Siegen. Die Sanierungsarbeiten an der Fassade der Martinikirche in Siegen haben begonnen – genau zur richtigen Zeit. Trotz Corona.

Stein für Stein nehmen die Fachleute die Außenfassade der Martinikirche auseinander. Jeden Brocken sehen sie sich intensiv an, schauen genau, ob er wiederverwendbar ist oder aussortiert werden muss. Die Corona-Krise hat zwar fast alles lahmgelegt, die dringend erforderliche Sanierung von Siegens ältestem Bauwerk konnte aber trotzdem plangemäß beginnen.

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Wie läuft die Arbeit in Corona-Zeiten?

Es klingt wie eine Ironie des Schicksals, aber: In gewisser Weise kommt die derzeitige Situation den Arbeiten entgegen, wie Ute Waffenschmidt-Leng, Pfarrerin der Martini-Kirchengemeinde Siegen, erläutert : „Bei aller Dramatik der Situation insgesamt.“ Da in der Kirche momentan weder Gottesdienste noch Ausstellungen, Versammlungen oder sonstige Veranstaltungen stattfinden, können sich die Fachleute von der Firma Denkmalplan aus dem thüringischen Körner ohne jede Unterbrechung ihrer Aufgabe widmen – noch dazu bei bisher tollem Wetter. Das Unternehmen ist auf historische Bauwerke spezialisiert und war schon bei der Sanierung der Siegener Stadt- und Wehrmauern beteiligt. Das Gerüst Richtung Alte Poststraße, auf dem die Männer im aktuellen ersten Bauabschnitt arbeiten, ist nach außen mit Folie verkleidet, ein vorgelagerter Bauzaun schirmt es zusätzlich ab. Abstand halten die Fachkräfte bei ihrer Arbeit ohnehin, und wegen des Staubs tragen sie sowieso grundsätzlich Mundschutz.

Statisch nicht bedenklich

Die Martinikirche in ihrer jetzigen Gestalt wurde im Jahr 1949 eingeweiht – nachdem sie 1944 zerstört und nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde.

Die Statik des Bauwerks ist nicht gefährdet, da die schadhafte Bruchsteinfassade die tragenden Mauern nur verkleidet.

Dennoch hat die Gemeinde schon vor längerer Zeit eine Holzüberdachung vor das Portal gesetzt, um Besucher der Kirche vor möglicherweise bröckelndem Material zu schützen.

Auch ein Bauzaun wurde zum Schutz rund um das Gebäude herum aufgestellt.

Muss diese Sanierung ausgerechnet jetzt sein?

Kurz gesagt: Ja. Es geht nicht um ein paar Verputzarbeiten, sondern um immensen Aufwand. Schon Anfang 2017 hat die Martini-Gemeinde einen Förderverein speziell für das Vorhaben gegründet, bereits in den Jahren zuvor zeichnete sich die Notwendigkeit einer Sanierung ab. Eine Gutachterfirma schätzte die Kosten im vergangenen Jahr auf rund 800.000 Euro, die Gemeinde geht aufgrund der bei solchen Projekten üblichen Unwägbarkeiten eher von einer Million Euro aus. 320.000 Euro stellt der Bund zur Verfügung, weitere 150.000 Euro das Land Nordrhein-Westfalen. 25 Prozent der Gesamtkosten kommen aus dem Baufonds des Kirchenkreises Siegen. Den Rest muss die Gemeinde aufbringen. „Es ist absolut nötig, dafür Spendengelder zu akquirieren“, betont Ute Waffenschmidt Leng.

Was genau wird gemacht?

Die Kirche wurde seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1311 mehrmals beschädigt und umgebaut, schließlich bei der Bombardierung Siegens 1944 zerstört. Bei diesem Wiederaufbau wurde für die Bruchsteinfassade auf den bis zu 1,20 Meter dicken eigentlichen Mauern „Material genommen, das nicht auf Dauerhaftigkeit ausgelegt war“, wie die Pfarrerin erklärt; in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nichts allzu Ungewöhnliches, da große Teile deutscher – und natürlich nicht nur deutscher – Städte in Trümmern lagen und für den Wiederaufbau enorme Mengen an Material benötigt wurden. Die verwendeten Steine jedenfalls nahmen im Laufe der Zeit Schaden, die Fugen bröckelten teilweise heraus, Feuchtigkeit drang ein. Zunächst, schildert Ute Waffenschmidt-Leng, werden nun die Fugen entfernt, dann wird jeder Mauerstein einzeln herausgenommen und auf seine Wiederverwertbarkeit hin begutachtet. „Es ist spannend zu sehen, wie marode das alles ist. Ich komme jeden Tag vorbei“, sagt die Pfarrerin. Im laufenden ersten Bauabschnitt seien etwa fünf bis neun Steine pro Quadratmeter noch zu gebrauchen. An den anderen Seiten des Gebäudes, so die Hoffnung, könnten es mehr sein, weil je nach Richtung beispielsweise die Witterungseinflüsse variieren, denen die Mauer ausgesetzt ist. Momentan werden außerdem „zum Teil auch kleine Stützen eingebaut“, sagt die Pfarrerin.

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Was kommt noch?

Wenn dieser Teil der Arbeit abgeschlossen ist, wird die Bruchsteinfassade aus den alten und noch brauchbaren sowie den neu georderten Steinen wieder errichtet. Ein riesiges Puzzle für die Arbeiter, „aber das sind Fachleute, die sind sehr geübt darin“, sagt Ute Waffenschmidt-Leng. Danach werde verfugt, so, „dass es hoffentlich für mindestens ein Jahrhundert hält“. Der erste Bauabschnitt soll Ende September/Anfang Oktober abgeschlossen sein. Der zweite Bauabschnitt mit Portal- und Turmseite folgte 2021, die Kirchenseite Richtung Kölner Tor als dritter Bauabschnitt 2022. Diese dreiteilige Staffelung sei gewählt worden „wohlwissend, dass wir nicht sicher wissen können, wie es sich entwickelt“, betont Ute Waffenschmidt-Leng. Je komplexer ein Sanierungsvorhaben, um so höher ist das Risiko unliebsamer Überraschungen – so wie etwa 2011/12 bei der Sanierung des Grafentraktes des Oberen Schloss erst im Laufe der Maßnahme viel größere Schäden erkennbar wurden, als ursprünglich vermutet.

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Wie ist die Stimmung?

Nach einer dermaßen langen Vorgeschichte ist Ute Waffenschmidt-Leng natürlich froh, dass nun die Umsetzung läuft. Außerdem „ist es eine wirklich schöne Erfahrung, wie reibungslos die Zusammenarbeit mit allen läuft“. Dies gelte ganz stark für die Stadt Siegen, aber beispielsweise auch für die Uni, die unkompliziert und unbürokratisch Flächen auf dem kleinen Parkplatz hinter dem Campus Unteres Schloss bereitgestellt habe, ebenso die Zusammenarbeit mit dem Siegener Architekturbüro Sonntag + Partner, das mit den Vorbereitungen betraut wurde und die Arbeiten beaufsichtigt. „Es ist eine Freude, wie gut das klappt“, sagt die Pfarrerin. Einziger Wermutstropfen derzeit: „Wir bräuchten eigentlich Öffentlichkeit.“ Denn es brauche einiges an Spenden, um die vollständige Durchführung aller Bauabschnitte zu sichern.

Kontakt zum Förderverein gibt es über verein-martini.de

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