Siegen. Notfallsanitäter und Polizeibeamte arbeiten im Einsatz eng zusammen. DRK und Polizei Siegen starten ein Pilotprojekt um das noch zu verbessern.

Polizei und DRK Siegen-Wittgenstein wollen ihre Zusammenarbeit und das grundlegende Verständnis für die Arbeitsweise der jeweils anderen Seite verbessern: Im Rahmen der Ausbildung zum Notfallsanitäter absolvieren künftig Auszubildende des Roten Kreuzes ein Praktikum bei der Polizei. Die ersten angehenden Notfallsanitäter waren bereits mit Streifenwagenbesatzungen unterwegs. Das Pilotprojekt ist bundesweit bisher einmalig.

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Die Idee: Gegenseitiges Verständnis für die Arbeitsweise von DRK und Polizei Siegen

„Wir haben alle das gleiche Ziel“, sagt Kai Langenbach, Koordinator und Leiter für Aus-, Fort- und Weiterbildung beim DRK: „Menschen in Not zu helfen. Wir arbeiten im Einsatz intensiv zusammen – aber außerhalb des Dienstes fast gar nicht.“ Das soll das Pilotprojekt ändern: Neben der Erweiterung des Horizonts und dem „Mitdenken“ der anderen Perspektive den zwischenmenschlichen Schulterschluss. Früher fuhr der Dorfpolizist auch mal den Rettungswagen, wenn der Sanitäter allein zum Einsatz unterwegs war, erinnert sich Rüdiger Schmidt, Abteilungsleiter des DRK-Rettungsdiensts.

Rüdiger Schmidt (Abteilungsleiter DRK), Philipp Müller (Notfallsanitäter in Ausbildung), Kai Langenbach (Ausbildungsleiter DRK, Hauptkommissar und Sanitäter Ralph Decker, Polizeidirektor Gunnar Hömann (Leiter Direktion Gefahrenabwehr (von links).
Rüdiger Schmidt (Abteilungsleiter DRK), Philipp Müller (Notfallsanitäter in Ausbildung), Kai Langenbach (Ausbildungsleiter DRK, Hauptkommissar und Sanitäter Ralph Decker, Polizeidirektor Gunnar Hömann (Leiter Direktion Gefahrenabwehr (von links). © Polizei

Neben der Rettung von Menschenleben, die für beide Seiten oberste Priorität hat, soll das Wissen um Sichtweisen und Abläufe für die jeweils andere Seite gestärkt werden, um die gemeinsame Arbeit noch effizienter gestalten zu können – auch, um Fehler in der Anfangsphase eines Einsatzes gar nicht erst entstehen zu lassen, fatale Auswirkungen zu vermeiden und die ersten Minuten bestmöglich zu nutzen (siehe unten).

„Wenn man sich versteht und weiß wie die anderen ticken, ist man auch eher bereit, sie zu alarmieren – und die anderen sind eher bereit, rauszufahren“, sagt Michael Zell, Pressesprecher der Kreispolizeibehörde Siegen. Denn Partner ruft man nicht bei Lappalien. Das passiert ja auch nicht. Aber die Motivation sei einfach größer, wenn man sich persönlich kenne, sich noch stärker als Partner verstehe, so Zell.

Die Siegener Kooperation: DRK-Azubis begleiten Polizisten auf Streife

In den kommenden Wochen werden die DRK-Azubis im Spätdienst am Wochenende – hier ist das Einsatzaufkommen besonders hoch – Streifenwagenbesatzungen begleiten. Die Auszubildenden haben im Rahmen ihrer Qualifizierung bereits einen Sanitäter-Abschluss in der Tasche und führen Notfallequipment mit sich, um vor Ort auch tatsächlich helfen zu können. Polizisten sind alle in Erster Hilfe ausgebildet – aber Tagesgeschäft ist das für sie nicht.

Die Grundidee entstand, weil eine DRK-Auszubildende nach einem Praktikum bei der Polizei fragte. Dort stieß der Gedanke auf offene Ohren: Hauptkommissar Ralph Decker arbeitet auf der Leitstelle der Polizei, leistete seinen Zivildienst beim DRK und unterrichtet auch dort. Zusammen mit Kai Langenbach und Rüdiger Schmidt vom DRK wurde ein Konzept entwickelt, um allen Rettungssanitäter-Auszubildenden ein Praktikum bei der Polizei zu ermöglichen.

