Siegen. . Mit „Beben“ von Maria Milisavljevic bringt das Bruchwerk-Theater Siegen einen anspruchsvollen Stoff als Zwei-Personen-Stück auf die Bühne.

Sie spielen Fingerklatschen. Zwei Frauen, scheinbar entrückt und abgeschottet von der Welt. Riffs einer E-Gitarre untermalen ihr Spiel. Hikikomori nennen die Japaner dieses Syndrom, bei dem sich Menschen in ihrem Zimmer einschließen und die Kontakte nach draußen auf ein Minimum reduzieren. Ulro nennt der englische Dichter William Blake diesen Rückzugsort von Einsamen. An dessen Kante sitzt ein uralter Mann und beobachtet das Weltgeschehen.

Kein leichter Stoff

Die Verantwortlichen haben sich mit „Beben“ der gebürtigen Arnsbergerin Maria Milisavljevic beileibe keinen leichten Stoff zur Eröffnung des kleinen, aber sehr, sehr feinen Bruchwerk-Theaters ausgesucht. Zumal Dramatiker David Penndorf und Regisseur Milan Peŝl das von der Autorin gedachte Sechs-Personen-Werk auf ein Zwei-Frauen-Stück eingedampft haben. Um es gleich zu sagen: Irina Ries und Lisa Sophie Kusz meistern diese Herkulesaufgabe einer Aufführungszeit von 100 Minuten ohne Pause mit einer Spielfreude und Leidenschaft, als gäbe es kein Morgen mehr.

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Vieles wird von ihnen verlangt: Verfolgungsjagden über die verschiedenen Gerüst-Ebenen, die an Kinderspiele erinnern. Dann reden sie mit zunehmender Lautstärke nervtötend aneinander vorbei, bis eine diesem Anschlag auf die Trommelfelle des Publikums mit einem „Halt einfach die Fresse“ ein Ende setzt und Schauspieler und Publikum die Gnade der Stille genießen dürfen. Wenn auch nur kurz. Denn nach und nach erweist sich ihre anfängliche Prognose „Heute wird gefeiert“ als Irrtum. Eine der beiden Frauen ist durch den Tod ihres kleinen Sohnes eine verzweifelt trauernde Mutter. Er wurde erschossen, als er ihr ein Buch holen wollte und es unter seiner Kleidung trug. Dass sie schließlich dem Mörder ihres Kindes verzeiht („Wer, wenn nicht wir? Was soll denn werden aus der Welt?“) gehört zu den wenigen Hoffnung gebenden Aussagen des Stücks, ebenso wie das Wissen „Heimat ist der Tautropfen auf der Wiese deiner Eltern“.

Alberner Schlusspunkt

Dazwischen jedoch ist ein Wust von Themen verpackt, die aber alle nur oberflächlich angekratzt werden: Pegida, Merkel, Latte trinken, arbeiten, sterben, Schuldgefühle, Krieg, Gewalt, Terrorismus … Natürlich kommt auch China ins Spiel. Dazu Vergewaltigungsphantasien mit der stillen Hoffnung, dass der Vergewaltiger der beste Freund wird. Da müssen ja die Köpfe dröhnen. Dass sich am Ende noch ein Schnellkurs in der fernöstlichen Entspannungstechnik Yoga anschließt, garniert mit einem David-Hasselhoff-Song, ist so überflüssig wie ein Regenschirm in der Sahara und setzt dem üppigen Themenmenü einen leicht albernen Schlusspunkt. Möglich, dass die Autorin in „Beben“ einiges Autobiographische eingebaut hat. Und gerade deshalb hätte der dramaturgische Rotstift gut getan, zumal 20 Minuten weniger Spielzeit der Substanz des Stücks nicht geschadet hätten.

Der Beifall des Publikums gilt der atemberaubenden Spielkunst von Irina Ries und Lisa Sophie Kusz in ihrer selbst gewählten Isolation, die sie nur für einen Moment ganz zum Schluss aufgeben, ebenso wie der Live-Gitarrenkunst von René Schütz. Einem Bühnenbild, bei dem durch Gerüste und geschickte Beleuchtung unterschiedliche Spiel-Plattformen und kistenartige kleine Räume geschaffen werden. Ein selbst gewähltes Gefängnis eben. Das Team um Milan Pešl und David Penndorf hat dem Siegener Publikum mit „Beben“ keine leichte Theaterkost vorgesetzt. Doch das wollen sie auch nicht.

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