Eschenbach. Als die Stadt Netphen die alte Schule abreißen will, gründen die Eschenbacher eine Genossenschaft. Die Kita im Dorf gehört jetzt ihnen.

Das eine oder andere fehlt noch: die Terrasse vor dem zweiten Gruppenraum, die Spielgeräte im Außenbereich, die Stahltreppe als Notausstieg aus dem Dachgeschoss, die neue Außentreppe in den Keller. „Ich habe schon einen Tennisarm vom Kindergarten“, sagt Ortsbürgermeisterin Iris Cremer. Nicht weil sie Ortsbürgermeisterin ist. Sondern weil sie als Aufsichtsrätin der Genossenschaft Alte Schule Eschenbách kräftig mit angepackt hat, damit der Kindergarten wieder in die alte Schule zurückkehren kann.

Der Bau

Sie war nicht die einzige. Eigentlich, so erinnert Werner Henrichs vom Vorstand der Genossenschaft, waren für die Freiwilligen zwei Samstage „Abriss-Party“ eingeplant, den Rest sollten bezahlte Handwerker ausführen. Aber sie kamen immer wieder. „Immer so um die 10, 15 Leute“, berichtet Henrichs, an um die 15 Samstagen. Und wer nicht selbst arbeiten konnte, sorgte für die Verpflegung. „Bis zu Lachsschnittchen“, erzählt Iris Cremer, „wir hatten richtig Power.“

Diese Kita-Baustelle ist eine ganz besondere: Eine Genossenschaft aus dem Dorf hat die Immobilie übernommen.
Diese Kita-Baustelle ist eine ganz besondere: Eine Genossenschaft aus dem Dorf hat die Immobilie übernommen. © WP | Steffen Schwab

Die rund 1000 Stunden Eigenleistung schlagen zu Buche. „Das hat natürlich etwas ausgemacht“, bestätigt Werner Henrichs. Auf einmal waren auch 35.000 Euro für das Dach noch drin, das eigentlich erst später gemacht werden sollte. Und trotzdem bleibt es bei 456,000 Euro Barausgaben. 6000 mehr, als beim Baubeginn zu Jahresanfang errechnet worden war. Und deutlich weniger als die knapp 700.000 Euro, mit denen die Stadt gerechnet hatte.

Das Modell

Sie hätten es sich denken können. Eigentlich hatte die Genossenschaft mit 120.000 Euro Startkapital kalkuliert, das wären 120 1000-Euro-Anteile gewesen. Tatsächlich gezeichnet wurden von 92 Genossen 228.000 Euro – im Schnitt, so rechnet Ratsmitglied Rüdiger Bradtka beim Baustellenbesuch der CDU-Fraktion vor, ist also fast jeder zweite der etwa 220 Haushalte des Dorfs dabei. Und so ist es auch in der Praxis, bestätigt Genossenschaftsvorstand Henrichs: 70 Prozent der Genossen zeichnen einen, allenfalls zwei Anteile – auf der anderen Seite nur vier Prozent mehr als sechs. Kaufen kann man sich das Mitspracherecht hier eh nicht: Jeder Genosse, so wurde es festgelegt, hat eine Stimme – unabhängig von der Zahl der Anteile.

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„Ein Vorzeigemodell für bürgerschaftliches Engagement“ sei das, sagt Bürgermeisterkandidat Sebastian Zimmermann,, „die Eschenbacher können sich wirklich gratulieren.“ Bei diesem Projekt werde der „Mut belohnt, den es manchmal braucht“. Den hatten die Eschenbacher gezeigt, als sie der Stadt widersprachen, die die Volksschule von 1928 abreißen und durch einen Neubau ersetzen wollte – für den sich dann aber kein Investor fand, weil sich der Bau einer Anlage für nur zwei Gruppen nicht rechnet, zumindest 2018 noch nicht, als das Land nur 8,50 statt jetzt 10,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlte.

Die Zukunft

Platz für zwei Gruppen – statt früher eine – ist nun im Erdgeschoss entstanden. Hingekriegt haben die Genossen das, indem sie das Treppenhaus verlegt haben und Nebenräume ins Obergeschoss und den Keller verlegt haben. Mit Unterstützung der Stadt ist der Fußballverein Grün-Weiß aus dem Keller ausgezogen – sein neues, eigenes Umkleidegebäude am Sportplatz ist so gut wie fertig. Die neue, alte Schule hat wieder ihren historischen ockerfarbenen Anstrich, das Dach ist mit Naturschiefer neu gedeckt, der Anbau aus den 1970ern ist gedämmt und mit Lärchenholz verkleidet.

„Vielleicht ist das ein Zukunftsmodell“, sagt Werner Henrichs über die Genossenschafts-Konstruktion. Sebastian Zimmermann ist etwas vorsichtig; So leicht dürfe man die öffentliche Hand nun vielleicht doch nicht aus der Verantwortung entlassen.

Kita-Baustellen

Eschenbach ist nicht die einzige Kita-Baustelle in Netphen. Begonnen hat der Neubau der AWO-Mint-Kita mit fünf Gruppen in der Dreis-Tiefenbacher Bismarckstraße. Fast fertig ist der Neubau der Vier-Gruppen-Kita St. Cäcilia in Irmgarteichen. Noch zu bauen sind die Kita auf dem Sterndill in Deuz (DRK) und die AWO-Sport-Kita im Freizeitpark, die noch in Provisorien untergebracht sind.

Bezahlen für den Kauf von Grundstück und Gebäude muss die Genossenschaft übrigens frühestens in 120 Jahren, falls die Kita dann keine Kita mehr ist und auch keinem anderen sozialen Zweck mehr dient. Sorgen, dass dieser Fall eintreten wird, hat Ortsbürgermeisterin Iris Cremer nicht: Immerhin entsteht fast in Sichtweite am Burggraben Netphens nächstes großes Neubaugebiet. „Da wüsste ich, wo ich meine Kinder hinschicke.“ Jetzt kommen zur Eröffnung Mitte Oktober erst mal die 35, davon elf unter drei, die derzeit noch im Container an der Billenbachstraße betreut werden.