Oberdielfen. Schüler diskutieren beim Fachseminar für Altenpflege mit der Landtagsabgeordneten Anke Fuchs-Dreisbach über Probleme aus dem Alltag.

„Das muss ich mir aufschreiben“, murmelt Anke Fuchs-Dreisbach und eilt zu ihrem Block. Die Landtagsabgeordnete aus Sassenhausen muss sich einiges notieren im „AUDITORIUM südwestfalen“, einem Fachseminar für Altenpflege im Gemeindehaus. Weil sie im Gespräch mit Schülern und Schulleiterin Yvonne Fromm schnell merkt, wie groß der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist – selbst für eine Politikerin, die ziemlich bodenständig wirkt.

Zum dritten Mal haben Landtagsabgeordnete 2019 die Möglichkeit, an den „Tagen der Freien Schulen NRW“ eben solche zu besuchen, ihre Arbeit dort vorzustellen, vor allem aber einen Einblick in das Geschehen vor Ort zu bekommen. Als gelernte Physiotherapeutin und unter anderem ordentliches Mitglied im Düsseldorfer Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist Anke Fuchs-Dreisbach bewusst in eine Schule gegangen, die Menschen für einen Mangelberuf im Bereich Gesundheit ausbildet. „Sie haben eine Mordsverantwortung“, sagt sie den rund 40 Frauen und Männern, die an diesem Montag zuhören und engagiert Fragen stellen.

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Neues Gesetz sorgt für Unmut

Im Mittelpunkt steht die Novellierung des Pflegeberufegesetzes. Während die Schüler aktuell noch nach der alten Fassung drei Jahre lang zu Altenpflegern ausgebildet werden, gibt es künftig eine zweijährige Generalausbildung für alle Pflegeberufe. Im dritten Jahr müssen sich die Schüler dann entscheiden, ob sie auf dieser allgemeinen Schiene weitermachen, oder sich spezialisieren möchten, für die Alten- oder Kinderpflege etwa. Die sei nötig geworden, um Dinge zu vereinfachen und verbessern, sowie die Strukturen auf EU-Ebene anzupassen, verteidigt die Abgeordnete das neue Gesetz. „Warum lässt man nicht einfach alles so, wie es ist?“, möchte eine Schülerin wissen, nachdem bereits viele Unstimmigkeiten an den Tag gekommen sind. Weil die Dinge sich nun mal veränderten, sagt Anke Fuchs-Dreisbach und hebt die Schultern. Weil sie derart viele Überraschungen sichtlich nicht erwartet hat. Es habe ausführliche Beratungen gegeben, „auch mit den Vertretern Ihrer Interessensverbände“, erklärt sie. „Ja, aber den falschen“, kommt zurück. „Gut gedacht, schlecht gemacht“, wird als weitgehendes Fazit deutlich.

Bezahlung und Anerkennung sind problematisch

Ist die Beteiligung am Anfang zurückhaltend, wird der Austausch immer reger. „Zahlen nicht alle Betriebe nach Tarif?“, fragt Anke Fuchs-Dreisbach verwundert und bekommt nur ein ironisches „Pfff“ von Yvonne Fromm als Antwort, die nebenbei noch ihre großen Schwierigkeiten mit der Bürokratie schildert, zu denen auch die Anerkennung von Schulabschlüssen gehört. Nicht nur von Ausländern, sondern auch von Menschen aus anderen Bundesländern. Schüler aus Hessen darf sie nur annehmen, wenn die einen Bildungsgutschein mitbringen. Wegen der Ausbildung.

Unter anderem hat Anke Fuchs-Dreisbach einer Schülerin mit Kind versichert, wie gut es doch sei, dass sie die Gelegenheit habe, die Ausbildung in Teilzeit zu machen. „Theoretisch ja“, mischt sich Schulleiterin Yvonne Fromm ein. Praktisch gebe es das Angebot nicht. Was die betroffene Frau, die genau dies in Anspruch nehmen wollte und nach einer Schule gesucht hat, bestätigt. Es gebe keine. Die Ausbildungszeit sei genau umrissen, die Lehrpläne darauf abgestellt. Wer das alles länger ziehen wolle, brauche andere Zeiträume, das könnten die Schulen nicht leisten, betont Yvonne Fromm, die für die Zukunft eher düstere Ahnungen hat. Sie kenne Schulen, die schließen müssten, weil sie mit den neuen Rahmenlehrplänen und der zusätzlichen Ausstattung an Lehrkräften nicht zurechtkämen.

Wertigkeit des Abschlusses hinterfragt

Das neue Gesetz tritt am 1. Januar 2020 in Kraft. Die Durchführungsverordnung ist allerdings noch nicht fertig. Über die Anerkennung der künftigen Abschlüsse unter dem Titel Pflegefachkraft ist noch nichts entschieden. Auch das Fachseminar in Oberdielfen wird sich neu organisieren müssen, durch den künftig geforderten Generalistik-Anspruch. Es gibt aber noch eine kleine „Gnadenfrist“. Die Kurse beginnen hier immer am 1. Oktober. „Andere Schulen fangen am 1. April an“, sagt Yvonne Fromm. Die meisten hätten den Termin aufgrund der Unsicherheiten bereits gestrichen.

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Was die Schüler derzeit vor allem beunruhigt: Stehen sie mit ihrem alten Abschluss künftig schlechter da, als die neuen Kollegen? Einer fragt sogar, ob er die Ausbildung nicht erst einmal abwartend unterbrechen solle. Aus Sicht der Schulleiterin ist diese Sorge unbegründet. Die drei spezifisch auf die Altenpflege ausgerichteten Schuljahre mit rund 2500 Praxisstunden sorgten für ein umfassendes Wissen. Künftig müssten drei bisherige Ausbildungen in die gleiche Zahl an Praxis gesteckt werden, gibt sie zu bedenken.

Am meisten kämpfen alle aber mit ihrem Ansehen. Altenpfleger, das seien doch Leute, die zu doof für die Fabrik seien, beschreibt eine frühere Arzthelferin typische Reaktionen Außenstehender. Sie müsse Spritzen setzen, Medikamente verteilen, „mich konzentrieren“, aber die Gesellschaft sehe nur Leute, die anderen die Bettpfanne säuberten oder den Hintern abputzten. Ein anderer Titel könne da schon viel ausmachen. Sie werde ihr Bestes tun, um gegen solche Vorurteile zu arbeiten und auch alles Gehörte in Düsseldorf weitergeben, verspricht Anke Fuchs-Dreisbach. „Sie machen einen tollen Job. Und Sie finden dafür viel Dankbarkeit“, gibt sie den Schülern mit. Die sind sich nicht sicher, was ihnen die Zukunft bringt. „Aber es war gut, einmal mit ihr darüber sprechen zu können“, bilanziert ein junger Mann.

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