Siegen. Fast 600 Sänger und Musiker stehen in der Siegerlandhalle beim Martin-Luther-King-Musical auf der Bühne. Die Jüngste ist 8, die Älteste 83.
Man nehme: Fast 600 Sängerinnen und Sänger auf der Bühne in der Siegerlandhalle, die meisten in heimischen Chören aktiv, viele aber auch als Projektsänger dazugekommen, deren Begeisterung und auch ihr chorisches Vermögen sich vom ersten Takt an mitteilt. Dazu eine zehnköpfige Band aus Spitzenmusikern, darunter die Komponisten des Musicals, Keyboarder Hanjo Gäbler und Bassist Christoph Terbuyken, die es für das Musical über Martin Luther King richtig krachen lassen.
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Dazu kommt ein Team von Darstellern mit Musical-Erfahrung, die ihre Klasse sowohl schauspielerisch wie tänzerisch und vor allem stimmlich unter Beweis stellen, Songs, ebenso mitreißend wie klangstark und emotional, ein Bühnenbild, dessen besondere Wirkung durch Einfachheit entsteht und Bühnentechnik, die auch in jeder wesentlich größeren Konzerthalle in Deutschland begeistern wird. Dass dennoch an mancher Stelle keine uneingeschränkte Begeisterung aufkommt, liegt vor allem an manchen Texten des Librettisten Andreas Malessa, die doch allzu frömmelnd und klischeehaft daherkommen.
Stationen aus dem Leben von Martin Luther King auf der Siegener Bühne
Erzählt werden Stationen aus dem Leben von Martin Luther King, dessen schlechte Schulnoten in Biologie, Physik und Chemie einst ein Medizin-Studium verhinderten. „Vielleicht wäre ich als Pastor gut“, singt er. Und wird einer. Einer, der seine Frau Coretta kennen- und lieben lernt.
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„Wo ist der Mann meiner Träume“, singt sie und tanzt mit Martin Rock ‘n’ Roll, natürlich ganz alkoholfrei mit Coca Cola. Das erste Kind macht Martin und Coretta zur Familie. Rosa Parks, deren Rausschmiss aus einem Bus den legendären Boykott auslöst, fehlt ebenso wenig Kings Neigung zu Depressionen, Ku-Klux-Klan-Aufmärsche… und Malcolm X, der, dargestellt als düsterer Geselle, die Gleichheit der Farbigen mit Gewalt erzwingen will.
Dass dieser dann am Ende des Musicals vom zornigen zum friedfertigen Malcom mutiert, nach langem Überlegen seine Pistole fallenlässt und zum Himmel blickt, gehört zu den ganz wenigen Stellen des Musicals, in dem die Grenzen zum Edelkitsch überschritten werden. Und das durch den Heiligen Geist inspiriert, der in der Malessa-Version und ganz im Sinne aktueller Gender-Diskussion eine „Heilige Geistin“ ist.
Siegener Chor unter Susanne Utsch und Peter Scholl leistet Großartiges
Doch die musikalische Klasse des Abends überwiegt die textliche bei weitem. „Go down Moses“ in „Das Wasser bricht den Stein“ umzuwandeln, macht diesen alten Spiritual aktuell und die oft lahm-bräsig interpretierte Friedenshymne „We shall overcome“ gewinnt in der rockigen King-Version deutlich mehr Kraft und Gegenwartsbezug.
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Großartig: „I got shoes“, A-cappella beginnend, um dann mit swingendem Chor zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends zu werden. Die genau 556 Sängerinnen und Sänger des Chors leisten, angefeuert durch ihre Dirigenten Susanne Utsch und Peter Scholl, Großartiges. Immer zupackend nach vorne singend und nie schleppend und oft in die Bühnen-Choreographie eingebunden. Mal einen weichen Soundteppich legend, dann wieder leicht und tänzerisch zu grooven, zu rocken sind sie der eigentliche Star des Abends. Dass sie einmal sogar kollektiv schunkeln müssen – na ja.
Solisten Peti van der Velde ragt in der Siegerlandhalle heraus
Aus der Reihe der Solisten ragt Peti van der Velde als Coretta King heraus. Und natürlich Andreas Wolfram, der in der Nachmittags-Vorstellung Martin Luther King lebendig werden lässt. (In der zweiten Show übernimmt Gino Emnes diese Rolle.) Doch es sind arg viele Themen, die in den gut zwei Stunden kombiniert werden: Sein Besuch in Ostberlin mit den Karikaturen tumber DDR-Funktionäre, die Rollen Coretta Kings und Rosa Parks als kuchenbackende, unzufriedene Hausfrauen. Wobei Coretta zur Nachricht, dass ihr Mann den Friedensnobelpreis bekommen würde, vor allem einfällt: „Was für ein Kleid ziehe ich dafür an?“
Eine weitere Frage drängt sich auf: Warum hört man Martin Luther Kings Stimme nie im Original? Seine berühmteste Rede „I have a dream“ hätte sich perfekt geeignet. So resümiert Coretta King viele Jahre nach dem Mord an ihrem Mann durch einen weißen Rassisten: „Sein Traum hat die Welt verändert. Das ist geblieben.“ Schön wäre es ja.
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