Hilchenbach. So wurde in Hilchenbach noch nie ein Haushalt verabschiedet: nicht durch den Rat, sondern nur durch den Hauptausschuss. Binnen zwei Minuten.
Die Eisdiele lässt immer nur einen Kunden rein. Die anderen Anbieter müssen sich hinter schriftlichen Botschaften verschanzen: Die Buchhandlung liefert auf telefonische oder gemailte Bestellung, der Schuster macht nur noch für seine orthopädische Kundschaft auf, die Gaststätte hängt die Web-Adresse der Abhol-Speisekarte an den Zaun. Und das Rathaus öffnet den Seiteneingang für 14 Mitglieder des Hauptausschusses, die den Haushalt verabschieden sollen.
„Es sind Zeiten, die wir uns vor zwei Monaten nicht vorstellen konnten“, sagt Bürgermeister Holger Menzel. Die Stadtverordneten ziehen sich auf den größeren, äußeren Tisch-Ring zurück, lassen Plätze zwischen sich frei. Manche tragen Mundschutz, andere nehmen mit noch mehr Abstand auf den Zuschauerrängen Platz. Die Tür bleibt auf, damit die Luft zirkulieren kann. Der Bürgermeister erinnert an die Verabredung, auf Haushaltsreden zu verzichten, „um den Sitzungsverlauf möglichst kurz zu halten“.
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Einsparliste und scharfer Wortwechsel: „Ziemlich mies“
CDU-Fraktionschef André Jung präsentiert eine Liste mit Einsparvorschlägen bei der Straßenunterhaltung und beim Winterdienst. 195.000 Euro kommen unter dem Strich heraus, so viel, wie die Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuern gebracht hätte. CDU, SPD und FDP haben das verabredet, Grüne und UWG schließen sich an. „Die Welt um uns herum hat sich gravierend verändert“, stellt Jung fest, „wir können nicht so tun, als ob nichts geschehen sei.“ Die Stadt müsse darauf reagieren, eine Steuererhöhung komme „nicht in Frage“. Abgesehen davon seien sowieso „alle Planungsgrundlagen Makulatur“. Die Stadt müsse mit Einnahmeausfällen rechnen, und mit Mehrausgaben, falls zum Beispiel der Kreis die Kosten für die Reaktivierung des Kredenbacher Krankenhauses auf die Städte und Gemeinden umlegen müsse.
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Dann bringt André Jung Schärfe in seine Wortmeldung: Dass die Einsparvorschläge nicht von der Verwaltung vorgetragen würden, sei „Arbeitsverweigerung“: „Aber das kennen wir ja schon.“ Die Erwiderung kommt vom Kämmerer, der andeutet, dass auch Jung nicht Erfinder der Einsparliste sei: „Ihre Leistung an diesem Produkt ist begrenzt“, sagt Udo Hoffmann, der Jungs Spitzen als „dreist“ und „relativ mies“ qualifiziert. Die Vorschläge, wie die Steuererhöhungen vermieden werden könnten, hätten längst eingebracht werden können. Aber als Vorsitzender des Bauausschusses hätte Jung wohl kaum akzeptiert, die Mittel für die Straßenunterhaltung derart drastisch von 170.000 auf 70.000 Euro zu kürzen. „Wenn ich das vorgeschlagen hätte, wäre ich gesteinigt worden.“ Dr. Peter Neuhaus (Grüne) beschwichtigt: „Für irgendwelche Zankereien ist heute kein Raum.“
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Hundesteuer wird erhöht
Die Grund- und Gewerbesteuererhöhung kommt nicht, beschließt der Hauptausschuss auch mit der Stimme des Bürgermeisters einstimmig. Drei Gegenstimmen von Grünen und Birgit Weiß (SPD) gibt es gegen die Erhöhung der Hundesteuer. Einstimmig werden die höheren Verwaltungsgebühren – Mehreinnahme: rund 1000 Euro – beschlossen. Und dann kommt der Haushalt selbst: Genau zwei Minuten nimmt sich der Hauptausschuss für die einstimmige Verabschiedung, wo sonst zwei bis drei Stunden debattiert wird. Beschließen darf der Hauptausschuss an Stelle des Rates, weil ein Erlass des Kommunalministeriums das erlaubt: In Zeiten dieser Krise können Entscheidungen sogar auf den Bürgermeister allein übertragen werden.
Keine Elternbeiträge
Eltern, deren Kinder den offenen Ganztag oder andere Betreuungsangebote in Grundschulen oder in der Realschule nutzen, zahlen im April keine Beiträge – auch dann nicht, wenn sie eine Notbetreuung in Anspruch nehmen. Das hat der Hauptausschuss einstimmig beschlossen.
Doch Rechnung mit 820 Prozent Grundsteuer bis 2022
Kein Wort verlieren die Stadtverordneten über das kosmetische Element des Zahlenwerks: In seiner Vorlage hat der Kämmerer Grundsteuererhöhungen um je 30 Prozentpunkte in den nächsten beiden Jahren als erforderlich bezeichnet. Seine Finanzplanung, die der Hauptausschuss mit dem Haushaltssicherungskonzept ebenfalls beschließt, baut auf größeren Sprüngen auf: Danach steigt der Grundsteuerhebesatz von jetzt unverändert 490 Prozent auf 820 Prozent im Jahr 2022.
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Zu allerletzt genehmigt die Runde die vier verkaufsoffenen Sonntage. Dass die Gewerkschaft Verdi die Verordnung nicht für „gerichtsfest“ hält, wie Fachbereitsleiter Jörg-Heiner Stein berichtet, beeindruckt niemanden. „Da steckt eine Menge Hoffnung drin“, sagt Bürgermeister Holger Menzel mit Blick auf das Frühlingsfest am zweiten Mai-Wochenende. „Die kann ich zurzeit nicht teilen.“
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