Siegen. Viele E-Scooter-Modelle sind nicht verkehrssicher – und rechtliche Vorschriften zu lasch oder mangelhaft, kritisiert der Siegener Constantin Dohr

E-Scooter haben das Potenzial, die oft problematische Situation im Siegener Innenstadtverkehr deutlich zu verbessern. Das ist die Überzeugung von Constantin Dohr. Er hat einen E-Scooter gekauft und testet ihn seit einiger Zeit im Alltag. Zudem arbeitet er an einem neuen Modell, dass den harten Anforderungen gerecht wird – denn die meisten Modelle auf dem Markt hätten große Sicherheitsrisiken. Auch die rechtlichen Vorschriften seien entweder viel zu lasch oder unausgereift, kritisiert Dohr.

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Die Vision: Alltagstaugliche E-Scooter für Siegen

„Der Mensch ist teilweise faul und das ist auch oft nicht schlimm“, sagt der 22-Jährige. Viele Leute wollen nicht verschwitzt im Büro ankommen und würden für den Weg zur Arbeit daher kein Fahrrad benutzen. Für große Distanzen sind die E-Roller eher nicht geeignet, sondern für die drei bis acht Kilometer zur Arbeit und zurück, sagt er: Unter den Kurzstrecken leidet das Auto, weil der Motor nicht richtig warm wird, Autos benötigen viel Platz, den es in Siegen nur begrenzt gibt, Parken kostet Geld und schneller ist man auch nicht, weil die Straßen verstopft und Stellflächen rar sind.

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Mit dem E-Scooter, so der Startup-Gründer, könne man bis vor die Haustür fahren, vorhandene Fahrradinfrastruktur nutzen oder sogar das Fahrzeug mit ins Gebäude nehmen, der Kaufpreis rechne sich bei einem Stromverbrauch von unter 1 Euro auf 100 Kilometer ziemlich schnell und Abgase würden auch nicht ausgestoßen. „E-Scooter ermöglichen ohne großen Aufwand eine extrem günstige Individualmobilität.“

Erstes Problem: Die Elektrokleinstfahrzeugeverordnung

Was in Sachen E-Scooter erlaubt ist und was nicht, regelt die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung. „Ein ziemlicher Schnellschuss“, findet Dohr: Hier würde es ermöglicht, Fahrzeuge im Straßenverkehr zu bewegen, die ziemlich unsicher seien, etwa was Bremsen oder Licht angehe. Außerdem würden E-Scooter im Vergleich zu Fahrrädern benachteiligt.

Rechtliches

Die Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) sieht vor, dass E-Scooter auf Radwegen, in Fahrradstraßen und auf Radfahrstreifen fahren dürfen. Sofern die nicht vorhanden sind, darf auf die Fahrbahn ausgewichen werden.

Für weitere Ausnahmen muss die Straßenverkehrsbehörde das Zusatzzeichen „Elektrokleinstfahrzeuge frei“ anordnen. Generell muss geprüft werden, an welchen Stellen der E-Scooter zugelassen werden soll. Aus Sicherheitsgründen gegenüber Fußgängern kann es Stellen geben, bei denen Radverkehr erlaubt ist, E-Scooter aber unter Umständen nicht erlaubt werden sollten, so die Abteilung Straße und Verkehr.

Damit alle Zusätze fürs Fahrrad auch für E-Scooter gelten, müsste der Bund die eKFV ändern.

Das oberste Prinzip der Straßenverkehrsordnung – gegenseitige Rücksichtnahme – fand in der Verordnung wohl keine Anwendung: E-Scooterfahrer sollen Fahrradfahrern Platz machen oder ihre Geschwindigkeit anpassen.

Zweites Problem: Das Fahrverhalten vieler E-Scooter

„Der Markt wird momentan mit Schrott überschwemmt“, findet Constantin Dohr. Er selbst fährt einen Scooter von BMW, „das zur Zeit leistungsfähigste Modell auf dem Markt“, sagt er – und auch das habe nicht genug Leistung für viele Siegener Berge. Die Fahrtests, die der Zulassung eines E-Scooters zugrunde lägen, seien wohl Tests unter Optimalbedingungen und die Hürden, um einen E-Scooter zuzulassen so niedrig, dass nahezu jedes Modell sie bestehe. So müssen die Scooter keine Luftreifen haben, ärgert sich der Student. Bei Hartgummireifen reiche ein Kieselsteinchen, um das Rad aus der Spur zu schleudern.

