Siegen. Die Siegerländer Chorlandschaft dünnt spürbar aus: Insgesamt 16 Ensembles haben in den vergangenen drei Jahren aufgegeben, vor allem Männerchöre.
Noch schwärmen die Freunde des gepflegten Gesangs voller Begeisterung von den Erfolgen heimischer Chöre beim WDR-Wettbewerb „Der beste Chor im Westen“. Doch über diese Euphorie hat sich längst wieder die Realität des wirklichen Chorlebens im Siegerland gelegt. Und die sieht alles andere als rosig aus.
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In den vergangenen drei Jahren haben 16 Chöre ihren Singbetrieb eingestellt. Darunter auch Vereine mit weit über 100-jähriger Tradition wie „Concordia Frohsinn“ 1868 Klafeld oder der MGV Mozart 1867 Kaan-Marienborn . Zwar sind in diesem Zeitraum auch vier neue Chöre hinzugekommen, doch das poliert die Tendenz nur teilweise auf.
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Gerhard Schneider, erst kürzlich bei der zentralen Jubilarehrung des Chorverbands für sein 50-Jähriges als Chorleiter geehrt und seit 25 Jahren Kreischorleiter, befürchtet sogar, dass Männerchöre in einigen Jahren ganz von der Bildfläche und damit auch aus dem öffentlichen Leben verschwunden sein werden. „Die Fehler sind aber schon vor vielen Jahren gemacht worden“, sagt er und erinnert sich, dass einst das Vorstandsmitglied eines seiner Chöre die Versuche, junge Leute für den Gesang zu begeistern, mit dem Satz abblockte: „Was brauchen wir die Jugend?“
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Alte Gründe
Es ist ein ganzes Bündel von Gründen, das zu dieser Entwicklung geführt hat. Darüber sind sich Gerhard Schneider, Gert Bruch, der Vorsitzende des Chorverbands Siegerland, und Liselotte Weiland, die seit nunmehr 16 Jahren für die Kasse zuständig ist, einig. Das fängt schon in der Schule an, seit im Unterricht kaum noch gesungen wird. Hinzu kommt, dass viele sich nicht mehr vereinsmäßig binden wollen, stattdessen in Projekten mitmachen, sich für Workshops melden oder zum Rudelsingen gehen. „Man kann dort singen, ohne Chormitglied zu werden und ohne Beitrag zu zahlen“, beklagt Lilo Weiland.
Siegerland ist Sängerland
Das Siegerland ist Sängerland: Südwestfalen ist mit guten Chören gesegnet. Nicht von ungefähr kamen die beiden Gewinner-Ensembles beim Wettbewerb des WDR „Der beste Chor im Westen“ aus unserer Region. Unsere Serie blickt hinter die Kulissen der Chöre und portraitiert eine Auswahl von Chorleitern.
Vieles ist auch hausgemacht. Etwa die Vorbehalte gegenüber der Stimmbildung. „So einen Unsinn brauchen wir nicht“, sagt mancher Altgediente und kommt bewusst erst dann, wenn die Stimmbildung vorbei ist. Und wenn ein Chorleiter neue Wege geht und Stimmbildung mit Bewegung kombiniert, heißt es schon einmal: „Wir sind doch kein Turnverein!“
Neue Ideen
Klagen alleine hilft nicht. Das weiß natürlich auch Gert Bruch, der den Chorverband Siegerland seit 2014 leitet, als Nachfolger von H. J. Korstian, der dieses Amt vom legendären Hermann Otto übernommen hatte. Ihn stimmt positiv, dass sich in den letzten Jahren immerhin vier neue Chöre gegründet haben. Für eine Möglichkeit, dem Singen schon im Kindesalter eine neue Bedeutung zukommen zu lassen, hält er die Aktion „SingPause“, die der Städtische Musikverein Düsseldorf, ein renommierter Konzertchor der Landeshauptstadt, ins Leben gerufen hat. An 60 Düsseldorfer Grundschulen lernen die Kinder vormittags zweimal wöchentlich jeweils 20 Minuten musikalische Grundlagen und zahlreiche Lieder in verschiedenen Sprachen kennen. Als großes Finale eines Schuljahrs gibt es die SingPausen-Konzerte in Düsseldorfs feinstem Klangraum, der Tonhalle. Dort stellen die Kinder der geförderten Schulen ihre erlernten Lieder vor.
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Gert Bruch kann sich gut vorstellen, dass ein ähnliches Projekt auch im Siegerland funktionieren würde. Und vielleicht wäre das ein erster Schritt, längerfristig das Chor-Sterben zu stoppen und damit auch den Job des Chorleiters als Hauptberuf attraktiv zu erhalten. Und Chöre sind auch in anderer Hinsicht wichtig: Für viele Sängerinnen und Sänger sind sie eine wichtige soziale Heimat geworden, dort haben sich lebenslange, tiefe Freundschaften gebildet und durch gemeinsames Singen haben sich sogar Ehen angebahnt.
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