Dreis-Tiefenbach. . Dreijähriger leidet an einem aggressiven Hirntumor und wird in Gießen und Köln behandelt. Er führt einen Kampf um jeden Moment und ist glücklich.

Es klingelt. Gekicher hinter der Tür. Ben und seine Mama Antje Albert haben gute Laune. Schwungvoll schiebt sie den Pflegestuhl des Dreijährigen zur Eingangstür, wie einen Rennwagen. Ben will den Besuch selbst begrüßen. Doch es ist nicht die heiß ersehnte Oma mit der Bolognesesoße, sondern die Reporterin. Schüchtern versteckt sich der Kleine hinter seinem Kuscheltier. Dann wagt er vorsichtig einen Blick – und grinst. Seit unserem ersten Bericht über Ben im Mai hat sich vieles verändert: Die dringend nötigen Spenden für seine Therapie sind generiert worden. Vor zwei Wochen ging es in Köln los.

Bens Motorik verbessert sich.
Bens Motorik verbessert sich. © Jennifer Wirth

Ben Albert ist ein kleiner Spaßvogel. Er lacht viel und macht gerne Quatsch. Wie Dreijährige eben sind. Der Esstisch ist übersät mit bunten Autos. Er lässt sie durch die Luft fliegen und freut sich über Bruchlandungen auf dem Bauch seines Kuscheltiers. Doch dass Ben so ausgelassen mit seinen Rennautos spielen kann, ist nicht selbstverständlich. Hätten die Ärzte mit ihrer Prognose im April Recht behalten, dann wäre Ben jetzt tot. Sechs Wochen gaben sie dem Jungen damals. Denn Ben hat einen schnellwachsenden, aggressiven Hirntumor. Inoperabel. Der Junge ist halbseitig gelähmt, seine Sprache stark verwaschen. Aber er will leben. Er gibt nicht auf.

Furchtbare Gewissheit

Die Diagnose Hirntumor war Fluch und Segen zugleich. Endlich Gewissheit, wenn auch eine unendlich traurige. Antje Albert erinnert sich noch genau an den Tag, der alles veränderte. Als sie ihren Sohn in der Kita sieht, beginnt der Albtraum. „Er lief wie ein Storch im Salat, er ist lieber gekrochen und seine Sprache war verwaschen“, sagt sie.

Die Behandlung des Kleinkindes ist vielseitig

Ben hat Krebs. Es handelt sich um ein Diffuses Mittelliniengliom Grad 4 – das hat eine Biopsie ergeben. Es ist sehr bösartig und wächst schnell. Da es am Hirnstamm sitzt, ist eine Operation keine Option. Er wird momentan wie folgt behandelt:

28 Tage dauert ein Behandlungs-Zyklus. Fünf Tage Chemotherapie in Gießen, zwei Tage Pause und dann drei Tage Therapie in Köln gehören dazu. Danach wird pausiert, bis ein neuer Zyklus startet.

Am Uniklinikum Gießen gibt es eine Kinderkrebsstation mit Experten, die alles versuchen, um Bens Zustand zu verbessern. Dort bekommt Ben eine auf zwölf Blöcke angesetzte Chemotherapie. Einmal im Monat muss er dazu fünf Tage in Folge in Gießen behandelt werden. Dann hat er zwei Tage Pause. Seine Mama Antje Albert ist dabei immer an seiner Seite.

In einer Kölner Klinik folgt dann drei Tage lang die immuntherapeutische Behandlung – sprich jene Behandlung, die nicht von der Krankenkasse getragen und durch Spenden finanziert wird. Rund 120 000 Euro kostet das für die Behandlungsdauer von zwölf Monaten. Die Ärzte verabreichen dem Jungen dort den sogenannten Newcastle Disease Virus (NDV). Dieser ist für gesundes Gewebe ungefährlich; er greift das Tumorgewebe an und zerstört es. Ursprünglich sollte mit dieser Therapie nicht erst vor zwei Wochen begonnen werden. Doch für diese Behandlung musste schrittweise das Cortison abgesetzt werden. Ben reagierte darauf mehrmals sensibel – ihm ging es zeitweise wieder schlechter. Nun ist die Dosis so weit zurückgefahren, dass in Köln mit der Behandlung begonnen werden konnte. Die Folge: Chemo und die Kölner Therapie starteten zeitversetzt, das war ursprünglich anders geplant.

Zudem steht in Köln die Hyperthermie an. Durch elektromagnetische Wellen wird die Körpertemperatur an den betroffen Stellen gezielt erhöht – nach Möglichkeit bevor sich die Zellen teilen – damit die bösartigen Zellen absterben.

Ihr Mutterinstinkt sagt ihr: Das ist nichts Harmloses. Vielleicht ein Schlaganfall. Es geht in die Klinik – Ärzte sagen, Entwicklungsrückschritte seien nicht ungewöhnlich, so Albert. Sie verzweifelt. „Wie soll ich als Nicht-Medizinerin den Ärzten klar machen, dass das nicht normal ist?“, fragt Albert mit bebender Stimme.

