Hilchenbach. . Das Nan King, das ausgesprochen beliebte China-Restaurant, soll so schnell wie möglich weitermachen können. Ein Blick zurück in Geschichte.
Das Feuer ist gelöscht. Am Gebälk des Deutschen Hofs klebt gefrorener Löschschaum. Absperr-Flatterband der Feuerwehr und ein Bauzaun sichern den Ort, an dem in der Nacht zu Samstag ein Stück Stadtgeschichte niederbrannte. In der Ruine mit dem aufgerissenen Dach ermitteln immer noch die Sachverständigen der Polizei.
König und Königin mit 20 Jahren Abstand
Wilfried Reifenrath, dessen andere große Passion der Ballonsport war, wurde 1974 Schützenkönig — Eva Kindermann schoss 1954 (als erste Frau in Hilchenbach) den Vogel ab.
Der Deutsche Hof bot einen Mittagstisch für die Lehrer des Jung-Stilling-Gymnasiums.
Familie Wu und ihre Mitarbeiter, die in dem ehemaligen Hotel wohnten, haben Obdach in der Jugendherberge gefunden. Zwölf Personen hat die Stadtverwaltung dort untergebracht. Die geschäftliche Existenz der Familie liegt in Schutt und Asche. Wann und ob der Anbau hinter dem Deutschen Hof wieder aufgebaut werden kann, ist völlig unklar — womöglich werden sich die Stadtplaner eines Tages mit dem 3000 Quadratmeter großen Gelände in zentralster Lage befassen. Für Bürgermeister Holger Menzel hat die betroffene Familie Vorrang: „Wir versuchen, eine geeignete Lokalität zu finden.“ Das Nan King, Hilchenbachs ausgesprochen beliebtes China-Restaurant, soll so bald wie möglich irgendwo weiter machen können – und sei es in einem Provisorium.
Blick zurück: Die Anfänge
„Ich hatte den Brandgeruch in der Nase“ — doch am Freitagabend zu Hause in Allenbach dachte Stadtarchivar Reinhard Gämlich überhaupt nicht daran, dass eines der ältesten Häuser in der Stadt in Flammen stehen könnte. Im 18. Jahrhundert, so steht es in der Denkmalakte für die Nummer 131 von fast 200 Baudenkmälern Hilchenbachs, wurde das Haus Dammstraße 10 errichtet, erhaltenswert als „Teil des historische Fleckens“, errichtet im „großen städtischen Haustypus“, wie er beim Wiederaufbau nach dem Stadtbrand von 1689 angesagt war.
„Hermannus Solllms und seine Schwiegermutter“ sind für das Haus auf dem Damm in der Bürgerliste vom 1. Mai 1687 verzeichnet. Dessen Schwiegersohn Johann Theobald Schantz ist als nächster Eigentümer benannt, sein Sohn geht bankrott und muss den Besitz aufgeben. Friedrich Karl Ludwig Wolschendorf ist 1801 der erste Gastwirt unter dieser Adresse; der Landsturm-Leutnant aus Lemgo heiratet eine Hilchenbacherin. Ernst Nielinger, schließlich, seit 1898 in Hilchenbach, gibt dem Gasthaus am 5. Mai 1899 den Namen „Deutscher Hof. Hier hat der Turnverein sein Vereinslokal, hier gründet sich die SPD, hier will sich — was dann aber nicht passiert — 1941 die Hitler-Jugend festsetzen.
Die Ära Kindermann
Eva Kindermann stammt aus Wernigerode im Harz, Vater Rudolf hatte dort die „Storchmühle“, die nach dem Tod des Hoteliers von der russischen Militärregierung enteignet wurde Mit Mutter Hedwig kommt sie nach Hilchenbach, wo sie 1949 den Deutschen Hof übernehmen, aus dem sie eine erste Adresse machen. Reinhard Gämlich bewahrt im Stadtarchiv den Nachlass der Kindermann-Ära auf: Fotoalben, Postkarten, jede Menge bekannter Gesichter. Schauspieler wie Günther Ungeheuer, Will Quadflieg, Helmut Lohner — die Gäste des Gebrüder-Busch-Kreises, der 1961 im Deutschen Hof gegründet wurde, haben hier logiert.
„Immer noch denken wir an Ihr so gemütliches Hotel und den sehr ‘feuchten’ Abend“, schreibt Ellen Schwiers. „Hoffentlich bleibt der Deutsche Hof den Tourneeschauspielern als ‘Oase’ noch lange erhalten“, wünscht Günter Strack. 1969 dankt der spätere Bundeskanzler Willy Brandt für „wiederholte großartige Aufnahme“. 1979 ziehen sich Hedwig Kindermann, von ihren Gästen als „Künstlermutter“ verehrt, und Tochter Eva in den Ruhestand zurück. Hedwig Kindermann stirbt 1985 im Alter von 90 Jahren, Eva 2009 mit 87. Für ihren Wunsch, die Storchmühle zurückübertragen zu bekommen, streitet sie mit Unterstützung des Hilchenbacher Rechtsanwalts (und Busch-Kreis-Vorsitzenden) Dr. Hans Christhard Mahrenholz, bis zum Bundesverwaltungsgericht. Vergeblich.
Die Ära Reifenrath
„Er war ein glänzender Gastgeber.“ Hartmut Kriems wurde etwa zur gleichen Zeit Geschäftsführer des Gebrüder-Busch-Kreises, als Wilfried Reifenrath seinen nächsten großen Schritt trat: Der Inhaber des „Ritterkeller“ und der Discothek „Prinz Wilhelm“ konnte 1984 nach dem Abschluss der Stadtsanierung den Deutschen Hof übernehmen. Kriems brachte, wie sein Vorgänger Wolfgang Burbach, „alles was Rang und Namen hatte“, im Deutschen Hof unter. Nach den Konzerten und Theaterabenden wurde gesungen, musiziert und diskutiert. Manchmal erst am frühen Morgen kamen die müden Häupter auf runden Betten zur Ruhe, recht preisgünstig übrigens,was für Schauspieler auf Tournee nicht gerade unwichtig ist.
Der Saal des Deutschen Hofs wurde 1984 zum „Hilchenbacher Hoftheater“. So heißt die Truppe, die Hartmut und Karin Kriems gegründet haben, auch heute noch. „Die Kleinbürgerhochzeit“ hatte dort Premiere. Kriems erinnert sich an den 9. November 1989: Hier erfuhren die Hilchenbacher, gerade zurück von der Lesung zum Jahrestag der Pogromnacht, die Nachricht vom Fall der Mauer. Um die Jahrtausendwende gab Wilfried Reifenrath den Hotelbetrieb auf, Nan King eröffnete. Vorne zapfte Reifenrath noch einmal die Woche Pils. 2011 starb er im Alter von 69 Jahren.
Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.