Siegen/Kreuztal. Therapeuten aus Siegen und Kreuztal erklären, wie sie in Corona-Zeiten ihre Patienten behandeln – und warnen vor Spätfolgen bei einem Ausfall

Den Lesezirkel legt Physiotherapeut Gottfried Annen im Wartezimmer seiner Praxis in Kreuztal nicht mehr aus. Um die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus so gering wie möglich zu halten, reduziert er die Zahl der wartenden Patienten deutlich. Als „systemrelevante Berufsgruppe“ haben Heilmittelerbringer wie Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden und Podologen weiterhin geöffnet.

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Physiotherapie in der Corona-Zeit

In seinen Praxen in Kreuzta l, Geisweid und Wenden dürfen maximal zwei Patienten eintreten, nur zwei Therapeuten sind im Dienst. Zu den Hygienestandards gehören Handschuhe und Mundschutz, Markierungen auf dem Boden weisen den Patienten den vorgeschriebenen Weg, Bargeld wird nicht mehr angenommen. „Wir müssen jeden Tag neu organisieren, das ist ein sehr hoher Aufwand“, erklärt Gottfried Annen. 25 Schutzmasken habe er für seine rund 22 Mitarbeiter beim Kreuztaler Stoffgeschäft Tharida bestellt, weiteres Händedesinfektionsmittel beim Apotheker. Die neuen Maßnahmen werden gut befolgt. Dennoch würden viele Patienten ihren Termin absagen. „Wir haben erhebliche Leerläufe“, sagt Gottfried Annen. Risikopatienten sage er vorher ab. „Finanziell wird das auf lange Sicht aber nicht funktionieren“, fürchtet er.

Seit 1976 arbeitet er schon als Physiotherapeut: „Ich habe in diesen vielen Jahren schon alle Höhen und Tiefen mitgemacht.“ Seine Befürchtung: „Wenn wir jetzt in eine Flaute reinkommen und ich meine Therapeuten über Corona hinaus nicht halten kann, dann werden wir Probleme bekommen.“ Es werde auch eine Zeit nach Corona geben, so der Physiotherapeut, und bei einem Therapeutenmangel werde er später nicht wissen, wie er die Menschen behandeln soll.

Die Handtherapeutin aus Kreuztal

Vor Spätfolgen wegen ausstehenden Behandlungen warnt Marion Bäumer: „Wenn ich die Hand nach einer Operation nicht professionell durchbewege, dann wird sie steif und ich kann keine Faust mehr bilden“, erklärt die Handtherapeutin aus Kreuztal. Frisch operierte Sehnen müsse man, so Marion Bäumer, sofort nachbehandeln. „Wenn die drei bis vier Wochen pausieren, dann sind sie fest.

„Auch bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie multiple Sklerose oder nach einem Schlaganfall ginge es darum, dass sie in Bewegung bleiben. „Schlaganfallpatienten werden dabei von dem Therapeuten aktiv geführt, wir dehnen die Strukturen und machen Kreisübungen mit dem Arm.“ Die Teletherapie, also die Übungen in einem Video vorgeben, sei in diesem Bereich noch keine Alternative, so Marion Bäumer. „Das können die Patienten nicht, weil der Arm vielleicht gelähmt ist und sie die Bewegungen falsch machen.“

Finanzielle Sorgen in den Praxen

Seit Jahren leiden Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie unter geringen Vergütungssätzen, so der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SVH). Der Verband fordert finanzielle Unterstützung von der Gesetzlichen Krankenversicherung in Form von Ausgleichszahlungen. Denn die Kosten seien im Haushaltsplan der Kassen bereits eingeplant, weniger Patienten bedeuteten aber gleichzeitig weniger Ausgaben für diese.

Heilmittelpraxen können Soforthilfen mit einmaligen Zuschüssen von 9000 bis 25.000 Euro je nach Beschäftigtenzahl beantragen. Weitere Informationen unter www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020.

In ihrer Praxis muss sie derzeit wegen Corona vieles umplanen: Rund 60 Prozent der Patienten würden absagen, Termine mit Risikopatienten verschiebe sie. „Wegen der Unsicherheit herrscht sehr viel Erklärungsbedarf bei den Patienten.“ Derzeit trage sie Mundschutz und Einmalhandschuhe, vorher und nachher wird alles desinfiziert und sogar einen Spuckschutz hat Marion Bäumer gebaut. Trotzdem bleibt ein Restrisiko bestehen: „Die Patienten können sehr wohl einschätzen, was sie brauchen und was nicht.“

Logopädin in Siegen hat geschlossen

Diese Entscheidung müssen die Patienten von Logopädin Martina Langer nicht treffen. Ihre Praxis in Siegen hat sie wegen Corona geschlossen, den Patienten abgesagt: „Die Eltern werden ihre Kinder keinem Risiko aussetzen“, sagt sie. Sie will nicht verantworten, dass sich jemand in ihrer Praxis ansteckt. Eine Pause sei in der Sprachtherapie nicht schlimm: „Viele Kinder machen in dieser freien Zeit Fortschritte“, meint Martina Langer. In der Regel mache sie nach 30 Stunden Therapie eine Sommerpause zwischen Juli und September: „Dann sehe ich, ob das Kind in der Pause einen Fortschritt erzielt hat oder ob es andere Probleme gibt.“

Das sei jedoch nicht die Meinung aller Logopäden, da gebe es unterschiedliche Ansätze. „Die Therapie darf nicht endlos dauern“, so die Logopädin. Dass sie ihre Praxis geschlossen hält, bereite ihr keine Angstzustände. In der Zwischenzeit lebe sie von ihren Rücklagen, die jedoch nicht sehr hoch seien, so Martina Langer. Sie gehe aber davon aus, dass sie spätestens Anfang Mai wieder öffnen könne: „Da bin ich Optimistin.“

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