Ein älterer Arzt erkennt schließlich den Ernst der Lage und veranlasst ein MRT im Kreisklinikum (wir berichteten). „Es hat länger gedauert, als normal. Da wusste ich, es liegt etwas im Argen.“ Plötzlich soll die Mutter mit ihrem Sohn in einen Helikopter steigen. Ziel: Uniklinikum Gießen, Kinderkrebsstation. Im Nachhinein, so sagt die Mutter heute, wäre ihr die Diagnose Schlaganfall lieber gewesen.

Schwerster Gang des Lebens

„Wie schlimm es ist, haben wir erst später realisiert“, sagt Albert. Eine Biopsie soll Aufschluss darüber geben, um welchen Tumor es sich genau handelt. Doch die Entnahme des Gewebes im Gehirn ist gefährlich. Wird Ben danach noch reden? Kann er seine Mama erkennen? „Das hat sich angefühlt, als führt man sein Kind zur Schlachtbank.“ Der schwerste Gang ihres Lebens.

Alles muss schnell gehen. Wenige Tage später starten Chemotherapie und Bestrahlung. Bens Zustand verschlechtert sich massiv. „Er konnte nicht mal mehr allein sitzen“, sagt Albert. Cortison und Tumor verändern das Wesen des Kindes. Der Junge wird aggressiv, lässt Fremde nicht an sich heran. Und als Ben aufhört zu sprechen, bricht Antje Albert endgültig das Herz. Sie weicht neun Wochen keine Sekunde lang von seiner Seite, gibt ihren Job auf und sucht einen Weg, um den Kleinen zu retten.

Steiniger Weg nach oben

Dann geht es bergauf. Die Therapie schlägt an. Ben kann „Mama“ und „Nutella“ sagen. Er sitzt wieder, wird agiler. Physiotherapie und Sprechtraining helfen. Es geht nach Hause – Freunde haben es in der Zwischenzeit umgebaut. Möglichst keimfrei muss es sein. Pflegebett und Treppenlift gibt es nun genauso wie eine Rampe an der Eingangstür.

Der dreijährige Ben Albert ist gut drauf: Mit seinen 160 Rennautos spielt er sehr gerne.
Der dreijährige Ben Albert ist gut drauf: Mit seinen 160 Rennautos spielt er sehr gerne. © Jennifer Wirth

Für die Hilfe ihrer Freunde und das Engagement aller Spender und Helfer ist die Familie unendlich dankbar. Es sei überwältigend gewesen, wie schnell die Spenden für die Therapie in Köln zusammengekommen seien. Ohne diese Unterstützung wäre das nicht möglich gewesen.

Ben erholt sich im gewohnten Umfeld, sieht seine Schwester Emily wieder täglich. Auch der Kontakt mit Freunden tut gut. Schließlich wagt die Familie einen Urlaub an der Nordsee, in der Nähe einer Kinderklinik. Ben strahlt, als er sich erinnert. „Nochmal Urlaub“, sagt er und zeigt auf seine Mama. Das Spielen im Sand mit seinem Bagger hat ihm gut gefallen.

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„Wir haben viel gemacht, was eigentlich verboten ist“, sagt Antje Albert und grinst. Rutschen im Schwimmbad mit dem Papa oder Türme bauen im Matsch. Dinge, die einen Dreijährigen eben glücklich machen. Um das zu tun, sei die Familie kreativ geworden und habe Konstruktionen gebastelt, damit sichergestellt ist, dass Bens Zugänge immer keimfrei bleiben.

Hauptsache glücklich

Sollte die Behandlung in Köln (siehe Zweittext) anschlagen und sich die Blutwerte des Kindes bessern, dann wollen die Ärzte einen guten Zeitpunkt abwarten, um die Chemo zu beenden und mit einer Antikörper-Therapie zu starten. „Denn wenn wir ehrlich sind: Zwölf Monate Chemo überlebt eigentlich niemand“, sagt Antje Albert.

Das Ziel: „Ich will, dass Ben ein glückliches Kleinkind ist“, sagt Antje Albert. Idealerweise hört der Tumor auf zu wachsen oder schrumpft sogar. Das beschädigte Gewebe rund um den Krebs ist nicht wieder herstellbar. Doch die Hoffnung ist, dass andere Teile des Gehirns lernen, die kaputten zu ersetzen. Bens Alter ist dabei von Vorteil. „Wir sind froh, über jeden Tag als Familie und tun alles dafür, dass es so bleibt“, sagt Albert. Ben ist ein Spaßvogel – mit einer Schwäche für Rennautos und dem Willen zu leben. Er kämpft weiter.

Anmerkung der Redaktion: Ben Samuel Albert hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Er ist am 27. August 2019 gestorben und nur vier Jahre alt geworden. Die Redaktion wünscht der Familie viel Kraft für diese schwere Zeit. Unser herzliches Beileid.

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