Dreis-Tiefenbach. Ben Albert aus Dreis-Tiefenbach starb an der seltenen Krankheit DIPG. Seine Mutter Antje Albert sammelt Spenden, um die Forschung zu finanzieren

Antje Albert sprüht vor Tatendrang. Schwungvoll öffnet sie die Tür und bittet mich freundlich lächelnd herein, ihr Händedruck ist fest. Auf dem Tisch liegen Flyer bereit, zu dem Thema über das wir gleich sprechen werden: DIPG. Das „diffuse intrinsische Ponsgliom“ ist ein Gehirntumor, der besonders Kinder im Alter von vier bis neun Jahren befällt, er gilt als unheilbar. Antjes Sohn Ben ist im Alter von nur vier Jahren an DIPG gestorben. Ben hat den Kampf gegen den Krebs verloren, aber Antje kämpft weiter. Sie unterstützt andere Betroffene und sammelt Geld für die Forschung. „Ich möchte diesen sinnlosen Tod in etwas sinnvolles verwandeln“, sagt sie.

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Die Diagnose

Es ist Montag, der 9. April 2018, Ben ist drei Jahre alt und seine Welt scheint an diesem Morgen noch in Ordnung. Wie jeden Tag bringt Antje ihn in den Kindergarten. Als sie ihn am Nachmittag abholt, merkt sie sofort, dass etwas nicht stimmt. Ben kann nicht mehr laufen, krabbelt nur noch auf allen vieren. Auch das Sprechen fällt ihm schwer, nur mühsam findet er Worte, kann nur noch lallen. Sofort fahren Antje und ihr Mann Holger mit Ben ins Krankenhaus. Doch die Ärzte sind überfordert, nehmen sie nicht ernst.

Es sei normal in dem Alter, Entwicklungsrückschritte, man würde das beobachten. Antje und Holger wissen es besser. Sie rennen von Arzt zu Arzt, zeigen Videos von Ben, wie er sich vorher artikuliert. Seine Gesichtszüge sind mittlerweile asymmetrisch, Antje befürchtet zu diesem Zeitpunkt noch, dass er einen Schlaganfall hatte. Über Stunden stoßen sie auf taube Ohren, doch sie lassen nicht locker: „Wir gehen hier nicht weg, bis er ins MRT kommt“.

Der vierte oder fünfte Arzt, Antje weiß es nicht mehr genau - es ist ein älterer, erfahrener Arzt - muss Ben schließlich keine Minute ansehen, um den Ernst der Lage zu erkennen und das MRT anzuordnen. Anschließend wird Ben mit dem Helikopter in die Uniklinik Gießen geflogen. Dort erhalten Antje und Holger die Diagnose DIPG. Aufgrund der Größe des Tumors geben die Ärzte Ben noch sechs Wochen.

>>>Stichwort: Krankheit DIPG

DIPG gehört zu den sogenannten seltenen Krankheiten. Etwa 4.000 neue Fälle treten weltweit jährlich auf, betroffen sind vor allem Kinder. Hirntumore sind die häufigste Todesursache von Kindern in Deutschland, DIPG gilt als besonders tödlich. Es gibt keine Heilungschancen und auch kaum lebensverlängernde Maßnahmen. Erkrankte Kinder haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von neun Monaten, in dieser Zeit verlieren sie nach und nach alle lebenswichtigen Funktionen. Sämtliche Forschungen auf diesem Gebiet sind von Spenden abhängig, weder die Pharmaindustrie noch der Staat stellen Gelder bereit.

Die Behandlung

Nach der Diagnose ist Antje Albert in erster Linie durcheinander. „Plötzlich ist dein Kind todkrank, gerade war noch alles in Ordnung“, erinnert sie sich. Es folgen zahllose schlaflose Nächte. Sie liest alles, was sie zu dem Thema finden kann, lernt die medizinischen Fachbegriffe und sucht weltweit den Kontakt zu Spezialisten. Sie kopiert Bens MRT-Bilder, formuliert ein Anschreiben und schickt sie in die ganze Welt. Ein Gedanke treibt sie an: „6 Wochen sind absolut inakzeptabel, da muss mehr gehen“. Am Ende werden es über 15 Monate.

In der Klinik in Gießen wird Ben stationär behandelt. Um den Tumor zu untersuchen, wird eine Biopsie durchgeführt. Da der Tumor im Hirnstamm sitzt, ist die besonders riskant. Die Ärzte informieren Antje über alles, was schiefgehen kann. „Die Aufklärung will man nicht hören, man hofft einfach darauf, dass es gut geht“, erinnert sie sich. Aus den angesetzten vier Stunden werden sieben, doch es geht gut.

Danach beginnen Chemotherapie und Bestrahlung – und Bens Zustand verschlechtert sich immens. Seine linke Seite ist vollständig gelähmt, auch sein Sprechen wird immer schlechter. „Es gibt nichts schlimmeres für ein Kind, als sich nicht mitteilen zu können“, sagt Antje. Das Sprechen klappt nie mehr wie früher, und viele haben Probleme, Ben überhaupt zu verstehen. Doch mit seiner Mutter kann er kommunizieren: „Ben und ich haben immer einen guten Weg gefunden, uns zu verständigen“.

