Siegen. Irina Ries und ihr Pianist Christian Keul interpretieren im Siegener Bruchwerk-Theater das Musical „Lola Blau“ von Georg Kreisler neu.

Das bewegte Leben einer jüdischen Sängerin während des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit darzustellen, die Schauplätze von Österreich über die Schweiz in die USA, dann wieder zurück nach Wien, Budapest und Berlin zu verlagern, geht das? Es klappt – und zwar vortrefflich – wenn eine solch vielseitige Verwandlungskünstlerin wie Irina Ries auf der Bühne agiert.

Die noch dazu von einem Tastenkünstler wie Christian Keul begleitet wird, der in seiner trocken-lakonischen Art in verschiedene Nebenrollen schlüpft. Mal in eine Concierge, dann in einen Briefboten mit mehr oder weniger guten Botschaften, zwischendurch auch als Ausrufer mit dem Megaphon.

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Uraufführung 1971

Georg Kreisler, der 1922 geborene und 2011 verstorbene österreichische Komponist, Dichter und Sänger, steht für rabenschwarze, manchmal auch sehr böse, anarchistische Texte. Sein bekanntestes Lied wurde „Tauben vergiften im Park“. Sein Musical „Lola Blau“ wurde 1971 uraufgeführt und passt perfekt in kleine Theater. Texte und Lieder sind vorwiegend deutschsprachig, passend auch zum Leben Kreislers, der mit seinen Eltern wegen deren jüdischer Herkunft 1938 in die USA emigrierte und 1955 nach Europa zurückkam.

Zur Person: Irina Ries

Schauspielerin und Sängerin Irina Ries studierte an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München.

Nach Engagements am Münchener Residenztheater und dem E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg arbeitet sie seit 2014 am Jungen Staatstheater in Wiesbaden als Schauspielerin und Regisseurin.

Im Bruchwerk Theater war sie schon in der Eröffnungsproduktion „Beben“ zu sehen.

1938 beginnt auch die in „Lola Blau“ erzählte Geschichte einer Wiener Sängerin, deren Karriereträume in ihrem Heimatland zerplatzten, weil Österreich von Nazideutschland „Heim ins Reich“ geholt hatte. Das Hakenkreuz ist allgegenwärtig. Aus dem Megaphon erschallen in nervender Lautstärke Heil-Hitler-Rufe und aus dem Volksempfänger „Die Fahne hoch“ im Marschrhythmus. An Lolas Reisekoffer klebt der gelbe Judenstern, als sie in die neutrale Schweiz reist und Konzerte gibt. Doch der lange Arm der Nazis erreicht sie auch dort. Die Fremdenpolizei Zürich gibt ihr 24 Stunden bis zur Ausreise.

„Heut werd ich mich besaufen“

Die USA werden ihre neue Heimat, ihren Geliebten Leo muss sie zurücklassen. Lolas Reisekoffer ziert inzwischen die amerikanische Flagge. Sie tritt in Las Vegas und New York auf. Herrlich, wie Irina Ries dabei im Dirndl und in alpenländisch eingefärbtem Englisch „Sex is a wonderful habit“ interpretiert. Doch in Wirklichkeit ist sie todunglücklich. Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 erweckt bei Lola Blau Glücksgefühle. „Heut werd ich mich besaufen“, singt sie und nimmt das so wörtlich, dass sie alkoholbenebelt am Boden liegt. Und auch diesen Zustand verkörpert Irina Ries perfekt.

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Und Leo? Sein Anruf aus Wien und ihre vorsichtige Annäherung an ihn gehört zu den innigsten Minuten des Abends. Zurückgekehrt nach Wien, merkt sie: Theater ist so ziemlich das Letzte, was die Menschen in der Nachkriegszeit brauchen. Sie bekommt eine Absage nach der anderen, versucht sich in Operettenrollen, um schließlich im „Kaiserschmarrn“ in Wiens 4. Bezirk zu landen. Als Kabarettsängerin.

Unzählige Kostümwechsel

Aber auch politisch zerplatzt in Lola Blau manche Hoffnung. „Ich hab Angst vor den vielen Schmidts“, singt sie und meint damit die Bürger, die die Nazizeit verharmlosen und sich ihrer Verantwortung für die Vergangenheit nicht stellen. Und Leo, den sie in Wien treffen wollte? Ob er kommt, bleibt offen. „So ist das Leben“, resigniert sie.

Eine besondere Variante von „Leben aus dem Koffer“.
Eine besondere Variante von „Leben aus dem Koffer“. © Wolfgang Leipold

Von all den vielen Kreisler-Liedern, die Irina Ries an diesem Abend präsentiert, bleibt vor allem „Im Theater ist nichts los“ im Kopf der Besucher. Im Bruchwerk Theater ist jedoch umso mehr los. Eine Künstlerin, die in unzählige Kostüme schlüpft, dabei stets auch ihre Persönlichkeit verändert, Schweizerisch, Berlinerisch, Wienerisch und noch andere Dialekte kann, mal brav und bieder und dann frivol-verrucht daherkommt, die sich verletzlich und direkt danach euphorisch aufgeladen zeigt, lässt die Zuschauer fast atemlos werden.

Dass sie und ihr Piano-Mann Christian Keul ohne jegliche Mikros, dafür aber perfekt ausgeleuchtet agieren, macht sie beweglicher, lässt sie noch dichter an das Publikum herankommen und setzt der Inszenierung das Sahnehäubchen auf. Deren Emotionen entladen sich durch lautes Bravo und rhythmisches Fußtrampeln.

„Lola Blau“ wird im Bruchwerk Theater noch dreimal wiederholt: Am Wochenende 27., 28. und 29. September, jeweils um 19.30 Uhr.

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