Netphen. Die in Netphen lebenden Geflüchteten wollen auf eigenen Beinen stehen. Weil sie auf Widerstände treffen, wächst der Frust. Es kam zu Übergriffen.

205 Personen haben in den letzten beiden Monaten die Unterstützung der städtischen Flüchtlingsberatung gesucht – obwohl die Notunterkünfte sich leeren und derzeit nur noch 188 Personen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgt werden, also sich im ersten Anerkennungsverfahren befinden. Viele Einzelpersonen und Flüchtlinge, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen seien, führten mittlerweile Prozesse gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge oder hätten Folgeanträge gestellt, berichtet Sozialarbeiterin Anna Nell: „Der Zustand des unsicheren Aufenthaltsstatus wird in der Beratung als extrem belastend beschrieben.“

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Der Beratungsbedarf sei tiefgreifender und umfassender geworden. Jetzt gehe es nicht mehr ums Ankommen, sondern um Gestaltung, Stabilisierung und Integration. Dem stünden „Exklusionserfahrungen“, also die Erfahrung des Ausgeschlossenseins, gegenüber: beim Zugang zu Integrationskursen, der Aufnahme einer Beschäftigung oder der Wohnungssuche. Die Ratsuchenden wollten Deutsch lernen, ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten, selbst Wohnungen mieten und von Transferleistungen unabhängig werden.

Das sind die Probleme

In dem Bericht über die Beratungsarbeit, den Anna Nell jetzt dem Sozialausschuss vorlegte, werden konkret auch diese Themen angesprochen:

Ausreisen: Zehn Personen ließen sich beraten, ob und wie sie in ihr Herkunftsland zurückkehren. Zwei Ausreisen nach China und Afghanistan wurden im Rahmen von Förderprogrammen realisiert. Für drei Personen wird die Ausreise vorbereitet: Dazu müssen Gespräche mit Botschaften oder Konsulaten vermittelt werden. Weil es für Fahrtkosten dorthin keine Zuschüsse gibt, bezahlt das Sozialamt die Kosten für Bus und Bahn und auch die Gebühren für die erforderlichen Papiere

Zuweisungen: 26 Personen sind der Stadt in den letzten zehn Monaten neu zugewiesen worden. Deren Beratung sei schwierig, heißt es in dem Bericht: Sie seien allesamt nicht anerkannt, einige müssten mit der Rückführung in das EU-Land rechnen, in das sie zuerst eingereist sind. Das sei bei zwei Personen bereits erfolgt, dagegen bei zwei Familien mit insgesamt acht Personen gescheitert – sie seien „untergetaucht, ebenso eine von zwei Personen, die besondere medizinische Untersützung benötigen. Die Stadt beugt nun für solche Fälle vor, indem sie bereits bei der Zuweisung auf Beratungs- und Unterstützungsangebote für Menschen mit „irregulärem Aufenthalt“ hinweist.

Unterkünfte: Nach der Schließung der Gemeinschaftsunterkunft in der ehemaligen Hauptschule Deuz wurden Umzüge erforderlich. Die veränderte Belegung habe in einem Haus zu starken Konflikten geführt. „Wut und Unverständnis brachen sich auch in den Räumen des Sozialamts Bahn. Dabei wurden Sozialarbeiterin und Hausmeister wie auch Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen von einem Bewohner körperlich und verbal massiv angegangen“, heißt es in dem Bericht.

Sicherheitscheck: Wer rein will, muss sich der Kamera zeigen und läuten
Sicherheitscheck: Wer rein will, muss sich der Kamera zeigen und läuten © WP | Steffen Schwab

Stimmung: Wenn der Aufenthalt nach Ablehnung des Asylantrags nur noch geduldet werde, werden die Unterstützungsleistungen in verkürzten Abständen ausgezahlt. Die Betroffenen nehmen das als Kürzung wahr. Frustration und Angst nehmen zu, wenn mit der Nur-noch-Duldung oft auch die Arbeitserlaubnis entfalle, berichtet die Sozialarbeiterin: „Die Stimmung in einigen Häusern ist dementsprechend gedrückt bis verzweifelt.“

Das kann Sozialarbeit tun

Wohnungssuche: Eine alleinerziehende Mutter, eine alleinstehende Person und eine Familie wurden erfolgreich unterstützt. Beraten wurde besonders beim Umgang mit Stromversorgern. „Vertragsabschlüsse über Vergleichsportale sind generell für Verbrauchende wenig transparent, die weitere, häufig rein internetbasierte Korrespondenz der Anbieter stellt Ratsuchende hier vor besondere Hürden.“ Hingewiesen wurden die neuen Mieter auf Energieeinsparmöglichkeiten und den (kosten)sensiblen Umgang mit Strom und Wasser“.

Größte Gruppen aus Irak, Nigeria und Armenien

188 Personen bekamen im Juni von der Stadt Netphen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, darunter 56 Minderjährige, davon wiederum 27 schulpflichtige Kinder. Die größten Gruppen kommen aus dem Irak (22), Nigeria (20) und Armenien (20). Vom Land angerechnet werden der Stadt auf ihre Aufnahmeverpflichtung für Flüchtlinge 119 Personen, im Juni bestand eine Aufnahmeverpflichtung für zehn weitere Personen-

142 Personen wohnten im Juni in den städtischen Gemeinschaftsunterkünften, darunter 73 „Leistungsberechtigte" und 115, die eigentlich selbst eine Wohnung mieten müssten, aber keine finden.

324 Personen, die als Flüchtlinge anerkannt sind, sind der Stadt mit einer dreijährigen Wohnsitzauflage zugewiesen worden. Die Aufnahmeverpflichtung lag im Juni bei 404 Personen.

Sprache: Geworben wird für die Teilnahme an dem VHS-Kurs in Deuz und den Sprachkursen beim DRK in Dreis-Tiefenbach. Ratschläge gibt es auch, wie der Lerntag strukturiert werden kann.

Willkommensordner: Den Willkommensordner bekommen alle Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Er erhält Informationen und Platz für die Dokumente, auf die Behörden zugreifen können müssen.

Gemeinsam klappt’s heißt eine Initiative des Landes, die sich ab 18 - bis 27-jährige Zugewanderte richtet. Kommunales Integrationszentrum des Kreises und Sozialarbeit der Stadt zeigen Chancen für die Integration in den Arbeitsmarkt auf.

Netzwerke: In Netzwerken arbeiten Akteure der Erwachsenenbildung auf Kreisebene zusammen, ebenso die Ehrenamtlichen aus dem Stadtgebiet und die Mitarbeitenden der offenen Jugendarbeit. Auch zwischen Netphen und Kreuztal wird der Austausch gepflegt.

Klangkunst im Bühlgarten: An einem Wochenende haben in Deuz Geflüchtete und Einheimische im Rahmen eines Workshops gemeinsam musiziert. Anna Nell weist darauf hin, dass ein solches Projekt seinen Preis hat: „Bei einem Beratungsschlüssel von etwa 1:205 und den Zuweisungszahlen der letzten Monate sind Projekte zur Förderung der Integration nicht ohne Abstriche in der laufenden Beratungsarbeit möglich.“