Die Praxis: Zwei DRK-Azubis berichten vom Einsatz im Siegener Streifenwagen

DRK-Azubi Philipp Müller (22) war mit einer Streifenwagenbesatzung unterwegs, als es in Netphen zu einer schweren Körperverletzung kam (wir berichteten): In einem Wohnhaus war es an einem Samstag zum Streit gekommen, einer der Kontrahenten stieß seinem Opfer ein Messer ins Gesicht. Müllers Streifenwagen fuhr zum Einsatzort, „die Polizei vermutete den Täter noch im Gebäude, das Haus wurde umstellt“, erzählt er. „Trotz des hohen Einsatzdrucks haben die Kollegen in jeder freien Minute erklärt, was sie tun und Fragen beantwortet“, sagt er. Ihn beeindruckte, dass die Polizisten so sehr auf die Sicherheit aller Personen vor Ort bedacht waren.

Jennifer Bochert, ebenfalls 22, fuhr an einem vergleichsweise ruhigen Tag im Streifenwagen mit – Verkehrskontrollen, ein Ladendiebstahl; Tagesgeschäft der Beamten. „Man hat danach eine ganz andere Vertrauensbasis“, sagt sie. „Man hat vorher gar kein Bild davon, wie die Polizei arbeitet – das unterscheidet sich teilweise sehr von unseren Abläufen.“ Schon dieser eine Tag helfe sehr für das Verständnis, „wie es da läuft.“

Die Beispiele: Verhalten am Tatort, Straftaten erkennen, Selbstschutz

Es geht nicht darum, Aufgaben zu übernehmen, aber mitzudenken, was die anderen brauchen.

An einem Tatort, wenn ein Mensch verletzt ist, setzen die Rettungskräfte alles daran, dem Opfer so schnell wie möglich zu helfen, sagt Rettungsdienst-Abteilungsleiter Rüdiger Schmidt – ohne in diesem Moment darauf zu achten, ob womöglich Spuren beschädigt werden, wie das Opfer aufgefunden wurde, ob das Licht eingeschaltet oder das Fenster offen war. Für die Polizei ist das aber sehr wichtig. Ist die Polizei zuerst da, ist es für die Rettungskräfte wichtig zu wissen, in welchem Zustand das Opfer ist. Wenn die Beamten der Leitstelle in den wichtigen ersten Minuten entsprechende Informationen geben, können von dort bereits weitere Maßnahmen eingeleitet werden – bevor die Notfallsanitäter eintreffen.

Häufig seien die Polizisten bei einem Brand die ersten am Unglücksort, sagt Polizeisprecher Michael Zell; „wir stellen unsere Autos ab, blockieren aber womöglich Flächen für Drehleiter und Rettungswagen.“ Wenn die Beamten wissen, was für eine Patientenablagefläche erforderlich ist, helfen sie den Rettungskräften. „Das sind ganz simple Geschichten, die die Arbeit aber sehr erleichtern können.“

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Straftaten erkennen: „Treppenstürze sind eigentlich nichts für die Polizei“, sagt Pressesprecher Michael Zell. Es könnte aber eine Straftat dahinterstecken, häusliche Gewalt oder eine Stolperfalle als fahrlässige Körperverletzung. „Da kriegen wir oft nicht die Nase dran.“ Denkt der Rettungsdienst diese polizeiliche Perspektive aber mit, kann die überhaupt auf Verstöße aufmerksam werden. „Diesen Blick muss man aber erst einmal haben.“

Selbstschutz und Gefahrensituationen: „Wir können den Menschen nur helfen, wenn wir uns selbst schützen können“, sagt DRK-Vorstand Dr. Martin Horchler. Wie gehen Rettungssanitäter beispielsweise damit um, wenn ein Polizist im Einsatz am Bein verletzt wird und die Helfer ihm die Schusswaffe abnehmen müssen, um die Wunde zu versorgen? Auch hier könne die Kooperation Hürden abbauen.

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