Siegen. . Seit einem Jahr ist das Café Mayla in der ehemaligen Hammerhütter Schule jeden Donnerstag für Frauen mit und ohne Migrationshintergrund geöffnet.
Es ist laut. Und voll. Und ein paar Männer sind auch da. „Ausnahmsweise“, sagt Monica Massenhove von der städtischen Stabsstelle „Beiräte und Beauftragte“ in ihrer Begrüßung. Das Café Mayla, ein wöchentliches Angebot für Frauen mit und ohne Migrationshintergrund in der ehemaligen Hammerhütter Schule, wird ein Jahr alt, und einige Dutzend Frauen – und eine Hand voll Männer – feiern fröhlich mit.
Das Ankommen erleichtern
Tayyibe Helmstedt ist in dieser Woche im Stress. Sie zieht um, erzählt sie, hat entsprechend volles Programm. „Ich wollte trotzdem unbedingt dabei sein“, sagt die Mutter eines zehnjährigen Sohnes. Sie kam 2007 aus der Türkei nach Deutschland, seit sechs Monaten besucht sie regelmäßig das Café Mayla. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie bedeutsam solche Angebote für Menschen sind, die in ein ihnen völlig fremdes Land gehen. „Das ist, wie neu geboren zu sein“, beschreibt sie. „Man kennt nichts; nicht die Sprache, nicht die Gesetze, nicht das Gesundheitssystem, nicht das Bildungssystem. Aber wenn ich nichts kenne, bin ich immer ängstlich, immer allein.“ Es sei fast wie eine Behinderung, „aber man kann es selbst ändern. Im Café Mayla gibt es viele Angebote für Ausländerinnen, um zu lernen. Ich möchte gerne helfen.“
Viele Partner im Boot
Das Café Mayla ist donnerstags von 9.30 bis 12.30 Uhr in der ehemaligen Hammerhütter Schule, Koblenzer Straße 90, geöffnet.
Es gibt ein Frühstücksbuffet, aber auch Infoveranstaltungen über Arbeit, Kultur, Gesundheit, Erziehung. Darüber hinaus stehen Ausflüge auf dem Programm.
Das Café ist ein Kooperationsprojekt unterstützt vom Bundes-Familienministerium, der Bundesinitiative Frühe Hilfen, der Stadt Siegen, dem Kreis Siegen-Wittgenstein, den Sozialen Diensten der Diakonie in Südwestfalen und dem Bezirksverband der Siegerländer Frauenhilfen.
Finanziell gefördert wird es über „Komm-an“-Mittel des Landes NRW. Über das Integrationszentrum des Kreises bezieht die Stadt jährlich rund 21.000 Euro, die aber auf verschiedene Einrichtungen verteilt werden – das Café Mayla ist einer der „Ankommens- punkte“. Das Geld ist nur für Sachmittel vorgesehen, die Arbeit vor Ort leisten Ehrenamtliche.
Das Team will „das Ankommen in Deutschland erleichtern“, sagt Silke Kötz vom Bezirksverband der Siegerländer Frauenhilfen. Geflüchtete Frauen sind eine wichtige Zielgruppe, aber die Perspektive ist viel breiter gefasst. Angesprochen sind alle Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, es geht um Begegnung, Austausch, voneinander Lernen. Das Café, ein Kooperationsprojekt (siehe Infobox), startete ursprünglich im Frühjahr 2017 bei der Diakonie in der Friedrichstraße, damals 14-tägig. „Aber das waren Büroräume, keine Caféhausatmosphäre“, erläutert Silke Kötz. Als dann die frühere Hammerhütter Schule an der Koblenzer Straße zum KIQ – zum „Kultur-Integration-Quartier“ – wurde, ergab sich die Chance für den Umzug. Ein Café, eine niedrigschwellige Anlaufstelle sei sehr wichtig. Silke Kötz hat im Projekt „Frühe Hilfen für geflüchtete Frauen und ihre Kinder“ oft Hausbesuche gemacht. Irgendwann gebe es aber einen Punkt, da müssten die Frauen rausgehen, „und dafür muss man etwas anbieten“.
