Netphen. . Nach Übergriffen: Im Netphener Rathaus ist eine Abteilung mit Trennscheiben, Klingelknopf und Kamera entstanden
Das Telefon klingelt, Thorsten Vitt nimmt nicht ab. Der Besucher steht im Treppenhaus vor der Glastür, die Kamera über den Klingelknöpfen überträgt sein Bild auf das Display des Telefons. Vitt erkennt den Besucher. Er hat da, wo an einem normalen Klingelbrett der Name eines Bewohners steht, auf den Knopf „Asylbewerber“ gedrückt. Der Besucher hat einen Termin, Vitt betätigt den Türöffner.
Thorsten Vitt ist Leiter des Fachbereichs Schulen und Soziales. Er sitzt sonst nicht hier. Es geht um seine Kolleginnen und Kollegen, die seit Ende 2016 bis ins Frühjahr 2017 traumatische Szenen an ihrem Arbeitsplatz erlebt haben, bis hin zu einem Suizidversuch, mit dem ein abgewiesener Asylbewerber sich seiner Abschiebung entziehen wollte. „Da sind tagelang Tränen geflossen, wir hatten den Notfallseelsorger im Haus“, erinnert Bürgermeister Paul Wagener. Spätestens seit jenem Tag ist „Eigensicherung“ kein Fremdwort mehr im Netphener Rathaus.
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Der Besucher tritt in das Büro ein, bleibt vor einer Theke stehen. Die Glasscheibe, die von der Decke so tief herunterreicht, dass zwischen Scheibe und Theke kein Durchkommen mehr zu den Schreibtischen ist, fehlt noch. Schließlich ist der Fachbereich erst am vorigen Freitag aus dem vierten Stock ins Erdgeschoss umgezogen. Die beiden anderen Büros sehen ähnlich aus. Die Sozialarbeiterin kann zwei Besuchern einen Stuhl anbieten. In dem Raum, in dem es um die Bewilligung von Geldleistungen geht, wird die Trennscheibe ganz heruntergezogen. „Vor allem hier werden die negativen Entscheidungen verkündet, die wir auch treffen müssen“, sagt Thorsten Vitt. „Deutlich sicherer“ fühle sie sich hier, sagt die Mitarbeiterin — jeder Raum hat nun auch mehrere Fluchtwege, alle Büros sind miteinander verbunden. Oben, im vierten Stock, haben sie immer darauf geachtet, dass Locher und Scheren nicht in Griffweite waren. Besucher kamen bis an den Schreibtisch heran. „Man konnte sich dann nur noch hinter einen Stuhl stellen.“
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Jobcenter musste ausziehen
Bernd Wiezorek, Architekt im städtischen Immobilienservice, hat den Umbau konzipiert, der rund 65 000 Euro kostet und eine ganze Reihe weiterer Umzüge nach sich zieht. Das Jobcenter musste ins Dreis-Tiefenbacher Telekom-Gebäude übersiedeln, für das Trauzimmer wird noch Ersatz geschaffen. In die Büros neben dem Bürgerbüro im Altbau ziehen nun auch Standesamt, Seniorenservice, Familienbüro, Kulturbüro und Touristikinformation ein — damit ist alles, was viel Publikum hat, ebenerdig und barrierefrei erreichbar. Zugleich wird aber der Betrieb in den oberen Etagen überschaubarer. „Dass wir uns vor Schutzsuchenden schützen müssen, hätte ich nie gedacht“, sagt Bürgermeister Wagener. Trotzdem: Zugangskontrollen am Eingang soll es nicht geben. „Das widerspricht meiner Politik des offenen Rathauses.“
Oben im vierten Stock hat zuletzt ein Sicherheitsdienst den Fachbereich bewacht. Die damalige Leiterin Heike Büdenbender formuliert vorsichtig: „Auch bei den anderen Empfängern von Sozialleistungen gibt es durchaus ein gewisses Aggressionspotenzial.“ Soll heißen: Es ist nicht erst die längst zurückgegangene Zuwanderung von Flüchtlingen, es sind nicht erst die derzeit 219 Asylbewerber und 116 weiteren Bewohner der Gemeinschaftsunterkünfte, deretwegen das Sozialamt Sicherheitsbereich werden musste. Netphen sei da nichts Besonderes, hat Fachbereichsleiter Thorsten Vitt von den Fachleuten der Polizei erfahren, die die Stadt beim Umbau beraten haben. Beruhigend ist das nicht.
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