Im Juni wird Ben aus dem Krankenhaus entlassen. Antje organisiert die Behandlung zuhause weiter. Ben bekommt Besuch von Ergo- und Physiotherapeuten und Logopäden. Er kämpft. Er will leben. Und es gibt Hoffnung. Kleine Fortschritte. Die MRTs zeigen, dass der Tumor kleiner wird.

Ben hilft – Spenden für den Kampf gegen DIPG

Die Bennifanten können per E-Mail an info@benhilft.de bestellt werden.

20 Euro kosten die Stoff-Elefanten (zzgl. Versand), sämtliche Einnahmen kommen der Stiftung für Innovative Medizin zu Gute.

Mehr Informationen zu der Krankheit und der Arbeit der Stiftung unter www.innovativemedizin.de

>>> Stichwort: DIPG-Forschung

Während der letzten Monate von Bens Leben trifft Antje Dr. Alexander Beck, Vorstandsvorsitzender der Stiftung für innovative Medizin. Seit 2014 erforscht die Stiftung bisher hoffnungslose Krankheiten, der Schwerpunkt liegt auf Krebs, insbesondere auf kindlichen Hirntumoren. Beck leitet eine Arbeitsgruppe am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, die nach Therapiemöglichkeiten für DIPG sucht. Alle Mitglieder des Teams arbeiten ehrenamtlich, doch sie brauchen Spenden für die Laborausstattung.

Antje hat eine kleine Frage an Beck, heute weiß sie nicht mehr, worum es genau ging. Daraus entwickelt sich ein 90 minütiges Gespräch und auch danach bleibt sie mit Beck in Kontakt. Er bietet betroffenen Eltern eine Plattform, um sich zu informieren und austauschen zu können. Im Oktober lädt er viele Eltern nach München ein und zeigt ihnen das Labor. „Mir war sofort klar, dass ich dieses Projekt unterstützen will“, sagt Antje.

Der Tod

Ostern 2019 macht die Familie Urlaub. Ben hat noch eine ältere Schwester, Emily. Während der Ferien wird Bens Zustand wieder schlechter. Antje hofft, dass es an der Aufregung liegt. Doch ein erneutes MRT, nur wenige Wochen nach dem erfreulichen Befund, zeigt, dass der Tumor wieder wächst. „Das ist das heimtückische“, sagt Antje, „heute machst du ein MRT und morgen wächst er wieder“. Antje kämpft darum, dass Ben eine zweite Strahlenbehandlung bekommt, die Familie sammelt Spenden für alternative Therapien.

„Alles ging wieder von vorne los“, erinnert sie sich. Ben kann keine Laute mehr machen, nicht mehr Schlucken und kaum noch seinen Kopf halten. Dieser schlimme Zustand dauert nur zwei Wochen. Am 27. August 2019 stirbt Ben Albert im Alter von vier Jahren. Dass es am Ende so schnell ging, trifft die Familie unerwartet. Es war „überraschend, obwohl wir wussten, Ben wird irgendwann sterben“, erinnert sich Antje.

Der Sinn

„Das Gefühl, ein Kind verloren zu haben, kann man nicht in Worte fassen“, sagt Antje Albert. Aber sie will nicht aufgeben. Sie weiß, dass sie eine sinnvolle, eine fordernde Aufgabe braucht. Sie überlegt, was sie tun kann. Mit ihrer Mutter kommt sie auf die Idee, etwas für die anderen Kinder auf der Onkologiestation in Gießen zu machen, die „17 Monate unser zweites Zuhause war“. Ben liebte seine Stoff-Elefanten, deshalb näht sie Elefanten für die Kinder, die über Weihnachten in der Klinik bleiben müssen.

Sie nennt sie „Bennifanten“ und veröffentlicht ein Foto auf Facebook. Danach steht ihr Telefon nicht mehr still. Alle wollen Bennifanten haben – und den Kampf gegen die Krankheit unterstützen. Antje organisiert Spendentermine in Supermärkten, schon nach dem ersten sind alle Elefanten weg. Sie näht weiter mit ihrer Mutter, legt Nachtschichten ein. 4546,18 Euro sammelt sie bei vier Spendenterminen.

„Wenn ich dieses Projekt nicht angefangen hätte, dann hätte ich mich ins Bett gelegt und wäre nie wieder aufgestanden“, sagt Antje. Stattdessen kämpft sie weiter. Sie spricht mit anderen Betroffenen, will ihnen die mühsame Suche nach Informationen erleichtern. Sie schärft das öffentliche Bewusstsein für die Krankheit. Und sie sammelt Geld für die Forschung.

Sie gibt dem sinnlosen Tod ihres Sohnes einen Sinn. Die Stiftung von Dr. Beck hat einen neuen Flyer herausgegeben, auf dem Bens Bild zu sehen ist. „Gemeinsam mit Bens Eltern nimmt die Stiftung für Innovative Medizin den Kampf gegen das Ponsgliom auf“, heißt es darauf. Ben hat in diesem Kampf sein Leben verloren. Aber nicht umsonst – der Kampf geht weiter.

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