Luftreifen, hochwertige Bremsen, helles Licht: Constantin Dohrs E-Scooter ist auch im Winter auf holprigen Straßen gut nutzbar.
Luftreifen, hochwertige Bremsen, helles Licht: Constantin Dohrs E-Scooter ist auch im Winter auf holprigen Straßen gut nutzbar. © Hendrik Schulz

Eine Rad-Mindestgröße ist ebenfalls nicht geregelt. „Wie soll man damit Schlaglöcher sicher durchfahren?“, sagt Dohr, „oder einen Bordstein schräg hoch“, wie es bei manchen Radwegen beim Wechsel von der Straße auf den Bürgersteig der Fall sei. Und nicht jeder Bordstein sei in der Realität nach DIN-Norm abgesenkt.

Drittes Problem: Mangelhafte Bremsen sind ausreichend für die Zulassung

Vorgeschrieben sind zwei – aber nicht, dass sie mechanisch sein müssen. Häufig würden Motorbremsen verwendet, weil diese sehr günstig seien. „Eine Motorbremse funktioniert aber nur, wenn der Akku nicht voll ist“, sagt Dohr. Wer auf dem Berg wohnt und ins Tal zur Arbeit fährt, kann eventuell nicht bremsen.

Und wenn die Leistung nicht ausreiche, um den Berg hochzufahren, reicht die Motorbremse auch nicht aus, um bergab eine Temposteigerung zu verhindern. Mit steigendem Gewicht des Fahrers wird außerdem der Bremsweg länger.

Viertes Problem: Die Sicherheit vieler E-Scooter generell

Inzwischen hat Dohrs Roller mehr als 650 Kilometer auf dem Tacho, „ich hatte keinen Sturz, war nie in einer Gefahrensituation“, sagt er. Sein Bruder, der momentan einen E-Scooter mit 10-Zoll-Reifen testet, sei in 120 Kilometern schon einmal schwer gestürzt. „Man darf nicht vergessen, dass ein E-Scooter ein Kraftfahrzeug ist und kein Spielzeug. Aber so sind viele Modelle gebaut.“

Dohr fährt bei jedem Wetter – was nur gehe, weil sein Scooter im im Gegensatz zu den meisten Modellen wasserdicht sei. Einen Überhitzungsschutz hat er auch, der anderen Scootern teilweise fehle. Bei langen Steigungen sei das brandgefährlich.

Fünftes Problem: Die Siegener Verkehrsführung

In Siegen gibt es nicht überall durchgehende Radwege. Das betrifft etwa die Nord-Süd-Verbindung unter der HTS: Die Strecke ist nicht durchgehend ein Radweg, sondern abschnittsweise auch ein Fußweg, auf dem Fahrradfahrer fahren dürfen.

Das bedeute aber auch, dass E-Scooter auf diesen Passagen nicht fahren dürfen, so Constantin Dohr. Die Fußgängerzone in der Unterstadt ist auch Teil des Siegener Radwegenetzes – E-Scooter dürfen dort aber nicht fahren.

Das Vorhaben: Ein E-Scooter der im Alltag auf Siegener Straßen funktioniert

Zusammen mit drei Kollegen entwickelt Constantin Dohr einen E-Scooter, der für den Alltagseinsatz auf der Straße sicher ist. „Wir testen momentan die aktuellen Topmodelle unter Realbedingungen“, sagt er, um Schwachstellen herauszufinden, was wann kaputt geht. Sein Modell hat 16-Zoll-Luftreifen, helle Front- und Rücklichter, hydraulische Scheibenbremsen, einen Alu-Rahmen – „hochwertige Fahrradkomponenten“, betont Dohr.

Wenn etwas kaputt gehe, könne man es selbst oder im Fachgeschäft reparieren und warten lassen – bei Modellen aus Fernost, die neu sehr viel weniger kosten, könne das schwer werden. Mit fasst 20 Kilo sei es zwar kein Leichtgewicht, aber ein paar Stufen tragen gehe noch – und der Scooter passt in die meisten Aufzüge.

Die Forderung: E-Scooter Fahrrädern gleichstellen

Damit verkehrssichere E-Scooter im Alltag Sinn machen, fordert Dohr, sie Fahrrädern gleichzustellen. Wo Fahrräder, E-Bikes oder Pedelecs unterwegs sind, sollten auch E-Scooter fahren dürfen: „Man nutzt einen E-Scooter wie ein Fahrrad“, sagt er. Nicht nur vom Tempo oder der grundsätzlichen Konstruktion eines Zweirads her. „Man stellt sie im Fahrradkeller, in der Garage oder der Wohnung ab, schließt sie an Fahrradständern an. Das Fahrprofil ist identisch zum Fahrrad und man fährt auf denselben Wegen“.

Der Gesetzgeber sollte dies erkennen und E-Scooter überall dort fahren lassen, wo auch Fahrräder fahren dürfen. Ansonsten müsste unter jedes „Fahrrad frei“-Schild ein „E-Scooter frei“-Schild dazu gehängt werden, was totaler Unsinn wäre, sagt Dohr.

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