Siegen. . Große Resonanz bei der Gedenkveranstaltung auf dem Platz der Synagoge. Erstmals gestalten deutsche und israelische Jugendliche das Programm mit.
Zum ersten Mal seit 40 Jahren brennen auf dem Platz der Synagoge wieder die Kerzen der Menora. Und zum ersten Mal überhaupt legen Schüler aus Siegen-Wittgenstein und dem israelischen Partnerkreis Emek Hefer gemeinsam den Kranz nieder vor dem Aktiven Museum Südwestfalen; dem Ort, wo vor 80 Jahren die Siegener Synagoge niederbrannte.
Noch mehr Bürger als sonst nehmen am Freitag an der zentralen Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht teil. „Wir erinnern uns heute an die Konsequenzen der Sinnesbetäubung“, erinnert Yoni Scherzer aus Emek Hefer auch an die, die nicht unmittelbar an den Gewaltexzessen beteiligt waren, aber in der Folge taten, als ginge sie das alles nichts an. „Das ermöglichte es der NS-Regierung, ihren zerstörerischen Weg weiterzugehen“, so Scherzer. Heute kenne man ein anderes Deutschland; eines, mit dem man sich gemeinsam an das Grauen erinnere, im Dialog stehe, mit dem man eine Partnerschaft habe. „Wir reichen uns die Hand in Frieden und Freundschaft, in der Hoffnung, dass unsere Kinder und Kindeskinder das bewahren werden“.
Bilderfolge zeigt brennende Synagoge
Noch ein erstmals: Im Aktiven Museum wurde die vierminütige Bilderfolge der brennenden Synagoge des Fotografen Erich Koch gezeigt.
Die Bildrechte hat der Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein, die Aufnahmen wurden Anfang des Jahres in Berlin aufgearbeitet.
Buchstäblich die Hand reichen sich Schüler der Gemeinschaftlichen Sekundarschule Burbach-Neunkirchen und ihre Altersgenossen aus Emek Hefer: Sie tragen Gedichte und Erinnerungen jüdischer Opfer vor, legen gemeinsam den Kranz an der Gedenktafel nieder.
Nazi-Gedankengut entgegentreten
Bürgermeister Steffen Mues appelliert, sich des elementaren ersten Satzes des Grundgesetzes zu besinnen. „‘Die Würde des Menschen ist unantastbar’ fasst im Grunde alles Notwendige zusammen, was für ein Zusammenleben in Staat und Gesellschaft wichtig ist.“ An so einem Tag, an dem für das, was Millionen Menschen angetan wurde, keine Worte gefunden werden könne, werde das Glück, in einem freiheitlich-demokratischen Land zu leben, besonders deutlich.
„Diese Werte können wir nur erhalten, indem wir immer wieder für sie einstehen“ – gerade in Zeiten, in denen verstärkt extremistische Gruppen versuchten, Nazi-Gedankengut wieder salonfähig, aus Tätern Opfer zu machen, Angst zu schüren, millionenfaches Leid zu leugnen. „Wir wissen um den dunklen Teil unserer Geschichte. Wir werden das weitergeben, damit es nicht verdreht und missbraucht wird und sich solche Gräuel nicht wiederholen.“
Kürzlich erst wurde bekannt, dass in unmittelbarer Folge der Reichspogromnacht in NRW, die der Auftakt war für die systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden, mehr Menschen starben als bis dahin angenommen: 127. Bislang war man von 91 Opfern ausgegangen. Drei von ihnen in Siegen. Betty Windecker geborene Löwenstein und ihre Mutter Frieda nahmen sich am 14. November 1938 das Leben, weil ihre Ehemänner nach den Pogromen ins KZ Sachsenhausen deportiert worden waren. Als sie am 28. November zurückkehrten, brach Siegfried Löwenstein, Vater von Betty, Ehemann von Frieda, zusammen. Am 1. Dezember nahm er sich im Krankenhaus das Leben. Sein Schwiegersohn Hermann Windecker wanderte im März 1939 in die USA aus.