Siegen-Wittgenstein. Busse fallen aus, weil Fahrer fehlen. Im Kreistag Siegen-Wittgenstein gibt es keine Tabus mehr: Fahrplan kürzen? Selbst eine Busfirma gründen?

Die Lage wird ernst: Der Kreistag hat den Landrat am Freitag beauftragt, rechtliche Fragen und Verfahrensschritte für den Fall zu prüfen, dass die jetzige Konstruktion des Bus-Nahverkehrs nicht zu halten ist. Einen förmlichen Beschluss zu Anträgen von Grünen, Linken und UWG gab es nicht – wohl aber die allgemeine Zustimmung zu dem Angebot von Landrat Andreas Müller, die notwendige Expertise zu erarbeiten und alle Beteiligten einzubeziehen.

Eine Rolle spielen wird dabei auch die Rekommunalisierung des Nahverkehrs, also der Rückkauf der VWS oder die Gründung eines neuen kreiseigenen Busunternehmens. Das werde zwar, so Landrat Andreas Müller, „kurzfristig keines unserer Probleme lösen“. UIlrich Georgi (Linke) hielt aber ein „Signal“ an den Eigentümer der Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) für erforderlich, „dass wir nicht gewillt sind, uns das auf Dauer bieten zu lassen“ – den täglichen Ausfall von aktuell 0,5, in Spitzenzeiten aber von bis zu 4 Prozent aller Busverbindungen: „Vielleicht möchte er ja auch aus diesem schwierigen Geschäft rauskommen.“

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Hätte der Kreis 2005 die VWS überhaupt verkaufen sollen? „Das war ein Schritt in die falsche Richtung“, sagte Winfried Schwarz (SPD), „es wäre einfacher, wenn wir Herren im eigenen Hause wären.“ Hans Günter Bertelmann (UWG) widersprach: „Zur damaligen Zeit war das die goldrichtige Entscheidung.“ Die damals kreiseigenen VWS seien so defizitär gewesen, dass sie im EU-weiten Wettbewerb womöglich die Konzessionen gar nicht gewonnen hätten. Das, so Landrat Müller, könne jetzt auch passieren – in dem Fall, in dem eine „Inhouse“-Vergabe ohne Ausschreibung noch nicht zulässig ist: Der Kreis hat ein Verkehrsunternehmen mit Bussen und Fahrern, aber keinen Auftrag. Hermann-Josef Droege deutete einen Kurswechsel der CDU-Fraktion an: Es gebe derzeit „überhaupt keinen Grund, auch nur einen ersten Schritt zu tun“. Aber „ganz am Ende“ sei die Kommunalisierung „womöglich nicht völlig ausgeschlossen.“

Szenarien

„Wir müssen für alle Eventualitäten gewappnet sein“, forderte Anke Hoppe-Hoffmann (Grüne), „damit wir handlungsfähig sind, wenn es unbedingt sein muss.“ Sie nannte Szenarien, die – über die täglichen Busausfälle hinaus – Sorgen machen:

Das Oberverwaltungsgericht kassiert die Konzessionen für das Linienbündel Mitte endgültig. Dann müssen die Linien in Siegen, Kreuztal, Hilchenbach, Netphen und Freudenberg EU-weit ausgeschrieben werden. Der günstigste Bieter bekommt den Zuschlag, und der Kreis muss, anders als heute, bezahlen.

Der Prozess um die Konzessionen wird endlos. Es gebe, so Anke Hoppe-Hoffmann (Grüne), „ganz großes Interesse“ an einer Klärung durch die höchste Instanz, den Europäischen Gerichtshof.

Auch in Wittgenstein und im südlichen Siegerland haben die VWS den regulären Betrieb noch nicht aufnehmen können. Mitte Dezember laufen die vorläufigen Konzessionen aus.

Die VWS werfen die Brocken hin. Dieses Szenario steuerte Guido Müller (FDP) bei: „Ich habe Angst, dass wir hier in wenigen Wochen jemanden sitzen haben, der sagt, ich mache nicht mehr.“

Lösungen

Kreis, Arbeitsagentur, Jobcenter und Busunternehmen bemühen sich um Fahrer – weil es die nicht gibt, fallen Fahrten aus. Ein bundesweites Problem der ganzen Branche, stellt der Landrat klar. Weil die Fahrer schlecht bezahlt werden und dazu noch von manchen Fahrgästen schlecht behandelt, weiß der Kreistag: „Dass die keinen Bock mehr haben, kann ich verstehen“, sagt Hans Günter Bertelmann (UWG).

Landrat Andreas Müller empfiehlt, auch den neuen Nahverkehrsplan auf den Prüfstand zu stellen. Bernd Brandemann (CDU) stellte die neu gewonnenen Angebot frühmorgens und spätabends zur Diskussion. Vielleicht müsse sich der Kreis „auf das Notwendigste konzentrieren“. Ullrich Georgi (Linke) protestierte: „Das verstehe ich überhaupt nicht.“ Der Kreis dürfe die VWS „nicht aus der Verantwortung entlassen.“