Siegen. . Der Leiter der Sprengtechnischen Lehrgänge Siegen im Interview über Feuerwerk, den Ablauf einer Explosion und die Faszination lauten Knallens.
- Sprengtechnische Lehrgänge durch Siegerländer Bergbautradition gegründet
- Vielfältige Anwendungen mit Sprengstoff: Von Airbags bis Tunnelbau
- Fokus der Ausbildung auf höchsten Sicherheitsmaßnahmen
In den ersten Minuten des neuen Jahres wird ein Großteil der Bevölkerung zu Pyrotechnikern. Das Silvesterfeuerwerk ist laut, riecht stechend und zaubert im Idealfall eine farbenfrohe Pracht an den Nachthimmel. Woher kommt die Faszination fürs Knallen? Zeit für ein paar Fragen zum Sprengen: Jürgen Schroer aus Netphen leitet seit Kurzem die Sprengtechnischen Lehrgänge in Siegen.
Wie läuft ein Lehrgang ab?
Jürgen Schroer: Ursprünglich gab es keine gesetzliche Vorschrift, Lehrgänge zu besuchen, die wurde später, 1969, durch das Sprengstoffgesetz geschaffen. Für den Befähigungsschein, eine Art Führerschein für Sprengstoffe, wird Fachkunde als Voraussetzung verlangt, die kann man bei uns erwerben. Die Dozenten sind externe Experten, zum Beispiel Aufsichtspersonen der Berufsgenossenschaften für den Bereich Unfallverhütungsvorschriften, wir haben den Sprengingenieur eines Sprengdienstleisters, oder im Bereich Pyrotechnik Betriebsleiter einer Firma, die Feuerwerkskörper herstellen – immer passend zum jeweiligen Unterrichtsstoff.
Vorher hat jeder einfach drauflos gesprengt?
Es gab ein Gesetz aus den 1860er Jahren. Im Rheingau hatte jemand versucht, den Deutschen Kaiser mit Sprengstoff zu ermorden – das hat dem natürlich überhaupt nicht gefallen und er erließ das „Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen“. Das wurde eben 1969 durch das Sprengstoffgesetz abgelöst – wobei damals zunächst die gewerblichen Verwender im Fokus waren. Die privaten Verwender – Sport- und Böllerschützen – fielen dann 1976 darunter.
Sportschützen?
Das betrifft die, die Vorderlader benutzen oder die ihre Munition selbst herstellen. Böllerschützen verwenden Vorderlader oder Kanonen für akustische Signale. Früher wurden zum Beispiel bei den Fronleichnamsprozessionen Schüsse abgegeben, mit sogenannten Katzenköpfen. Das war weit verbreitet: Knüppel aus den umliegenden Eisenhütten wurden in die Erde eingegraben und mit einem glühenden Eisen gezündet – sehr gefährlich. Heute ist das verboten, der Kreis Siegen-Wittgenstein hat eine eigene Kanone, daran zeigen wir den sicheren Umgang mit Schwarzpulver.
Und der gewerbliche Bereich?
Da bringen wir den Leuten den Umgang mit Sprengstoffen bei. Früher gab es nur Nitroglycerin, das sehr gefährlich in der Handhabung ist. Dann wurde Sprenggelatine, Dynamit erfunden, für den Berg-, Wege- oder Talsperrenbau – immer dann, wenn Felsen zu entfernen waren, die mit herkömmlichen Mitteln nicht bewegt werden konnten.
Wie funktioniert eine Sprengung?
Mit dem Sprengstoff wird Druck in einem Bohrloch aufgebaut. Der führt dazu, dass die Vorgabe – alles was zwischen dem Sprengstoff und der Luft ist – bewegt wird, mehr oder weniger schnell. Man kann das Gestein damit lösen und so vorbereiten, dass es baggergerecht ist. Betonung auf „baggergerecht“, nicht auf Edelsplitt. Wenn zu viel Sprengstoff auf zu wenig Vorgabe kommt, werden die Teile stärker zerkleinert und auch weiter geworfen. Das führt im schlimmsten Fall zu Steinflug. Der Umgang mit diesen Stoffen ist High-Tech in schweren Stiefeln. Man kann sehr filigran arbeiten.
Wie läuft eine Explosion ab?
