Oelgershausen. Eine Klage gegen die Stadt Netphen soll nur der letzte Ausweg sein. Anlieger von zwei Straßen rechnen mit sechsstelligen Beträgen.

„Ich habe lange überlegt, ob wir noch einmal eine Anliegerversammlung machen sollten, aber nach der letzten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses in Netphen war ich der Meinung, wir sollten alles versuchen“, sagte Dieter Bruch, Ortsbürgermeister von Oelgershausen, als er die rund 35 Anlieger der Straßen Vorm Seifchen und Auf der Schütze zur Versammlung im Bürgerhaus begrüßte. SPD-Ratsherr Manfred Heinz war ebenfalls vor Ort, kündigte aber direkt an, er bleibe nur, wenn seine Anwesenheit auch erwünscht sei.

Die Kosten

Grund der Zusammenkunft waren noch einmal die geplanten Baumaßnahmen der Straßen „Auf der Schütze“ und „Vorm Seifchen“ in Oelgershausen. Die Erschließungskosten liegen nach Angabe der Verwaltung bei 34,50 Euro pro Quadratmeter Grundstücksfläche (beziehungsweise 23,50 Euro auf einem kurzen Stück, das nach dem Kommunalabgabengesetz berechnet wird) und bedeuten für die Anlieger der Straßen damit eine enorme finanzielle Belastung.

Rund 35 Anwohner der Straßen Vorm Seifchen und Auf der Schütze in Oelgershausen diskutieren bei der Versammlung im Bürgerhaus das weitere Vorgehen in Sachen Straßenausbau.
Rund 35 Anwohner der Straßen Vorm Seifchen und Auf der Schütze in Oelgershausen diskutieren bei der Versammlung im Bürgerhaus das weitere Vorgehen in Sachen Straßenausbau. © Sarah Engelhard

Die Geschichte

Ortsbürgermeister Dieter Bruch ging zunächst in der Geschichte bis ins Jahr 1935 zurück, als das erste Haus in der Straße Vorm Seifchen gebaut wurde. Wasserleitungen auch in der Straße Auf der Schütze folgten nach dem Bau der Obernautalsperre. Die beiden Straßen waren damals Feldwege, die Ende der 50er Jahre nach dem grünen Plan mit einer drei Meter breiten Teerdecke als Wirtschaftswege ausgebaut wurden. Seitdem wurde die Teerdecke immer nur dürftig geflickt, und die Wasserleitung Auf der Schütze zeigt nach 60 Jahren erste Mängel. Zudem lägen dem Gasversorger vier Anfragen von Anliegern vor. Die Wasserleitung Vorm Seifchen ist noch nicht so alt und soll lediglich aus privaten Grundstücken in den geplanten Verkehrsraum verlegt werden.

Die Folgepflicht

Bruch erklärte den Anliegern, dass nach den Maßnahmen an Wasser- und Gasleitungen die Stadt Netphen folgepflichtig sei. Das bedeutet, dass nach der Verlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen die Straßen ausgebaut werden müssen. „Daraus folgt, dass die Ver- und Entsorger keine Straßenwiederherstellung vornehmen müssen, sie also Kosten einsparen, die man über den Straßenausbau den Anliegern anlasten kann“, sagt Bruch. Vor drei Jahren sei die Stadt nach der Verlegung von Leitungen in zwei anderen Straßen des Dorfes dieser Folgepflicht nicht nachgekommen, so der Ortsbürgermeister. „Hier wird verwaltungsseitig mit zweierlei Maß gemessen.“

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Der Bebauungsplan

Grundsätzlich erachten die Anlieger beider Straßen aufgrund deren Zustand einen Ausbau als sinnvoll – das war das Ergebnis einer Bürgerversammlung im März 2019. Allerdings plädierten sie auch dafür, sich beim Ausbau auf Mindestbreiten zu beschränken.

Am Bebauungsplan bemängelt Dieter Bruch außerdem, dass auf der Straße Vorm Seifchen so geplant wurde, dass bergseitig keine Anlieger wohnen. „Das führt dazu, dass die einzelnen Anlieger mehr Kosten zu tragen haben. Es wäre günstiger, wenn hier noch andere Häuser ständen, aber das ist topographisch schlecht umzusetzen.“

Die vorläufige Planung

Die vorläufige Planung, die im November 2019 vorgestellt wurde, zeigte einen Ausbau von 5,50 Meter Breite als gemischt genutzte Verkehrsfläche, auf der sich zwei Llw problemlos begegnen könnten. Die Bürger kritisierten damals wie auch bei der Versammlung am Freitag, dass so eine Begegnung nahezu nie stattfinde. Außerdem habe die Ortsdurchfahrt L 729 selbst nur eine Breite von 4,65 Metern. „Dann weichen die Lkw in Zukunft auf unsere Anliegerstraßen aus“, warf ein Anwohner ein. Auch dem Erscheinungsbild des Ortes seien so breite Straßen nicht zuträglich.

