Meschede. Marianna Wienhold stammt aus der Ukraine und lebt seit 24 Jahren in Meschede. Ihr Leben hat sich seit dem Überfall Russlands verändert.
Seit nunmehr über 24 Jahren in Deutschland spricht Marianna Wienhold fließend Deutsch und fällt sofort durch ihr freundliches Auftreten und ihre Anteilnahme am Gespräch auf. Sie hat eine Ausbildung „Buchhaltung, Audit“ und den in Deutschland anerkannten Bachelor in Psychologie. Durch ihre Heirat kam die gebürtige Ukrainerin nach Meschede. Viel zu früh verstarb ihr Mann. Sie blieb in Meschede und ist heute als Selbstständige im Beratungs-, Vermittlungs-, Kommunikations- und kreativen Bereich tätig. Sie berichtet gern aus ihrer Perspektive auf und in Deutschland.
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Mein Alltag hat sich seit dem Überfall Putins auf die Ukraine, der sich für mich schon ab 2014 abzeichnete, grundlegend geändert. Wenn man bedenkt, wie oft Russland (historisch vielleicht korrekter: Moskowien) einen Krieg gegen die Ukraine und gegen andere Länder geführt oder initiiert hat, dürfte der jetzige Überfall eigentlich nicht allzu sehr verwundern. Es ist einfach der erwartete nächste Schritt in der Kriegsspirale, die sich weltweit immer schneller dreht, wie man jetzt auch an den eskalierenden Ereignissen in Israel schmerzhaft ablesen kann. Als der Überfall auf die Ukraine begann, gab es für mich nur eine Aufgabe: Helfen, wo auch immer ich kann. Anfang März 2022 habe ich Drohnen für die ukrainischen Soldaten gekauft. Danach folgten Hilfsmittel für die Ukraine, die privat gesammelt wurden und über Konvois in die Ukraine geschickt wurden. Als die ersten Flüchtlinge eintrafen, habe ich mich um die Betreuung gekümmert. Da ich Deutsch, Ukrainisch, Polnisch und Russisch beherrsche, wurde ich zu einer Verständigungsbrücke für die Flüchtlinge und die deutschen Familien, die mit offenem Herzen die Ukrainer bei sich aufgenommen haben, was auch für alle entsprechenden Ämter (Sozialamt, Jobcenter, Ausländerbehörde, Banken, Ärzten u.ä.) gilt. Diese Hilfsbereitschaft aller Beteiligten hat mich überwältigt. Als eine Grundschule dringend Deutschlehrer für Flüchtlingskinder suchte, bin ich im August 2022 eingesprungen.
Warum haben Sie den Deutschunterricht aufgeben müssen?
In die Unterrichtszeit fiel die Einlieferung von zwölf verwundeten und medizinisch evakuierten Soldaten in das Hochsauerland Klinikum. Sie brauchten dringend Unterstützung, nicht nur wegen der fehlenden Sprachkenntnisse, sondern auch für Behördengänge und die vielen menschlichen Probleme, die so ein Aufenthalt mit sich bringt. Diese Arbeit war mir sehr wichtig, so dass ich mich entschied, ehrenamtlich in „Vollzeit“ für sie da zu sein. Da blieb dann für die Schule einfach keine Zeit mehr. Es ist immer noch beeindruckend, zu sehen, wie diese Soldaten zunehmend selbstständiger werden und in einen Alltag zurückfinden.
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Wie schafft man derart viele ehrenamtliche Verpflichtungen?
Es ging bei mir bis zur Erschöpfung und tatsächlich teilweise über meine Kräfte. Wenn ich meinen Neffen, Makar Pletenytskyy, der seit 2014 ebenfalls in Deutschland lebt und derzeit als Bachelor in Computer Engineering arbeitet und Maschinenbau in Deutschland studiert, nicht an meiner Seite gehabt hätte, hätte ich viele Aufgaben nicht in dem Ausmaß und dem Tempo meistern können. Es ist schön, solche Unterstützung zu erfahren und ich bin sehr stolz auf diesen jungen Mann.
Welches sind die größten Unterschiede und die größten Übereinstimmungen zwischen Ihrer Heimat und Deutschland?
Ich versuche die Gemeinsamkeiten zwischen meiner Geburts- und meiner Wahl-Heimat zu sehen. In beiden Ländern gibt es verantwortungsbewusste und empathische Mitbürger, und natürlich leider auch einige, die es nicht sind. Die Menschen in der Ukraine und in Deutschland unterscheiden sich zwar in der Sprache, aber gewiss nicht in dem überwiegenden Wunsch nach einer friedlichen Existenz.
Wie begegnen Sie Ihren geflüchteten Landsleuten?
Indem ich immer wieder vermittle, dass Deutschland unser Dank für die Aufnahme unserer Flüchtlinge zusteht. Deutschland ist ein lebenswertes, aber komplexes Land. Man muss die Sprache, die Gesetze, die Alltagsregeln und die Traditionen des Landes lernen, um die Mentalität des Gastgeberlandes besser zu verstehen, und sich schneller zu integrieren und das Gelernte zu bewahren. Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dass ich in Meschede bei allen Ämtern, Stadt- und Kreisverwaltung, Sozialamt, Jobcenter, Ausländerbehörde und den vielen Integrationsinstitutionen immer ein offenes Ohr, Hilfsbereitschaft und ganz viel Empathie erfahren habe. Dieses Miteinander und Füreinander ist nicht selbstverständlich, aber es ist gewiss notwendig, um weitere kriegerische Auseinandersetzungen für die Zukunft zu verhindern.