer als oben. „So würde ich auch einkaufen gehen...“, kommentiert Daniel Böhm nur halb im Scherz. Draußen, vor dem Sparkassen-Turm, sitzt ein Mann in kurzen Hosen und sagt den Beamten, dass sie mal vorm Apollo gucken sollten, „da bei der Mauer“. Da säßen welche. „Danke!“, ruft er hinterher.

Da sitzen auch welche. Drei Männer und eine Frau, jeder zwei Flaschen Bier neben sich. Als sie die Polizisten von Ferne entdecken, rücken sie etwas auseinander. Was Andreas Röcher natürlich sieht. „Ihr habt aber noch was vor, was“, sagt Röcher und tritt in die Runde. „Mehr geht auf die Wirbelsäule, deswegen hat jeder nur zwei dabei“, der Konter kommt wie aus der Pistole geschossen.

Der Unterschied zur Grippe: Gegen Corona gibt es keinen Impfstoff

Andreas Röcher wird ernst. „Wofür machen wir das?“, sagt er. „Wir wollen Euch ja nichts. Aber wenn Ihr das Virus verbreitet, sterben vielleicht Menschen. Darüber reden wir hier.“ Die Gruppe ist nicht überzeugt. Wo denn der Unterschied zu einer Grippe sei, fragt einer – da gebe es doch solche Regeln auch nicht. „Gegen eine Grippe kann jeder jederzeit etwas tun“, erwidert Röcher – es gibt einen Impfstoff. Und nochmal: „Ihr würdet wahrscheinlich nicht sterben. Aber alte Menschen. Und Ihr könnt diejenigen sein, die es ihnen bringen.“

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Eine verdammt schwierige Situation sei das, sagt einer. Und ein anderer: „Ihr seid die ersten Polizisten, die vernünftig mit uns reden.“ Und nicht gleich schimpfen würden. „Bleiben Sie gesund“, sagen die jungen Leute zum Abschied. „Und frohe Ostern!“

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