Hilchenbach. Beratungsstelle berichtet in Hilchenbach: Siegen-Wittgenstein ist der einzige Kreis in Südwestfalen, der die Beratung weiter finanziert.

Die Förderung der Beratungsstelle Tamar, die in Südwestfalen Prostituierte berät und auch beim Ausstieg unterstützt, ist mit Landes- und EU-Mitteln nur noch bis April finanziert. Danach kann die Beratungsstelle, die von der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen getragen wird, nur noch im Kreis Siegen-Wittgenstein weiterarbeiten. Alle anderen südwestfälischen Kreise haben eine Finanzierung des Angebots abgelehnt. Auf diesen Sachstand haben die Tamar-Beraterinnen Sabine Reeh und Katharina Steinbeck jetzt im Hilchenbacher Sozialausschuss aufmerksam gemacht.

Die Situation

Für Tamar, die 2017 nach dem Auslaufen der dreijährigen Finanzierung durch die Aktion Mensch schon einmal vor dem Aus stand, bleibt die Herausforderung. „Man kann nicht so tun, als ob es Prostitution im ländlichen Bereich nicht gibt“, sagte Sabine Reeh, „alles ist versteckter als in der Stadt, und wir müssen wesentlich mobiler sein.“

Lukas Debus (SPD) fragte nach einer Einschätzung des „nordischen Modells“, das die Freier unter Strafe stellt. Das bedeute für die Frauen „Diskriminierung und Stigmatisierung“, antwortete Sabine Reeh. Männer oder diverse Personen gehörten nicht zur Tamar-Klientel, sagte die Beraterin auf Nachfrage von Karl-Heinz Jungbluth (FDP). Sie würden an andere Beratungsstellen verwiesen. „In ländlichen Regionen treffen wir ausschließlich Frauen an“, sagte Sabine Reeh, „Männer fühlen sich von dem Gesetz aber auch gar nicht angesprochen.“

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Das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 habe die Lebensbedingungen der Sexarbeiterinnen nicht erleichtert, stellten die Beraterinnen klar: Bei der nun geltenden Anmeldepflicht, verbunden mit dem Nachweis einer gesundheitlichen Beratung, fürchteten Frauen, dass ihre Daten in ihrem Herkunftsland zu den dortigen Behörden gelangen könnten. „Extrem verunsichert“ habe die Frauen auch, dass ihre Daten bei der Anmeldung an das Finanzamt weitergeleitet wurden.

Das Gesetz

Das Gesetz habe auch dazu geführt, dass viele kleine Betriebe hätten schließen müssen, entweder weil Bauvorschriften nicht eingehalten werden konnten oder weil sich niemand fand, der die nun erforderliche Konzession beantragte. Entsprechend verloren gingen die Kontakte zu den bisher dort arbeitenden Frauen. „Das heißt aber nicht, dass sie nicht mehr da sind.“ Die angebotene Online-Kontaktaufnahme funktioniere „nicht ganz so gut“.

Weitere Beratungseinrichtungen

Tamar Südwestfalen hat eine Schwestereinrichtung: Seit 2018 gibt es Tamar Münsterland.

Theodora heißt die Beratungseinrichtung für Frauen in der Prostitution in Ostwestfalen-Lippe mit Sitz in Herford seit 2011.

Nadeschda, ebenfalls in Herford, unterstützt Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind.

Das Gesetz, so das Fazit der Beraterinnen, gehe „an den Frauen vorbei“. Deren Schutz würde eine Kontrolle der Prostitutionsorte dienen, nicht aber die Registrierung der Sexarbeiterinnen.

Die Zahlen

Seit fünf Jahren arbeitet Tamar in Siegen-Wittgenstein: „Mittlerweile sind wir an allen Prostitutionsorten etabliert“, berichtete Sabine Reeh. Am Anfang haben uns nicht alle mit offenen Armen empfangen.“ Seit dem 1. Mai 2018 wurden 788 Prostituierte in Südwestfalen neu registriert, davon 135 im Kreis Siegen-Wittgenstein. Es gibt 73 Prostitutionsorte, davon 21 im Kreisgebiet. „Eine relativ hohe Zahl“, sagte Kathrina Steinbeck, was an der vergleichsweise hohen Zahl kleiner Betriebe liege.

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Mehr als die Hälfte der registrierten Sexarbeiterinnen kommt aus Rumänien oder Bulgarien, ebenfalls als Herkunftsländer stark vertreten sind Thailand und Brasilien. Beraten und begleitet wurden 118 Frauen, davon in Siegen-Wittgenstein 35 – von ihnen acht mit einem Kind, elf mit zwei und fünf mit drei Kindern. „Viele Frauen können nicht lesen und schreiben“, sagte Sabine Reeh. Insgesamt wurden in den fünf Jahren von Tamar 564 Frauen erreicht und 140 bei 371 Kontakten beraten.

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