Meschede. Es geht um Betrug, Sex, Erpressung und einen Mann, der sich als Frau ausgibt - darüber wurde jetzt am Amtsgericht Meschede verhandelt.
Ein Flirt soll es werden, als er sich auf der Dating-App Lovoo anmeldet; dort hat er Kontakt zu einer jungen Frau. Ob er Lust auf einen Dreier hätte, fragt sie - er stimmt zu. Die beiden schreiben sich auf Whatsapp, er schreibt auch dem Freund der jungen Frau. Sie verabreden sich für einen Morgen Anfang Februar 2022 - er solle zu ihr kommen, und dann hätten erst nur er und sie Sex und dann würde ihr Freund einsteigen.
Als er fast da ist, bekommt er eine Nachricht: Ihr Vater sei gestürzt, sie müsse kurzfristig mit ihm zum Arzt, das abklären lassen. Er solle schonmal reingehen, auf sie warten, sich vorbereiten. Das will er nicht - dann wäre er mit ihrem Freund alleine, das möchte er nicht, er will keinen Sex nur mit einem Mann. Sie kann ihn zum Reingehen überreden; kurz darauf liegt er im Gästezimmer, schreibt mit der jungen Frau und ihrem Freund parallel, masturbiert dabei, fertigt davon Fotos und Videos an, die er beiden schickt. Diese Aufnahmen sind der Anfang einer verwirrenden Geschichte, die das Mescheder Schöffengericht vor manches Rätsel stellt. Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Richter sind sich einig: So einen Fall hatten sie noch nie.
Eine fiktive Frau kennengelernt - zum Sex mit einem echten Mann gezwungen
Die junge Frau, mit der damals 21-Jährige schreibt, gibt es nicht - ihren damals 33-jährigen Freund schon. Er hat sich die Persona der jungen Frau zugelegt, um auf der Dating-App Männer anzuziehen. Er sucht sich den jungen Mann aus, weil er ihn attraktiv findet - und als er erfährt, dass er eigentlich in einer Beziehung und seine Freundin schwanger ist, findet er das noch reizvoller. Nach diesem ersten Vorfall, bei dem sich die Männer nicht begegnet sind, will der 21-Jährige den Kontakt beenden - doch über das Kennzeichen seines Autos kann der Ältere die Daten seiner Familie ermitteln, und droht, die Aufnahmen der Masturbation unter ihnen zu verteilen.
Diese Drohungen und Bedrängungen spitzen sich zu, die „Frau“ macht deutlich: Wenn er nicht tut, was sie will, dann erfährt seine schwangere Freundin, dass er fremdgeht. Noch zwei Mal wird er dazu genötigt, das Haus des vermeintlichen Pärchens aufzusuchen. Beide Male hat er Geschlechtsverkehr mit dem Mann; beim zweiten Mal kommt es auch zum Analverkehr, weitere Videos werden angefertigt. Beim zweiten Mal entnimmt der Ältere die Nummer der Freundin dem Handy des Jüngeren, schickt ihr die Sexvideos.
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Deswegen steht der Mescheder jetzt vor Gericht. Die Anklage der Staatsanwaltschaft ist klar: Er soll sexuelle Handlungen durch Drohungen erzwungen, das Opfer vergewaltigt und pornografische Videos vom Opfer verbreitet haben. Dazu kommen zwei weitere Delikte, die nicht im Zusammenhang mit dieser Tat stehen: Ein Diebstahl und ein Missbrauch des Notrufs durch Betätigen eines Handfeuermelders.
Angeklagter will verhindern, dass das Opfer vor gericht erscheinen muss
Der Angeklagte zeigt sich geständig, schildert die Vorkommnisse detailliert - er wolle verhindern, dass das Opfer selbst vor Gericht auftreten müsse. Er gbit zu, viele „sehr unangebrachte“ Dinge geschrieben zu haben - schließlich hatte er gehofft, dass es schon beim ersten Treffen zum sexuellen Kontakt zwischen den beiden Männern kommen würde. Seine Forderung während der Erpressung: „Gib mir richtig guten Sex.“ Der Angeklagte kommuniziert mit zwei Handys und zwei Nummern mit dem Opfer - einmal als er selbst, einmal als seine vermeintliche Freundin. Dabei nutzt er etwas, was von der Staatsanwaltschaft im Plädoyer als „Good Cop, Bad Cop“-Prinzip genannt wird: Die weibliche Persona wird zur Bösen gemacht, zur Droherin und Erpresserin, die die pornografischen Aufnahmen von ihm seiner Familie schickt, wenn er keinen Sex mit ihr und ihrem Freund hat.
Gleichzeitig ist der Freund - also der Angeklagte - der Gute: Er beruhigt, beschwichtigt, verspricht, dafür zu sorgen, dass seine vermeintliche Freundin ihr Wort hält. Auch bei ihren zwei persönlichen Treffen hätten sie sich gut verstanden, erklärt der Angeklagte, er hätte nicht so gewirkt, als hätte er Angst oder würde es nicht wollen. Hätte er sich negativ geäußert, hätte der Angeklagte sofort abgebrochen; sie wären aber fast freundschaftlich miteinander umgegangen.
Als das Vernehmungsprotokoll des Opfers verlesen wird, wird jedoch klar, dass dieser sich so unter Druck gesetzt gefühlt hatte, dass er sich so verhalten hatte, um den Angeklagten bzw. seine beiden Personas „bei Laune zu halten“. Dem Opfer wurde erst kurz, bevor er sich an die Polizei wandte, überhaupt klar, dass er die ganze Zeit mit nur einer Person kommuniziert hatte.
So urteilt das Schöffengericht
Am Ende urteilt das Schöffengericht wie folgt: eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung sowie 4000 Euro Schmerzensgeld und spricht ihn in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung sowie des Diebstahls schuldig, nicht aber wegen Vergewaltigung. Warum? Sie konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden - dieser Strafbestand sei im Gesamtgeschehen und in Bezug auf das ambivalente Verhalten der Beteiligten nicht eindeutig zu beweisen und so nicht angemessen zu bestrafen.
Die Staatsanwältin hatte auf Bewährung plädiert, der wurde jedoch nicht stattgegeben. Wegen der gezeigten „kriminellen Energie“, aber auch wegen mehrfacher Vorstrafen und einer nicht ausreichenden positiven Sozialprognose könne die nicht gerechtfertigt werden. Die letzte Haftentlassung vor der Tat lag gerade einmal anderthalb Jahre zurück. Die Strafe sei zudem tat- und schuldangemessen, wenn man bedenke, dass die sexuelle Nötigung eine Steigerung zu den anderen Delikten, hauptsächlich Diebstahl, Betrug und Fahren ohne Fahrerlaubnis, darstelle, so der Richter.