Siegen. . Die Videothek “World of Video“ in Siegen schließt. Streamingportale wie Netflix, Amazon oder Apple sind zu große Konkurrenz für den Betrieb.

Die Blues Brothers tanzen im Schaufenster, Käufern, die die Mitarbeiter noch nie gesehen haben, klemmen stapelweise DVDs unterm Kinn. Eine Frau legt ihre Kundenkarte auf den Tresen. Heute kommt sie ein letztes Mal her.

Videothek "World of Video" in Siegen schließt

Die Videothek „World of Video“ am Kaisergarten, die letzte im Siegerland, schließt, nach 30 Jahren. Jetzt, wo es alles zum Schnäppchenpreis verkauft wird, ist der Laden voll. Das gab es lange nicht mehr.

Die Kunden wurden immer weniger, es war ein Abschied mit Ansage, aber wenn der Moment dann da ist, ist es trotzdem schwer. „Ich habe die Regale hier alle selbst zusammengebaut“, sagt der Betreiber, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, und schaut auf seine Hände.

Nun wird er sie alle wieder zerlegen und entsorgen. „Man hängt ja schon dran.“ Richtig spüren, sagt er, werden sie es wohl erst, wenn alles ausgeräumt ist. Wenn der Laden noch leerer ist als die letzten Monate.

Streamingdienste wie Netflix und Co locken mit Abos

Manche Kunden kamen seit 30 Jahren, auch zuletzt, als die Geschäfte immer schleppender liefen, manche jeden Tag. Um die tut es den Mitarbeitern besonders leid. Stammkunden, die kein Internet haben, oder bewusst manche Dinge dort nicht erledigen.

„Sie sind sehr betrübt“, sagt er und löscht die Daten der Frau aus dem Computer. Sie wird sie nicht mehr brauchen.

Die Blues Brothers-Figuren im Schaufenster werden ebenfalls verschwinden – Samstag ist am Kaisergarten zum letzten Mal geöffnet.
Die Blues Brothers-Figuren im Schaufenster werden ebenfalls verschwinden – Samstag ist am Kaisergarten zum letzten Mal geöffnet. © Hendrik Schulz

„Schade, dass Ihr zumacht“, das hören sie oft. Von denen, die das sagen, haben die meisten ein Abo bei einem Streamingdienstund kamen nur ab und zu. „Das reicht nicht, um die Miete zu zahlen. Wir geben das nicht freiwillig auf.“

Das Internet hat wieder einmal Jobs vernichtet, so sieht er das. Wie es weitergeht, wissen sie alle nicht. Nur, dass das hier nicht mehr geht.

Früher, noch gar nicht lange her, war die Videothek ein Treffpunkt. Man ging hin, begegnete, unterhielt sich. Der Kühlschrank mit „cool&trendy“-Schriftzug erzählt noch davon. Er ist bereits verkauft. Die Eistruhe ist noch zu haben, für 250 Euro. Der Staubsauger kostet 70, der Fahrradständer 30 Euro. Alles, alles, alles muss raus.

Dabei waren es gar nicht die Preise. Einen Film im Netz zu streamen, ist oft teurer als in die Videothek zu gehen, „bei den Neuheiten waren wir günstiger“. Aber die Leute seien zu bequem geworden. „Sie bleiben lieber auf der Couch.“ Irgendwann, glaubt er, werde den Menschen das fehlen. Sich zu treffen, sich zufällig zu begegnen. Zu reden.

Auch die Filmindustrie habe sie im Stich gelassen. Früher sei ein Film ins Kino gekommen, nach einigen Monaten in die Videothek, dann in den Handel. Heute dauere es manchmal vom Filmstart nur wenige Wochen, bis ein Film im Netz verfügbar sei. Dann komme er in den Handel. Und dann erst in den Verleih.

Videothek als Treffpunkt für Filmliebhaber

Oder sich einen Rat zu holen. Wer in einer Videothek arbeitet, liebt Filme. Jeder der fünf Mitarbeiter – plus Aushilfen – hat Genres, die er kennt, die er gern anschaut. 26 000 Filme hatten sie ständig da, Klassiker, Geheimtipps, Independent-Streifen, da muss man sich auskennen.

Dazu die Deko; Poster, die jetzt für 20 Euro das Stück verkauft werden, der Stormtrooper-Pappaufsteller aus den Star Wars-Filmen, 25 Euro; Computerspielheldin Lara Croft, 700 Euro. Superman: 1000. Die Aufsteller kamen von anderen Videotheken, die schon aufgegeben haben.

„Am liebsten würde ich gar nichts verkaufen“, sagt der Betreiber und schaut so melancholisch wie man eben schaut, wenn man mitansieht, wie einem 30 Jahre Lebenswerk durch die Finger rinnen. Der Pirat, der alle grimmig ansieht, die durch die Schiebetür treten, ist seine Lieblingsfigur. „Viele haben an dem Interesse“, sagt er. Und viele versuchen zu handeln. „Aber der wird nicht verschenkt.“

Zwei Jungs streifen zwischen den Regalen umher, mit dem Smartphone in der Hand. Solche Leute hatten sie hier öfter, seit der Räumungsverkauf läuft: Selbst jetzt noch schauen sie im Netz, ob es einen Film nicht irgendwo noch günstiger gibt. Gibt es offensichtlich, die Jungs marschieren raus. Ohne etwas zu kaufen.

„Danke für 26 Jahre“, sagt ein Kunde. Am Samstag, 16. Juni, öffnet die Videothek am Kaisergarten zum letzten Mal. Bis dahin tanzen die Blues Brothers noch.

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