Siegen. Milan Pešl überzeugt im Bruchwerk-Theater Siegen: Ganz nah am Publikum, das zum Mit-Improvisieren eingeladen wird und vielen emotionalen Facetten
Gemütlich ist es im Bruchwerk-Theater. Bequeme Stühle und Sofas für das Publikum bilden einen Kreis um die Spielfläche, die sich später auch zur Tribüne erweitert. Gardinen an der Wand und ein Plattenspieler mit Musik von Creedence Clearwater Revival lassen Wohnzimmeratmosphäre aufkommen bei der Premiere von „All das Schöne“.
Der Junge, namenlos und am Anfang sieben Jahre alt, hat auf einer Liste notiert, was er auf der Welt wunderbar findet. Beginnend natürlich mit Schokolade. Angefangen hat er damit, als seine depressive Mutter nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus lag. Und die Liste soll ein Geschenk für sie werden. Die Begegnung mit dem Tod ist für den Jungen nicht ganz neu, denn der Familienhund „Schnitzel“ musste eingeschläfert werden. Nur wie?
Siegener Politiker im Publikum wird zum Tierarzt
Dafür ist das Publikum und dessen Improvisationslust da. Nachdem Zuschauer schon die nummerierte Wunschliste vorgelesen hatten, wird nun ein bekannter Siegener Politiker zum Tierarzt, der den armen Hund (Anorak mit Fellkragen) per Spritze (Kugelschreiber) fachgerecht ins Jenseits befördert, ein renommierter Maler zum Vater, der dem Jungen die Krankheit der Mutter erklärt. Und ein lesbisches Ehepaar auf dem Krankenhausflur tröstet ihn – mit Schokolade. Das Gespräch mit einer Schulpsychologin („uralt, sie war schon über 30“) ist ihm ebenso in Erinnerung wie das Küchenklavier, auf dem Mutter immer Lieder von Nina Simone spielte.
Zehn Jahre später: Der Junge, nun fast im Mannesalter, findet seine alte Liste wieder und ergänzt sie, von der Nr. 316 (Steffi Graf) bis 999 (Sonnenschein) und immer weiter. Der ebenso einfühlsam wie temperamentvoll spielende Milan Pešl begibt sich auf sehr dünnes Improvisations-Eis, als er das Publikum nach einem mitgebrachten Buch fragt. Eine Zuschauerin hat eins dabei. Über das Sexleben einer 30-Jährigen. Das Buch jedoch eröffnet der Hauptfigur den Weg zu Alex, für die er eine Nacht lang weitere Wünsche aufschreibt. Von „Kaffee“ bis „Mit jemandem aufwachen, den man liebt“. Er und Alex lieben sich wirklich und sie hält um seine Hand an. Papa singt „Griechischer Wein“ und aus dem Plattenspieler erklingt Leonard Cohens legendäres „Suzanne“.
So wie im Bruchwerk Siegen bekommt man Theater selten geboten
Nach den Flitterwochen in Heringsdorf, dem Umzug nach Köln und der Anschaffung einer Katze mit dem Namen „Wiener“ – passend zum verstorbenen Hund – ist es allerdings auch schon wieder vorbei. Alex weiß von den Depressionen ihres Mannes, doch der verweigert eine Behandlung. Sie packt ihre Sachen und hinterlässt eine letzte Nachricht. Sie liebe ihn und man könne es irgendwann noch einmal versuchen. Das Dumme nur: Er findet diese Botschaft erst sieben Jahre später.
Wie die Geschichte weitergeht? Ein Besuch im Bruchwerk lohnt nicht nur, um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, sondern auch, um Theater einmal so zu genießen, wie man es selten geboten bekommt: auf gleicher Ebene, ganz dicht „bei den Leuten“.
Schauspieler Milan Pešl ganz nah beim Publikum
Und nicht zuletzt kann man mit Milan Pešl einen Schauspieler erleben, der in 90 Minuten Spielzeit alle Facetten menschlicher Gefühle und Stimmungen hineinlegt. Komik und Tragik liegen bei dem gebürtigen Siegener, der nach seinem Schauspielstudium in Hamburg lange am Stadttheater Gießen engagiert war, ebenso eng beieinander wie Helligkeit und Dunkelheit, Licht und Verzweiflung.
So wird es am Ende ganz still im Bruchwerk-Theater, nur einige Geräusche vom nahen Weihnachtsmarkt lassen das Publikum ganz sanft wieder in der Wirklichkeit ankommen.
Viele Besucher des Weihnachtsmarktes haben in den vergangenen Wochen hunderte von Gründen aufgeschrieben, warum das Leben in Siegen für sie wunderbar ist. Diese Notizen wurden in das Theaterstück einbezogen.
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