Das Zünden des Sprengstoffs im Bohrloch bewirkt eine chemische Reaktion, eine Verbrennung, die sehr rasch abläuft, was Drücke über 100 000 Bar produziert. Dabei werden auch Verbrennungsprodukte frei. Wenn der Sprengstoff gezündet wird, versucht er sich auszudehnen, kann das im Bohrloch nicht, setzt also Kraft an, die im umgebenden Gestein Risse verursacht. In diese Risse dringen die Verbrennungsprodukte ein, die sich auch wieder rasch ausdehnen. Das bewirkt, dass das Gestein aus seinem Lager gelöst wird, unterschiedlich schnell und unterschiedlich kräftig. Manchmal möchte man ja nur einen Riss erzeugen, um etwa einen großen Stein aus seinem Lager zu rücken.
Das hängt von Art und Menge der Sprengstoffe ab?
Sprengstoffe reagieren unterschiedlich schnell. 3000 bis 4000 Meter Verbrennungsgeschwindigkeit pro Sekunde ist normal, es gibt aber auch bis zu 8000 Meter pro Sekunde. Das hängt vom Zweck ab.
Und die Pyrotechnik?
Da läuft die Verbrennung langsamer ab. Die Stoffe produzieren eine bestimmte Menge und Art von Verbrennungsprodukten, die Verbrennung läuft unter bestimmten Farben ab. Neben der Pyrotechnik zu Vergnügungszwecken gibt es sie auch für technische Zwecke. Da werden die Verbrennungsprodukte genutzt, um bestimmte Arbeit zu verrichten. Denken sie an Airbags: Ein Gasgenerator erzeugt schnell viel Gas, das gezündet wird. Es strömt in den Ballon, beim Unfall wird der Fahrer in dieses Kissen geworfen. Das muss in Bruchteilen von Sekunden passieren, weil man die Bewegungsabläufe bei einem Unfall ja nicht aufhalten kann. Dann gibt es Gurtstraffer: Da treibt der Gasgenerator eine kleine Turbine an, die eine Welle aufrollt, auf der der Gurt sitzt. Die Welle dreht sich, der Gurt strafft sich, der Fahrer wird in den Sitz zurückgezogen, um die Entfernung zwischen Sitz und Airbag so zu gestalten, dass der Airbag genau dann das größte Volumen hat, wenn der Kopf des Fahrers nach vorn schnellt. Das lässt sich berechnen.
Es geht also um Synchronisation: Die Dinge müssen in einer ganz bestimmten Reihenfolge geschehen.
Der zeitliche Ablauf muss stimmen. Und er muss auch am Himmel stimmen. Eine Silvesterrakete hat eine Art Raketenmotor, der das Teil in die Luft befördert. Die Rakete fliegt in einer ballistischen Kurve zum Zenit und fällt wieder herunter. Die Kunst ist, den Raketenmotor und die Zündung des Effekts so aufeinander abzustimmen, dass der Effekt am Scheitelpunkt kommt, an der höchsten Stelle.
Auch Gebäudesprengungen sehen ja immer wie choreografiert aus.
Dabei leistet nicht der Sprengstoff die Zerstörungsarbeit – die Schwerkraft macht das Gebäude kaputt. Der Sprengstoff zerbricht ein statisches Teil, das Gebäude bleibt auf dem Rest stehen, hat keine Statik mehr, fällt in die geplante Richtung und durch den Aufprall auf die Erde zerstört es sich selbst.
Aber Hochhäuser kippen doch nicht um, dafür sind sie zu hoch?
Das nennt sich Zusammenbruchsprengung. Ein Teil wird herausgelöst, der Teil darüber kann natürlich nicht in der Luft stehen bleiben, fällt nach unten und trifft auf die Etage darunter. Das pflanzt sich in einer Kettenreaktion fort, das Gebäude sackt Etage für Etage zusammen. Stellen Sie sich einen Tisch mit vier Beinen vor, dem man plötzlich zwei Beine kürzer macht – er kippt um.
Woher kommt die Faszination für das Sprengen?
Vielleicht ist es der alte Wunsch der Menschheit, das Feuer zu zähmen. Man muss Spaß daran haben, man darf keine Angst haben und man muss Respekt haben. Man muss wissen, was passieren kann. Wir legen bei unseren Lehrgängen besonderen Wert darauf.
Ist es unter Sprengern ein Privileg, auf den Knopf zu drücken?