Vertrauen aufbauen
Gerade Frauen aus arabischen Ländern seien oft sehr zurückhaltend, erst Recht in Gegenwart fremder Männer. „Es ist Teil der Mentalität“, sagt Tayyibe Helmstedt, sie kenne es gut aus der Türkei. In vielen Kulturen sei das Gefälle zwischen Mann und Frau so tief verankert, so ein grundlegender Aspekt in Erziehung und Sozialisation, „dass die Frau immer hinter dem Mann zurückbleibt“, sagt die 46-Jährige. Das geschehe „automatisch – aber ich finde das nicht gut.“ Sie möchte andere Frauen auch zum Nachdenken über dieses Rollenverständnis anregen.
„In manchen Kulturen ist das eine ganz sensible Sache“, sagt Silke Kötz über den Umgang der Geschlechter miteinander. „Deshalb ist es so wichtig, dass das Café Mayla ausschließlich für Frauen ist.“ Über das Thema Gleichberechtigung „sprechen wir hier immer wieder“, aber es brauche Zeit, etwas in den Weltbildern, mit denen die Frauen aufgewachsen sind, zu verändern. „Uns ist zunächst wichtig, dass alle Menschen gleich sind“, betont Silke Kötz. Langsam entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis. „Wir gehen auf die Bedürfnisse der Frauen ein. Es hat lange gedauert, aber jetzt kommen sie auch auf uns zu und sagen, was sie sich von uns wünschen, was sie brauchen.“
Verständnis durch Einblick
Für kommenden Sommer ist ein Schwimmkurs geplant. Tayyibe Helmstedt hat den Vorschlag gemacht, denn viele Frauen mit Migrationshintergrund hätten Schwimmen nie gelernt, möchten es aber können. So ein Kurs klingt aus mitteleuropäischer Sicht vielleicht nach einer Kleinigkeit, aber „Schwimmen, ein Malkurs, vielleicht ein Tanzkurs: Das kann den Horizont erweitern“, sagt Tayyibe Helmstedt. „Und die Kinder sehen, dass die Mutter mit etwas beschäftigt ist.“ Sie selbst sei immer aktiv gewesen, habe sich im Förderverein der Schule ihres Sohnes und in der Schulbibliothek engagiert. Sie hätte auch gern in einem festen Beruf gearbeitet, betont sie. Ihr Studium in der Türkei wurde aber in Deutschland nicht anerkannt. Sie hätte sich gewünscht, hier noch einmal zu studieren, „Soziologie ist mein Lieblingsfach“, aber persönliche Umstände standen im Weg. Sie ist gerne Mutter, ist stolz auf ihren Sohn, der Deutsch und Türkisch spricht, Freunde hat, die muslimische und die christliche Religion kennt. „Aber keine Ausbildung, kein Studium“, räumt sie ein, „das tut weh in meinem Herzen.“
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„Was ich persönlich auf jeden Fall mitnehme, ist, dass ich noch so viel Neues kennenlerne und dadurch so oft Aha-Erlebnisse habe“, sagt Monica Massenhove. Die Einblicke, die die Frauen in ihre Lebensgeschichten gewähren, würden ein neues, viel intensiveres interkulturelles Verständnis ermöglichen. Dabei würden im Café Mayla Grenzen gleich in mehrererlei Hinsicht überwunden; nicht nur weil Frauen aus aller Welt zueinanderfinden, sondern auch „weil wir uns auf Augenhöhe treffen. Einige Frauen haben einen akademischen Grad, einige haben nie eine Schule besucht; und trotzdem!“
Verständnis ist entscheidend, weil sich so auch erklärt, dass jeder Mensch für das Ankommen in einer fremden Kultur sein eigenes Tempo braucht. „Vielleicht muss man den Frauen ein wenig mehr Zeit lassen“, sagt Tayyibe Helmstedt. Sie selbst habe viele Freundinnen und Freunde, deutsche, russische, türkische; und weder wegen ihrer Herkunft noch wegen ihrer Religion habe sie bisher Probleme in Deutschland gehabt. Offenheit sei der Schlüssel, Offenheit von beiden Seiten, und die Bereitschaft, zu lernen. Lernen sei seit ihrer frühen Kindheit ihre Lieblingsbeschäftigung, und das rät sie auch anderen Frauen mit Migrationshintergrund. „Wer nicht lernt, verliert etwas. Die Zeit wartet nicht.“
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