Siegen. Das Stadtarchiv Siegen will frei von Papierfischchen bleiben. Um die Schädlinge nicht einzuschleppen, soll unter anderem eine Kühltruhe helfen.
Eiskalt will das Stadtarchiv Siegen gegen Papierfischchen vorgehen. Der Weg ins Magazin soll für Dokumente künftig über einen längeren Zwischenstopp in einer Tiefkühltruhe führen. Bei minus 20 Grad Celsius strecken die Schädlinge nämlich die Fühler, bevor sie eine Chance zur Ausbreitung haben. Bisher gibt es in der Einrichtung im Krönchen-Center keinen Befall. Das soll auch unter allen Umständen so bleiben; denn die bis zu 15 Millimeter langen Tierchen fressen Papier – und vernichten damit unwiederbringlich Informationen.
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Das Tier
Die Insekten gehören zur Familie der Silberfischchen, sind aber etwas größer und haben ausgeprägtere Fühler als die gemeinhin bekannten Vertreter dieser Art. Besonders auffällig sind drei lange, dünne Fortsätze am Hinterleib. Probleme mit diesem Schädling wurden zunächst aus den Beneluxstaaten berichtet, wie Dr. Patrick Sturm, Leiter des Siegener Stadtarchivs, erläutert. Von dort aus habe sich die Art erst in NRW, dann in Deutschland verbreitet. „Dieser Schädling ernährt sich von der Zellulose in Papier“, sagt Patrick Sturm, und gelange oft über Lieferungen von Einweghandtüchern, Toilettenpapier, Druckerpapier oder in Kartons in Gebäude. „Darum bieten Verwaltungen Angriffsflächen.“ Theoretisch sei eine akribische Überprüfung aller Eingänge erforderlich, um eine Einschleppung der Tiere zu verhindern, „aber das ist in großen Betrieben kaum möglich“. Beim Stadtarchiv ist ein anderer Weg der Hauptrisikofaktor: Die Übernahme von Dokumenten und Akten von Privatpersonen, Institutionen – und vor allem aus anderen Abteilungen der Verwaltung. An mehreren Standorten, unter anderem in den Rathäusern in Siegen und Geisweid, sei Ende des vergangenen Jahres Befall festgestellt worden. Wo die Tiere sich erst einmal eingenistet haben, wird man sie nur sehr schwer wieder los.
Die Schäden
Papierfischchen richten irreversible Schäden an Archivalien an, wie Patrick Sturm betont. Während sich leichtere Schäden durch Feuchtigkeit oder Übersäuerung noch beheben oder zumindest kompensieren lassen – weil die Information erhalten bleibt und reproduziert werden kann – ist verspeiste Information naturgemäß ein für alle Mal weg. Anders als beispielsweise Mäuse, die Akten und Dokumente vom Rand her anfressen und sich damit erst über nicht beschriebene Bereiche vorarbeiten, können Papierfischchen an jeder für sie erreichbaren Stelle ansetzen. Dabei schaben sie das Papier schichtweise ab, bis schließlich Löcher entstehen und Buchstaben, ganze Worte, im Zweifelsfall für Verständnis und Einordnung eines Dokuments unerlässliche Kernbegriffe in ihrem Verdauungstrakt landen. Dafür brauchen die kleinen Tierchen zwar Zeit; aber in Unterlagen, die nur selten hervorgeholt werden, haben sie davon reichlich.
Teil der Arbeit
Die Gesamtzahl an „erschlossenen, recherchierbaren Einheiten umfasst 163.684 Archivalien“, wie es im Jahresbericht des Stadtarchivs Siegen heißt. Stand: 31. Dezember.
Der Kampf gegen Schädlinge als Teil der täglichen Arbeit in Archiven ist nicht neu, da beispielsweise auch Mäuse Akten und Unterlagen anknabbern. Er ist Teil der dauerhaften Erhaltung und Sicherung.
Der Schutz
„Wir als historisches Archiv leisten die dauerhafte Endaufbewahrung, für die Ewigkeit“, sagt Patrick Sturm. „Was die Papierfischchen für uns zum Problem macht, ist ihre Widerstandsfähigkeit.“ Fallen schaffen keine Abhilfe, weil diese Schädlinge darauf nur bedingt ansprechen und auf jedes darin verendete Exemplar mehrere Artgenossen kommen, die weiterhin munter unterwegs sind. Experten würden zwar an besseren Fallen mit wirksameren Lockstoffen forschen, doch das sei gar nicht so einfach. „Wenn das Tier in der Akte sitzt – wie bekommen Sie es aus dem Schlaraffenland heraus?“, bringt der Archivleiter die Schwierigkeiten auf den Punkt. Der Einsatz von Gift, um eine Population loszuwerden, bietet sich in von Menschen genutzten Räumen wiederum nicht an. Die Maxime im Stadtarchiv lautet also, die Biester gar nicht erst ins Haus zu holen. Dazu gibt es eine ganze Reihe an Maßnahmen:
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Kälte. Mit den konstanten 18 Grad Celsius im Archiv kämen die Papierfischchen zurecht. Was sie nicht abkönnen, ist Kälte. In den kommenden Wochen wird das Stadtarchiv deshalb eine Kühltruhe erhalten, wie sie sonst in der Gastronomie verwendet wird – wegen des größeren Fassungsvermögens als bei haushaltsüblichen Geräten. Akten, die neu hereinkommen, werden dort bei minus 20 Grad zwischengelagert. „Wir gehen von 24 bis 48 Stunden aus“, sagt Patrick Sturm. „Es muss einmal komplett durchgefroren sein.“ Um Schäden durch Feuchtigkeit zu verhindern, werden die Unterlagen in möglichst luftleeren Plastikbeuteln verstaut, darin eingefroren und aufgetaut. Danach können die Archivalien gefahrlos aufbewahrt werden.
Quarantäne. Für Material, das neu hereinkommt, wurde im Zwischenmagazin ein Quarantänebereich eingerichtet: Ein frei stehendes Metallregal, um das herum der Boden mit Streifen doppelseitigen Klebebands versehen ist. Sollte es die Schädlinge über Neuzugänge in dieses Regel verschlagen, würde das Klebeband sie stoppen. Sicherheitshalber sind auch die Schwellen zu diversen Räumen im Archiv damit gesichert, damit wirklich kein eingeschlepptes Tier herein- beziehungsweise herauskönnte.
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Struktur und Ordnung. Papierfischchen können Wände hochgehen, sofern diese nicht zu glatt sind. Die Wandregale im Magazin sind deshalb leicht abgerückt, damit es kein Exemplar in den Bestand schaffen kann. Die Metallregale selbst selbst sind für die Insekten zu glatt. Auch an Plastik finden sie keinen Halt, weshalb Material bevorzugt in glatten Kunststoffboxen transportiert wird. Außerdem, erklärt Patrick Sturm, achte das Team über die übliche Sauberkeit und Ordnung hinaus sehr darauf, nichts aus Pappe und Papier auf dem Boden abzustellen, weil dies ideale Voraussetzungen für die Tiere bieten würde.
Monitoring. An einigen Stellen sind Klebefallen ausgelegt – nicht, um vorhandene Tiere zu fangen, sondern um sicherzustellen, dass wirklich keine da sind. „Wir können uns – Stand heute – als Papierfischchen-frei bezeichnen“, sagt Patrick Sturm. Und das soll auch eiskalt so bleiben.
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