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Die Oelgershäuser schlugen deshalb vor, die Breite auf 4,50 Meter zu reduzieren und Haltebuchten einzuplanen – natürlich auch, um Kosten zu reduzieren. „Herr Rahrbach (Baudezernent Stadt Netphen Anm. d. Red.) sagte zu, die Anregungen aus der Versammlung mitzunehmen und über weitere Kosteneinsparungen nachzudenken“, so Bruch.

Die Abstimmung

Gebracht hat das nichts, die Oelgershäuser sind enttäuscht vom Vorgehen der Verwaltung: „Die Tatsache, dass die vorgestellte, vorläufige Planung in keiner Weise überarbeitet und am 2. Dezember 2019 dem Stadtentwicklungsausschuss als endgültige Planung vorgelegt wurde, ist an Ignoranz nicht zu überbieten“, so Bruch. Er wisse auch nicht, was er von der Abstimmung der Ausschussmitglieder über den von der SPD-Fraktion gestellten Antrag zur Reduzierung der Fahrbahnbreite und der Kosten halten sollte. „Ich war von dem Abstimmungsergebnis sehr enttäuscht. Nachdem sich am 3. Februar acht Personen der Stimme enthalten haben, kommt unwillkürlich die Frage auf: Hat man sich mit der Thematik gar nicht auseinandergesetzt?“ Ein Anwohner vermutet: „Es ist ihnen einfach egal.“

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Die Konjunktur

Ein weiterer Kritikpunk der Anwohner ist der Zeitpunkt der Baumaßnahmen. „In Zeiten eines Nothaushaltes ist es doch eine verdammte Pflicht von Verwaltung und Politik, Kosten zu reduzieren und unnötige Ausgaben zu vermeiden“, sagt Bruch. Ein Anwohner argumentiert mit der antizyklischen Fiskalpolitik: „Der Staat ist dazu aufgefordert, in Zeiten, in denen die Wirtschaft extrem stark ist, Aufträge nicht ohne weiteres rauszugeben und umgekehrt in schwächeren Zeiten die Wirtschaft zu stützen. Bei uns wird es genau umgekehrt gemacht: Zu einer Zeit, wo die Baukosten exorbitant hoch sind, vergibt die Stadt Netphen Aufträge, die wir als Anlieger zu 90 Prozent vorfinanzieren sollen.“ Dafür könne man sich bei der Stadt Geld aber leihen. „Zu marktüblichen Zinsen von sechs Prozent. Wo sind denn sechs Prozent marktüblich?Die Straße muss ausgebaut werden aber nicht zu dieser Zeit und zu diesem Preis.“

Offene ungeklärte Fragen

Ortsbürgermeister Dieter Bruch hatte bereits am 9. Dezember an die Stadtverwaltung geschrieben und einige Fragen gestellt, die ihm bis heute nicht beantwortet wurden. Dabei geht es unter anderem um:

ein Straßenstück zum Friedhof und einen Weg, der als Zufahrt zur L729 dient,

die u nterschiedliche Bewertung von KAG-Kosten auf verschiedenen Straßen im Dorf,

mögliche Schäden, die durch die Straßenbauarbeiten am Backes in der Dorfmitte erwartet werden,

übrige Flächen in der Ortsmitte.

Das weitere Vorgehen

Ortsbürgermeister Dieter Bruch fasst die Optionen der Anlieger zum Schluss noch einmal zusammen. „Wir schreiben nochmal an die Stadtverwaltung und fordern 4,50 Meter mit Haltebuchten. Wenn das nicht geht, lassen wir die Versorgungsträger ihre Leitungen verlegen und die Teerdecken wieder herstellen und bitten darum, den Ausbau auf unbestimmte Zeit zu verschieben.“ Für dieses Vorgehen sammelte er von den Anwesenden Unterschriften. Eine Klage sei der in Bruchs Augen der letzte Ausweg.

Manfred Heinz gab den Oelgershäusern einen Rat mit auf den Weg: „Ich glaube nicht, dass über das Baurecht noch irgendetwas zurückzudrehen ist. Ich würde versuchen, mit den hohen Preisen zu argumentieren und die Baumaßnahmen zu verschieben.“ Die ersten Rohre liegen derweil am Ortseingang bereit.

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