Die Zündmaschine darf nur jemand auslösen, der den „Führerschein“ für Sprengstoffe hat. Bei der Prüfung findet ja eine Tätigkeit der Helfer unter Aufsicht statt, der Sprengmeister guckt seinen Helfern auf die Hände, die Füße, was tut er, wo läuft er? Der Helfer ist eigentlich nur eine willenlose Marionette des Befähigungsscheininhabers. Das heißt aber auch: Wenn der Helfer einen Fehler macht oder einen Schaden verursacht, ist der Sprengberechtigte dafür verantwortlich.
Wie realitätsnah sind eigentlich Sprengungen im Film?
Wenig. In Filmen gibt es Special Effects, das ist die hohe Schule der Pyro- und Sprengtechnik. Da werden mit Pyrotechnik und Explosivstoffen Bilder für den Betrachter erzeugt. Auch dafür gibt es einen besonderen Lehrgang, der hier in Siegen bei Bedarf angeboten wird. Das sind gute Bilder.
Kann man Sie mit Sprenganwendungen noch überraschen?
Es gibt immer wieder etwas neues, meistens ist das aber „nur“ eine Weiterentwicklung. Wir hatten mal einen Lehrgang für eine High-Tech-Anwendung: Sprengplatieren. Dabei werden zwei Werkstoffe, die man nicht miteinander verbinden kann – Aluminium und Eisen zum Beispiel – aufeinander gelegt, Sprengstoff drauf. Die werden durch die Sprengung zu einer unlösbaren Verbindung zusammengeschossen. Schweißbrenner können das nicht leisten und Klebstoff nur bedingt.
>>HINTERGRUND: Die Sprengtechnischen Lehrgänge
Siegen ist bundesweit und im europäischen Ausland bekannt für die Sprengtechnik – das Siegerland hat eine Bergbau-Tradition, Sprengstoff wird in der Montanindustrie häufig eingesetzt. „Nach dem Krieg wurden Leute gesucht, die mit Sprengstoffen umgehen können – und um sie auszubilden brauchte man eine Schule“, sagt Jürgen Schroer. Die Lehrgänge waren zunächst autark, wurden aber bald beim Kreis Siegen-Wittgenstein angesiedelt, später dann am Berufskolleg Technik.
Schroers Vorgänger Dieter Reinschmidt als damaliger Schulleiter des Kollegs wurde damit auch zum Leiter der Sprengtechnischen Lehrgänge. Heute werden Lehrgänge zu breit gefächerten Themen angeboten: Großbohrlochlehrgänge für Sprengarbeiten in Steinbrüchen, Untertagesprengungen, für Kfz-Technik, Pyrotechnik für Theaterbühnen und vieles mehr.
Übung in ruhendem Steinbruch
Neben der Theorie findet auch ein praktischer Teil statt. „Beim Grundlehrgang Sprengtechnik finden die praktische Übung und Prüfung in einem ruhenden Steinbruch statt“, sagt Schroer, „die Leute müssen ja zeigen, ob sie was gelernt haben.“ Voraussetzung dafür ist die Mitwirkung an 50 Sprengungen. „Das ist wie beim Lehrmeister, der seinem Gesellen 50 Mal zeigt, wie man bestimmte Arbeiten macht“, erklärt Schroer. „Irgendwann ist der Geselle so weit zu zeigen, dass er die Arbeit selber kann.“
>>ZUR PERSON: Jürgen Schroer
Jürgen Schroer ist von Hause aus Gewerbeaufsichtsbeam
ter, „mit Herzblut und Überzeugung“, sagt er. „Wer Gefahren nicht erkennt, versteht und weiß wie sie zu bändigen sind, ist fehl am Platz.“
Er war bei der Arbeitsschutzbehörde tätig, gewesen – der „Umgang mit Sprengstoffen ist eine Gefahr, und um dieser Gefahr zu begegnen, gibt es Regeln“, sagt er.
Bei der Gewerbeaufsicht gibt es verschiedene Sachgebiete, unter anderem der Bereich Sprengstoff. 1991 übernahm Schroer dieses Sachgebiet, hatte vorher kaum mit Sprengstoff zu tun.
Bevor er Dieter Reinschmidt als Leiter der Sprengtechnischen Lehrgänge ablöste, war Schroer dort als Prüfer und Vortragender tätig. Dozent ist er weiterhin.
- Informationen auf www.sprengtechnik-siegen.de
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